Zertrümmert Italien den Euro?

Zertruemmert Italien Euro
Zertruemmert Italien Euro(c) (Erwin Wodicka)
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Das hoch verschuldete Italien ist zum größten Problem für die Eurozone geworden: Misslingt die Stabilisierung durch Sparprogramm und EZB-Anleihenkäufe, dann gerät die gesamte Eurozone in ernste Pleitegefahr.

Seit gestern hat die de facto bereits existierende Transferunion innerhalb der Eurozone eine neue Dimension: Die Europäische Zentralbank (EZB) kauft in großem Stil Staatsanleihen von Italien und Spanien auf, um die Verzinsung der Staatsschuld der beiden wackelnden Euroländer innerhalb der Finanzierbarkeitsgrenzen zu halten.

Gekauft wird auf dem Sekundärmarkt. Den Banken, die auf diese Weise ihre Italien- und Spanien-Anleihen „anbringen“ können, wird damit signalisiert, dass sie die beiden gefährdeten Euroländer ruhig weiter finanzieren können: Wenn es brenzlig wird, springt Europa in Gestalt seiner EZB ein.

Diesfalls noch mit Erfolg: Die Renditen italienischer und spanischer Anleihen sind gestern von über sechs auf 5,35 bzw. 5,25 Prozent gesunken. Im Falle Italiens war das auch bitter nötig: Das Land ist mit rund 1900 Milliarden Euro (das sind 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) verschuldet und muss in den beiden kommenden Jahren jeweils rund 200 Milliarden Euro auf dem Kapitalmarkt aufnehmen, um auslaufende Altanleihen zu tilgen und Zinsen zu bezahlen. Da tut jeder Prozentpunkt an Zinsen spürbar weh.

Schuldenkrise im Euro-Zentrum

Die italienische Schuldenmisere trifft die Gemeinschaftswährung ins Mark: Mit ihr ist die Staatsschuldenkrise im Herz der Eurozone angekommen. Während die bisherigen Problemländer Griechenland, Irland und Portugal zusammen nur sechs Prozent des Eurozonen-BIPs erwirtschaften, hat es mit Italien die drittgrößte Euroland-Volkswirtschaft erwischt (und mit Spanien die viertgrößte dazu).

Anders gesagt: Italien ist, wie am Wochenende auch die deutsche Regierung festgestellt hat, zu groß für eine Rettung durch die anderen Euroländer. Bei Staatsschulden von 1900 Milliarden Euro nimmt sich der derzeitige Euro-Rettungsschirm im Volumen von gerade einmal 445 Milliarden sehr mickrig aus.

Wie groß ist die Gefahr wirklich, dass das Land, in dem die Zitronen blühen, den ganzen Euro in den Abgrund reißt?

Von den Fundamentaldaten her steht das Land nicht so schlecht da: Es ist zwar hoch verschuldet, hat aber eine halbwegs funktionierende (wenn auch langsam wachsende) Wirtschaft und steht vor einem vergleichsweise ambitionierten Budgetsanierungsprogramm.

Das Problem: Gelingt es nicht, die Märkte davon zu überzeugen, dann bringen die Zinsen das Land um. Goldman Sachs hat in einer Studie errechnet, dass die problematische Schwelle für Italien bei einer Anleihenrendite von sieben Prozent liegt. Wenn die Zinsen längere Zeit darüber liegen, wird die Finanzlage sehr ernst. Weit war das Land von dieser Schwelle vor der EZB-Intervention nicht mehr entfernt.

Für Italien zeichnen sich damit drei Szenarien ab:

• Szenario eins: Die EZB-Interventionen wirken, und das von der Regierung beschlossene Sparprogramm überzeugt die Märkte. In diesem Fall muss sich Italien auf eine mehrjährige Phase schwachen Wachstums einstellen. Die Kosten wären dann im Wesentlichen die der EZB-Investitionen – und würden sich in überschaubarem Rahmen halten.

• Szenario zwei: Italien hält das Sparprogramm nicht durch, die Anleiherenditen steigen, das Land muss unter einem dann sehr stark ausgeweiteten Euro-Rettungsschirm schlüpfen. Das würde die gesamte Eurozone schwer treffen. Die EZB könnte zwar auch in diesem Fall als letzter Retter in der Not auftreten und „Bad Bank“ für Staatsanleihen spielen, sie müsste ihre Bilanz aber gewaltig aufblähen – und würde damit alle Inflationsschleußen öffnen. Wegen der schieren Größe der Rettung wäre es wahrscheinlich, dass die großen Euroländer (und damit der EU-Rettungsschirm) ihr AAA-Rating verlieren, was erneut eine Schuldenspirale in Gang setzen würde.

• Szenario drei: Im schlimmsten Fall (der aus heutiger Sicht allerdings extrem unwahrscheinlich ist) kann Rom sein Sparprogramm gegen die eigene Bevölkerung nicht durchsetzen, die Märkte reagieren entsprechend verschnupft – und Italien kann sich nicht in der Eurozone halten. In diesem Fall hat das Land mit einer extrem abgewerteten eigenen Währung plötzlich 1,9 Billionen Euro Auslandsschulden – und wäre auf einen Schlag zahlungsunfähig.

Abschied vom Inflationsziel

Das Problem: Italien ist der drittgrößte Anleihenmarkt der Welt. Ein Ausfall dieses Marktes würde eine internationale Finanzkrise nach sich ziehen, gegen die sich die letzte ausgesprochen putzig ausnimmt.

Anzunehmen, dass Eurozone und EZB ein solches Szenario unter allen Umständen verhindern werden wollen. Wenn das nicht so glatt wie in Szenario eins geht, heißt das freilich, dass sich die EZB von ihrem Inflationsziel verabschieden muss. Wenn sie das mit den jüngsten Anleihekäufen nicht ohnehin schon getan hat.

Auf einen Blick

Steigen die Renditen italienischer Anleihen für längere Zeit über sieben Prozent, dann bekommt das Land ernste Finanzierungsprobleme. Das wird zur Herausforderung für die gesamte Eurozone. Denn Italien ist mit 1900Milliarden Euro Schulden zu groß, um unter den EU-Rettungsschirm zu schlüpfen. Vorläufig spielt die EZB Retter in der Not – und kauft italienische Anleihen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2011)

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