Konjunktur: Russland setzt aufs Schuldenmachen

Konjunktur Russland setzt aufs
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Jahrelang hat Russland seine Schulden zurückgezahlt. Demnächst dürfte der Staat knapp 50 Milliarden Euro auf dem Kapitalmarkt aufnehmen.

Moskau. Während sämtliche Staaten der westlichen Hemisphäre mit dem Abbau ihrer Schulden beschäftigt sind, baut Russland seine demnächst umfangreich aus. Die Eckpunkte eines diesbezüglichen Programmes für die Jahre 2012 bis 2014 wurden vor wenigen Tagen vom Präsidium der russischen Regierung gebilligt: Das mögliche Angebot an neuen Staatsanleihen könnte demnach jährlich das beispiellose Ausmaß von über zwei Billionen Rubel (48 Mrd. Euro) übersteigen, heißt es.

Damit würden Russlands Staatsschulden, die im Lauf der Boomphase des vergangenen Jahrzehnts konsequent reduziert wurden – und heute gerade mal 11,2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIPs) betragen – bis 2014 rapide ansteigen. Und zwar auf 17 Prozent der Wirtschaftsleistung oder zwölf Billionen Rubel.

Dies ist im Vergleich zu Westeuropa, wo die meisten Staaten das EU-Maastricht-Kriterium einer Maximalverschuldung von 60 Prozent des BIPs ohnehin überschritten haben, nach wie vor gering. Für Russland birgt es dennoch große Risken, weil die Wirtschaft aufgrund der einseitigen Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten anfällig ist. Zudem wird das Budget schon jetzt von hohen Sozialausgaben sowie teuren Infrastrukturprojekten belastet.

Ölpreis als Zünglein an der Waage

Mit der Wirtschaftskrise ist Russlands jahrelanger Budgetüberschuss wieder in ein Defizit gekippt. Der von der globalen Konjunktur abhängige Ölpreis bleibt nach wie vor das Zünglein an der Waage, während die russische Regierung die Ausgaben erhöht hat. Durch die anstehenden Parlaments- und Präsidentenwahlen im kommenden Jahr dürften diese weiter steigen. „Es wäre Zeit haltzumachen“, meint Xenija Judajewa, Chefexpertin für makroökonomische Analysen des größten Finanzinstituts Sberbank: „Aber die Wahlen stehen vor der Tür.“ Judajewa zufolge, die eine starke Tendenz zum politischen Populismus ortet, würde die Umsetzung aller angekündigten Maßnahmen im Jahr 2012 einen Ölpreis von ungeahnten 150 Dollar je Fass (159 Liter) erfordern, sofern man ein ausgeglichenes Budget erreichen wollte.

Die Regierung selbst geht für die nächsten drei Jahre von einem Ölpreis zwischen 93 und 97 Dollar je Fass aus und veranschlagt daher ein Budgetdefizit von 2,7 Prozent bzw. 2,3 Prozent (2014) des BIPs. Das Risiko: Wenn der Ölpreis um zehn Dollar sinkt, entgeht dem Staatshaushalt eine halbe Billion Rubel an Einnahmen.

Sind die Öleinnahmen für das Budget entscheidend, so reicht der Ölpreis für das Wirtschaftswachstum insgesamt als Lokomotive nicht mehr aus. Geringe Investitionen und die Kapitalflucht legen einen dramatischen Mangel an Vertrauen in Perspektiven offen. Das Wirtschaftswachstum im heurigen zweiten Quartal ist deutlich geringer ausgefallen als erwartet. Die Regierungsprognose von vier bis 4,5 Prozent für das Gesamtjahr dürfte schwer zu halten sein.

Niedrigeres Wirtschaftswachstum

JPMorgan hat seine Prognose neulich auf 3,7 Prozent herabgestuft. Alles unter 4,5 Prozent sei für eine Übergangsökonomie wie Russland „schwach und instabil“, hat Finanzminister Alexej Kudrin schon zuvor gesagt, alles unter drei Prozent eine Stagnation. Um das Budget zu entlasten, rechnet die Regierung für die kommenden drei Jahre mit Einnahmen von 22 Mrd. Euro, die aus den Erlösen der veranschlagten Privatisierungen kommen sollen. Der Großteil des Defizits wird jedoch durch neue Schulden finanziert werden müssen. Sie sollten, wie schon der Großteil der bestehenden Schulden, vorwiegend aus dem Inland kommen. Das schafft zwar Spielraum für künftige Entlehnungen im Ausland, Experten warnen aber, dass so inländische Finanzierungsmöglichkeiten für den Privatsektor eingeengt und teurer würden.

Und sie zeigen sich besorgt, dass die beiden Staatsfonds, in denen etwa 80 Mrd. Euro liegen, kaum noch aufgefüllt oder gar geleert werden: „Die Etappe der Ersparnisse im Leben der Russen ist zu Ende“, zitiert die Wirtschaftszeitung „Wedomosti“ einen Finanzbeamten: „Jetzt hat ein anderes Leben begonnen – ein Leben der Anleihen, Ausgaben und der entsprechenden Budgetrisken.“

Auf einen Blick

Russland hat ein Jahrzehnt lang versucht, seine Schulden zurückzuzahlen. Seit der Wirtschaftskrise wird jedoch mehr ausgegeben als eingenommen. Daher will der Staat in Zukunft jährlich knapp 50 Mrd. Euro auf dem Kapitalmarkt aufnehmen. Die Staatsverschuldung soll so von 11,2 auf 17 Prozent des BIPs steigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2011)

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