Gesucht: Über 100 Milliarden Euro bis 2015

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Bei einem Verlust der Top-Bonität wird die Refinanzierung der Staatsanleihen auch für Österreich zur Schicksalsfrage. S&P erntet für seine Drohung an die Eurozone heftige Kritik und wehrt sich.

Ängstliches Zittern vor der nächsten Anleihenauktion, ein kollektives Stöhnen über den hohen Zinssatz, der dort ausgehandelt wird, und schiere Verzweiflung, wenn sich zu wenige Käufer finden: Was in den südeuropäischen Olivenstaaten längst zum politischen Alltag gehört, könnte bald auch Österreich blühen. Dann nämlich, wenn die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) ihre Drohung von Montag Nacht wahrmacht und den sechs verbliebenen Topschuldnern der Eurozone ihr TripleA entzieht.

Österreichs Staatsschulden sind kein unveränderlicher Block. Jedes Jahr laufen Anleihen aus (die durchschnittliche Laufzeit liegt bei acht Jahren) und sind durch neue Fremdmittel zu ersetzen. Jedes Jahr gibt es auch eine Neuverschuldung. Es muss also finanziert und refinanziert werden. Für heuer ruht der Hammer, die nächste Auktion findet erst im Jänner statt.

Die Bundesfinanzierungsagentur hatte es 2011 relativ leicht: Sie musste nur 21 Milliarden einsammeln, deutlich weniger als in den Vorjahren. Nächstes Jahr werden 30 Prozent mehr gebraucht. Eine Herausforderung dürfte das Jahr 2014 werden, in dem besonders viele Anleihen zu tilgen sind. In Summe muss die Schuldenagentur der Regierung bis 2015 nach freundlicher Schätzung 105 Mrd. Euro auftreiben – freundlich deshalb, weil die Defizitannahmen auf den Versprechen der Regierung beruhen.

Mehr Schulden im Ausland

Wer aber sind die Käufer der heimischen Anleihen? Die Schuldenagentur umwirbt große Pensionsfonds, Versicherer, Zentralbanken, Geschäftsbanken und Vermögensverwalter. Die meisten sitzen im Ausland. Die Primärbanken, die als Erste die Schuldscheine übernehmen, sind sogar zu über 95 Prozent in nicht österreichischer Hand. Entscheidend aber ist, wer dann auf dem Sekundärmarkt kauft. Nach Angaben der Finanzierungsagentur gehen 15 Prozent nach Übersee, 80 Prozent verbleiben in der Eurozone, mit Deutschen und Franzosen als wichtigsten ausländischen Gläubigern. Und die Österreicher selbst? Laut Staatsschuldenausschuss halten heimische Gläubiger nur mehr ein Viertel des Volumens, weit weniger als noch vor einigen Jahren. Damit steigt das Risiko: Die Politiker in Wien können nicht wie ihre Kollegen in Rom oder Tokio darauf vertrauen, dass ihnen das eigene Volk als Gläubiger schon aus patriotischen Gründen die Treue hält.

Welche Zinsen die fremden Bondkäufer fordern werden, wenn sich das Rating Österreichs verschlechtert, steht in den Sternen. Auf die S&P-Drohung haben die Märkte jedenfalls erstaunlich gelassen reagiert. Offenbar haben die Investoren schon erwartet, dass die eine oder andere Ratingagentur den zaudernden Entscheidern in der Eurozone die Rute ins Fenster stellt – oder sogar schon eine Rückstufung eingepreist haben.

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„Durchgeknallte“ Ratingagentur

Umso heftiger fielen manche verbalen Reaktionen auf den Rundumschlag von S&P aus – in Österreich vor allem von Bankenvertretern. Erste-Chefanalyst Fritz Mostböck ärgerte sich über eine „unprofessionelle Drohgebärde“: „Die Ratingagenturen sind jetzt offensichtlich vollkommen durchgeknallt.“ Raiffeisen-Oberösterreich-Chef Ludwig Scharinger ereiferte sich über ein „angloamerikanisches, imperialistisches“ Vorgehen.

S&P verteidigt den Schuss vor den Bug kurz vor dem EU-Gipfel: „Das ist unsere Art zu sagen, dass der Vertrauensverlust der Märkte in die europäische Politik enorm ist, und es jetzt entschlossene Handlungen braucht“, erklärte Europa-Chefanalyst Moritz Kraemer in einer Telefonkonferenz. Wie diese Handlungen aussehen sollen, könne er allerdings nicht beantworten. „Wir sind eine Ratingagentur und nicht Politikberater.“ S&P werde daher auch weniger die konkreten Schritte der EU-Politiker bewerten, sondern eher, ob dadurch das Vertrauen der Investoren wiederhergestellt werden kann. „Brüssel muss sich zurzeit vielleicht mehr mit Psychologie als mit harten Wirtschaftsfakten beschäftigen. More of the same wird aber sicher nicht mehr reichen“, meint Kraemer. Es gehe auch nicht mehr darum, „ob das Pensionsantrittsalter in einigen Ländern um ein oder zwei Jahre angehoben wird“, sondern um eine „Vertrauenskrise der gesamten EU-Politik“. Welche der am Tisch liegenden Maßnahmen wie etwa Eurobonds oder das Anwerfen der EZB-Druckerpresse die beste wäre, um das verlorene Vertrauen zurückzuholen, müsse die Politik jedoch selbst entscheiden.

S&P plant zeitgleiches Urteil

Ob aus dem negativen Ausblick auch ein wirkliches „Downgrade“ wird, will S&P so schnell wie möglich nach dem EU-Gipfel am Donnerstag entscheiden. Längstens hat die Ratingagentur dafür laut internen Regeln 90 Tage Zeit. Um Spekulationen zu vermeiden, soll das Ergebnis auch für alle 15 betroffenen Länder gleichzeitig bekannt gegeben werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2011)

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