Robert Mundell: "Das ist eine Art Kriegszustand"

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Der Kanadier Robert Mundell, Nobelpreisträger des Jahres 1999, glaubt im Interview mit der "Presse" an die Zukunft des Euro - vorausgesetzt, die europäischen Schuldnerstaaten erkennen auch den Ernst der Lage.

Die Presse: Sie waren einer der wenigen nordamerikanischen Ökonomen, die dem Euro eine glorreiche Zukunft prophezeiten. Sie meinten, die Gemeinschaftswährung werde eine starke sein. Warum hat sich die Realität nicht an Ihre Prognose gehalten?

Robert Mundell: Weil in der fortschreitenden Überschuldung einzelner Euroländer wie Griechenland niemand ein ernsthaftes Problem erkennen wollte. Dann aber kam die globale Finanzkrise. Sie hat die bereits hoch verschuldeten Staaten auf dem linken Fuß erwischt. Wir sollten aber nicht vergessen, dass der Euro nach wie vor stark ist. Er ist 15 bis 20 Prozent mehr wert als bei seiner Einführung.

Ja, gegenüber dem Dollar, der noch schwächer ist. Anders sieht es aus, wenn man mit Euro Gold oder Schweizer Franken kaufen will.

Gold und der Schweizer Franken haben in der jüngeren Vergangenheit deutlich an Wert gewonnen, keine Frage. Aber gegenüber 95 Prozent der globalen Währungen sind der Euro und auch der Dollar nach wie vor stark.

Ist denn die hohe Verschuldung Griechenlands wirklich das zentrale Problem?

Das zentrale Problem liegt in der chronischen Unterfinanzierung vieler Wohlfahrtssysteme. Das trifft besonders, aber nicht nur auf europäische Länder zu. Alle großen Volkswirtschaften sind betroffen, auch die USA und Japan. In Europa wiederum sind es die ohnehin schwachen Staaten wie Griechenland und Italien. Die italienischen Pensionisten bekamen bis vor Kurzem noch 80 Prozent vom Letzteinkommen als Rente überwiesen. Erst vor ein, zwei Jahren wurde diese Rate auf 70 Prozent gesenkt. Das ist absurd, wenn man das frühere Pensionsantrittsalter und die stark steigende Lebenserwartung einrechnet.

Sie plädieren für Rentenkürzungen?

Es muss zu drastischen Einschnitten ins Pensionssystem kommen. 70 Prozent Pension vom Letztbezug sind nicht haltbar, bestenfalls 40 Prozent sind akzeptabel.

In Griechenland und Italien legen die Menschen schon wegen deutlich kleinerer Einschnitte das wirtschaftliche Leben lahm.

Was machen die Menschen in Zeiten eines Krieges? Alles, was nötig ist. Und wir leben in gewisser Art im Kriegszustand. Es gibt einen Notfall, und das müssen die Menschen akzeptieren.

Haben Sie jemals einen Politiker in Europa getroffen, der über derartige Pensionskürzungen nachdenken, geschweige denn sie einfordern würde?

Nein, das geht aber auch nicht über Nacht. Mehr als eine Absenkung von zehn Prozentpunkten wird nicht zu machen sein. Danach braucht es einen Plan, wann die nächsten Kürzungen in diesem Ausmaß kommen.

Haben die Menschen den „kriegsähnlichen Zustand“ erkannt, von dem Sie sprechen?

Nein. Sie sehen nur, welche staatlichen Zuwendungen sie verlieren könnten. Und nicht, was für alle auf dem Spiel steht.

Nun meint Ihr Kollege Joseph Stiglitz, dass dieses „Spiel“ nicht mit Sparprogrammen zu gewinnen sei. Diese Therapie erinnere ihn an das Mittelalter, als Patienten so lange zur Ader gelassen wurden, bis sie tot waren.

Nun ja, wenn man Bildungsausgaben oder die Grundversorgung kürzt, wird das nicht zum Ziel führen. Allerdings wurde noch nicht damit begonnen, das zentrale Problem anzugehen, das für die starke Überschuldung verantwortlich ist. Und das sind, wie bereits erwähnt, die unter den Linken exorbitant gewachsenen finanziellen Zuwendungen des Staates an seine Bürger. Hier wirkte übrigens der Euro kontraproduktiv. Üblicherweise kommen die Währungen jener Staaten, die über ihre Verhältnisse leben, stark unter Druck. Den hat in diesem Fall die stabile Gemeinschaftswährung abgefangen.

Wird der Euro auseinanderbrechen?

Nein, er wird überleben, zum Wohl der reichen Länder. Es wird aber viel drastischere Restrukturierungsprogramme brauchen, um den Euro zu retten.

Warum sollten die schwächeren Länder das tun, wenn doch ohnehin die stärkeren für sie haften?

Kürzen die in Schwierigkeit steckenden Staaten ihre ausufernden Zuwendungen an ihre Bevölkerung nicht, werden sie nicht dauerhaft mit der Unterstützung Deutschlands rechnen können.

Halten Sie den Ankauf von Staatsschulden durch die EZB für eine gute Idee?

Die EZB hatte keine andere Wahl, weil die Politik handlungsunfähig war. Das ist keine dauerhafte Lösung. Die Märkte werden auch sehr genau beobachten, wie viele Mittel der Europäischen Zentralbank im Notfall noch zur Verfügung stehen. Sollten Zweifel an der Löschkraft der EZB bestehen, könnte das zu einer weiteren Vertrauenskrise führen.

Auf einen Blick

Der Kanadier Robert Mundell erhielt 1999 den WirtschaftsNobelpreis für Arbeiten in der Währungstheorie. Er gilt als einer der seltenen Vertreter der „Supply-Side-Economics“. Diese Schule sieht in einer Stärkung der Angebotsseite den wichtigsten Beitrag zum Fortkommen einer Volkswirtschaft. So würden Firmen gegründet und Jobs geschaffen. [APA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2011)

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