Eurokrise beflügelt britische EU-Skeptiker

Eurokrise befluegelt britische EUSkeptiker
Eurokrise befluegelt britische EUSkeptiker(c) EPA (Stefan Rousseau)
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In Großbritannien formiert sich eine neue Parlamentariergruppe, die das Verhältnis Großbritanniens zur EU grundlegend reformieren will. Gelingt das nicht, sei auch ein Austritt kein Tabu mehr.

Es gibt zwar kein englisches Wort für „Schadenfreude“ – das Gefühl aber ist auch den Briten nicht fremd.Der konservative Abgeordnete George Eustice gibt unumwunden zu, dass ihn die derzeitige Eurokrisemit Schadenfreude erfüllt. „Ich habe vier Jahre lang gegen den Euro gekämpft, natürlich fühlt man sich bestätigt“, so Eustice am Telefon. Der Hinterbänkler aus Cornwall fühlt noch mehr: Kampfgeist. Im Herbst wollen der Ex-Pressesprecher von Premier David Cameron und ein gutes Dutzend seiner Kollegen eine neue Parlamentarier-Gruppe gründen. Ihre Forderung: Das Verhältnis zur EU grundlegend reformieren – oder austreten.

„Die Einführung des Euro war ein Fehler, schlecht vorbereitet und ausgeführt, und nun stecken wir alle in dieser Krise. Wir müssen dringend nachdenken, wie wir den Prozess einer immer engeren europäischen Integration umkehren“, so Eustice. „Wir müssen die EU auf vernünftige Art und Weise abbauen. Wenn das nicht gelingt, müssen wir austreten. Das ist kein Tabu mehr.“

Eustice und seinen Mitstreitern passt es nicht, dass Großbritanniens Anteil am EU-Haushalt ständig wächst– 2010 lag er bei neun Milliarden Pfund – und dass Brüssel versucht, den ebenfalls milliardenschweren britischen Beitragsrabatt zu kürzen. Diese Sonderregel hatte in den 1980er-Jahren Margaret Thatcher zum Jubel ihrer Parteianhänger ausgehandelt – als Ausgleich dafür, dass die Insel weniger von EU-Agrarsubventionen profitiert. Die Jungparlamentarier verstehen schon gar nicht, warum sich Großbritannien an der Rettung der Einheitswährung, die sie nie wollten, beteiligen soll.


Milliarden in der Eurozone.
„Wir hängen sowieso mit drin in dieser Krise. Unsere Banken haben über 700 Milliarden Euro in der Eurozone, über 300Milliarden allein in Irland. Es ist in unserem Interesse, dass Euroland seine Probleme löst. So wie jetzt geht es nicht weiter“, sagt Eustice.

Dabei sollte der Politiker die Segnungen Europas zu schätzen wissen: Er stammt aus Cornwall. Die Grafschaft im Südwesten profitiert mehr als jede andere britische Region von Brüssel – weil sie so arm ist, bekommt sie aus mehreren EU-Töpfen Geld. Doch dieses Argument will Eustice nicht gelten lassen: „Das ist das Geld des britischen Steuerzahlers, das wir so zurückbekommen. Diese Förderprogramme könnten wir auch selber durchziehen.“

Mit der Austrittsdrohung vertritt Eustice noch eine Minderheit in seiner Partei – nicht aber mit dem Wunsch nach Änderungen im Verhältnis zu Brüssel, meint Mats Persson, Chef von „Open Europe“. Der kleine Londoner Thinktank war früher Organisationsbüro für die Anti-Euro-Kampagne „Business for Sterling“ und für ein Referendum über den Lissabon-Vertrag. Jetzt werben Persson und seine Kollegen für eine Reform der britischen Mitgliedschaft: „Europa braucht Großbritannien – es ist eine der drei großen Volkswirtschaften, hat das wichtigste Finanzzentrum, ist einer der größten Beitragszahler – und hat in der EU vermutlich mehr Einfluss, als selbst die britische Regierung gerne zugibt. Umgekehrt: Europa ist ein großer Markt, die Eurozone hat eine Riesenbedeutung für die britische Wirtschaft. Wenn es einen Finanzkollaps in der Eurozone gäbe, hinge Großbritannien mit drin.“

