Wulff: Politik ungedeckter Wechsel ist am Ende

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Der deutsche Bundespräsident, Christian Wulff, kritisierte in der Eröffnungsrede einer hochkarätig besetzten Wirtschaftskonferenz am Bodensee die EZB für den Ankauf von Staatsanleihen scharf.

Lindau. Das Städtchen Lindau ist bis kommenden Samstag so etwas wie der Wallfahrtsort der internationalen Wirtschaftselite. Nicht weniger als 17 Nobelpreisträger diskutieren mit 360 handverlesenen Ökonomiestudenten über die Zukunft der Weltwirtschaft. Ein lohnendes Thema, wusste doch schon der legendäre deutsche Wirtschaftsminister Ludwig Erhard: „Wirtschaft ist nicht alles. Aber ohne Wirtschaft ist alles nichts.“

Die Liste der anwesenden Laureaten ist vor allem eines: beeindruckend. Darauf zu finden sind die Namen der Nobelpreisträger aus dem Jahre 2010 (Peter Diamond, Dale Mortensen und Christopher Pissarides), weiters sind Roger Myerson, Robert Mundell, John Nash, Edwin Phelps, Myron Scholes, William Sharpe und Joseph Stiglitz an den Bodensee gereist, um nur einige der derzeit führenden Wirtschaftswissenschaftler zu nennen.

Wulff: EZB hat Mandat überdehnt

Den bemerkenswertesten Beitrag des Eröffnungstages lieferte jedoch keiner der hochdekorierten Ökonomen, sondern ein Politiker. Der deutsche Bundespräsident, Christian Wulff, versuchte in seiner Rede, für eine kompromisslose Rückbesinnung auf eine sparsame Haushaltspolitik zu werben. Nicht ohne Pathos: „Wir haben die Wahl zwischen Sparsamkeit und Freiheit– oder Überfluss und Knechtschaft“, wie Wulff eine Rede von Thomas Jefferson, dem dritten Präsidenten der USA, aus dem Jahr 1816 zitierte.

Vor dieser Wahl stünde nun Europa. „Später wird uns deutlich werden, wie sehr das, was wir jetzt tun oder unterlassen, die kommenden Jahrzehnte bestimmen wird“, meint Wulff weiter. Besser unterlassen sollten „wir“ Europäer den Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB). Das sei rechtlich wie auch politisch bedenklich, weil die obersten Währungshüter aus Sicht des deutschen Bundespräsidenten ihr Mandat überdehnten. Das könne auf Dauer nicht gut gehen und dürfe bestenfalls „übergangsweise toleriert werden“.

Es sei zudem ein grobes Missverständnis, Solidarität allein an der Bereitschaft zu messen, andere Staaten finanziell zu unterstützen, für sie zu bürgen oder gar mit ihnen gemeinsam Schulden aufzunehmen. „Die Politik mit ungedeckten Wechseln ist an ihr Ende gekommen“, so Wulff. Derart unmissverständliche Worte hört man von amtierenden Staatsoberhäuptern nicht allzu oft.

Nicht gerade schüchtern antwortete der Wirtschafts-Nobelpreisträger des Jahres 2001, Joseph Stiglitz, auf die Rede des deutschen Bundespräsidenten. Um die Staatsschuldenkrise nachhaltig zu bewältigen, brauche es laut Stiglitz vor allem eines: noch deutlich mehr Geld und Garantien. Wolle Europa den Euro vor dem Untergang bewahren, müsse der europäische Rettungsfonds kräftig aufgestockt werden. „Notfalls auch durch Kredite von der Europäischen Zentralbank.“ Das sei zwar gegen die Statuten, diese müsse man eben ändern.

Überzeugt ist Stiglitz, dass es sehr viel Geld kosten werde, den Euro zu retten. Ein Scheitern der Gemeinschaftswährung würde aber noch höhere Summen verschlingen: „So oder so: Die Deutschen werden eine Menge Geld verlieren“, wie Stiglitz meinte.

Lettland rettete sich selbst

Das wiederum führte Wulff zur Frage, wer denn in letzter Konsequenz die Retter retten werde. Statt permanent mehr Geld und Solidarität einzufordern, sollten sich die hoch verschuldeten Staaten ein Beispiel an Lettland nehmen, das Hilfe von außen ablehnte und seine Probleme über kräftige Einsparungen selbst löste. Eine Therapie, die Stiglitz an frühere Jahrhunderte erinnerte: „War jemand krank, wurde er zur Ader gelassen. Und zwar so lange, bis der Patient tot war.“ Der „Patient Lettland“ ist derzeit alles andere als tot, er befindet sich auf dem Wege der Besserung. Die Arbeitslosigkeit ist zwar hoch, die Verschuldung (48Prozent des BIPs) aber beneidenswert niedrig und die Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs.

Aus Sicht des deutschen Bundespräsidenten führt an Einschnitten jedenfalls kein Weg vorbei. Das bedeute „Zumutungen für alle“. Sollte dieser „Sommer der Ernüchterung“ den Beginn einer Rückbesinnung markieren, hätten wir gelernt, so Wulff.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2011)

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