Kaum ein Thema hat so viel Sprengkraft für die Konservativen wie ihr Verhältnis zu Europa. Doch während sich in den früheren Jahren des europäischen Einigungsprozesses noch „Europhiles“ (Europa-Fans) und „Eurosceptics“ bekriegten, gibt es inzwischen nur noch „Euroskeptiker“ und „Europhobes“ (Europa-Hasser), wie die Zeitschrift „New Statesman“ schon vor zehn Jahren diagnostizierte. Der einzige bekennende Europa-Fan ist Justizminister Kenneth Clarke. Er soll Cameron vor seiner Berufung ins Kabinett versprochen haben, sich beim Thema Europa fortan bedeckt zu halten.

Die übrigen konservativen EU-Anhänger haben die Partei längst verlassen – als einer der letzten ging Ex-Europaabgeordneter John Stevens. Als Unabhängiger versuchte er 2010 noch einmal den Sprung ins Parlament – vergeblich. Nun unterstützt er eine Initiative für ein Referendum über Großbritanniens Rolle in der EU. Beim „People's Pledge“ haben sich, wie die Briten sagen, „strange bedfellows“, seltsame Bettgenossen aus Politik, Wirtschaft und Kultur, zusammengefunden. Die meisten sind eingefleischte Europa-Hasser– Stevens stört das nicht, er will klare Verhältnisse.


Mehrheit für Euro-Einführung?
Auch wenn Umfragen eine andere Sprache sprechen, gegenüber der „Presse“ gibt sich Stevens überzeugt, dass sich bei einer Volksabstimmung eine Mehrheit für den Beitritt in die Eurozone fände. „Es gibt mehr Europa-Fans, als man denkt, vor allem in der Wirtschaft: Die mussten sich nur nie positionieren, in der öffentlichen Debatte haben sie das Feld den Euroskeptikern überlassen.“

Eines seiner Hauptargumente: Die Sorge um den Finanzplatz London. „Es sieht so aus, als ob Euroland enger zusammenrückt. Wenn wieder etwas schief geht im Bankensektor, können alle Steuerzahler in der Eurozone dafür geradestehen. Bleibt Großbritannien draußen, wird die City nur durch die britischen Steuerzahler gesichert.“

In der öffentlichen Debatte um Europa dürfe es nicht länger nur um die Frage gehen, wie viel Geld Großbritannien einzahlt. „Dann gewinnen natürlich die Skeptiker. Aber wenn wir uns auf die wirklich großen Fragen konzentrieren– wie positionieren wir uns in der Welt, wie sichern wir unseren Finanzplatz ab–, dann bin ich sicher, dass die Pro-Europäer gewinnen.“

Doch wann und ob überhaupt das Referendum abgehalten wird, ist unklar. Premier Cameron hat sich mit seinem Koalitionspartner, den für britische Verhältnisse sehr pro-europäischen Liberal-Demokraten, darauf verständigt, erst dann das Volk zu fragen, wenn es darum geht, weitere Kompetenzen an Brüssel abzutreten.

Mats Persson von „Open Europe“ glaubt, dass es schwierig wird, Cameron für das Thema EU-Reformen zu begeistern oder einen britischen Sonderweg durchzusetzen: „Keine europäische Regierung hat momentan ein Interesse, an dem Thema zu rühren. Weil dann unbequeme Fragen gestellt würden, für die es vielleicht nur unbequeme Lösungen gibt.“

Zahlen zur Wirtschaft

0,2 Prozent: Um so viel wuchs die britische Wirtschaft im zweiten Quartal.

4,5 Prozent: So hoch ist die Teuerungsrate.

81 Milliarden Pfund: So viel soll eingespart werden.

Minus 2,21 Prozent: So entwickelte sich der Aktienindex FTSE in einem Jahr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.08.2011)

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