EU: Immer tiefer in der Schuldenfalle

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Die EU-Kommission schlägt Alarm. Ohne Reformen bleiben Europas Staatsschulden bis 2014 so hoch wie derzeit. Der Regierung in Athen geht ohne fremde Hilfe in wenigen Wochen das Geld aus.

Brüssel. Die Haushalte der europäischen Länder sind durch die Finanzkrise so sehr geschwächt, dass die Staatsschulden trotz aller bisherigen Sanierungsmaßnahmen frühestens in drei Jahren unter den heurigen Wert sinken werden, warnte die Europäische Kommission am Montag in einem neuen Bericht. „Sowohl in der Eurozone als auch in der gesamten EU wird zwischen 2010 und 2014 wenig Veränderung bei den Schulden erwartet“, heißt es im jährlich erscheinenden Bericht der Kommission über die öffentlichen Finanzen in der EU.

Dieser Studie zufolge waren die Euroländer im Jahr 2010 mit durchschnittlich 85,5 Prozent ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung verschuldet. Die Schuldenquote dürfte bis 2012 auf durchschnittlich 88,7 Prozent steigen und danach leicht fallen, um 2014 den Wert von 85,1 Prozent zu erreichen. Diese Prognosen beruhen auf eigenen Schätzungen der Kommission und Angaben der nationalen Finanzminister; letztere haben sich in der Vergangenheit oft als zu optimistisch erwiesen. „Es gibt immer das Risiko, dass zusätzliche Maßnahmen nicht eingeführt werden, weil klar ist, dass Konsolidierungsmaßnahmen für gewöhnlich politische Kosten haben“, hält der Kommissionsbericht fest.

„Die Schulden steigen noch immer. Ihre Tragfähigkeit ist Kern unserer Sorgen“, sagte ein Sprecher von Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn. „Wenn wir die Alterung der Gesellschaft hinzufügen, ist klar, dass es keinen Raum für Nachlässigkeit gibt.“

Die Brüsseler EU-Behörde fasst in diesem Bericht auf 208 Seiten das derzeit größte politische Problem Europas zusammen: Europas Staaten sitzen fast durchwegs in der Schuldenfalle. Sie schaffen es auch im vierten Jahr nach dem Ausbruch der Finanzkrise nicht, ihre Schuldenquoten zu senken.

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Handlungsfähigkeit geschwächt

Damit ist die politische Handlungsfähigkeit der Union entscheidend geschwächt. Denn solange die Europäer ihre Schulden nicht in den Griff bekommen, bleiben sie Angriffen der Spekulanten ebenso ausgesetzt wie der sanften politischen Erpressung durch autoritäre Regime wie China, die auf hohen Währungsreserven sitzen und sich immer wieder als „Retter“ hoch verschuldeter Euroländer wie Griechenland oder Portugal ins Spiel bringen. „In der aktuellen Situation ist kein Land wirklich geschützt“, sagte Jürgen Stark, der scheidende Chef-Volkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), im Interview mit der „Irish Times“. Stark ist in der Führungsriege der EZB einer der stärksten Vertreter einer streng anti-inflationären Geldpolitik; er tritt in erster Linie wegen des Kaufs italienischer und spanischer Staatsanleihen durch die Bank zurück. Nun warnte er davor, dass Länder plötzlich vom Kapitalmarkt abgeschnitten werden, weil ihre Budgetpolitik den Investoren einen Vorwand zum Spekulieren gibt. „Das kann auch größeren, hoch entwickelten Volkswirtschaften passieren“, sagte er.

Was dann geschieht, kann man seit Ende 2009 am Beispiel Griechenlands betrachten: Seine Schuldenquote hat mittlerweile den europäischen Rekordwert von knapp 160 Prozent erreicht, die Wirtschaft schrumpft seit drei Jahren, das Volk revoltiert, und die Regierung scheitert mit fast allen Versuchen, Ausgaben zu kürzen und neue Steuern einzutreiben. Am Montag erklärte der stellvertretende Finanzminister Filippos Sachinides im TV-Sender „Mega“, der Staat habe noch bis Oktober genug Geld zur Bezahlung der Beamtengehälter. „Wir versuchen sicherzustellen, dass der Staat problemlos weiter agieren kann“, sagte er.

Das heißt also, dass Griechenland ohne die acht Milliarden Euro der sechsten Tranche des Hilfsprogramms von EU und Internationalem Währungsfonds zahlungsunfähig ist. Die Auszahlung dieses Betrags sollte ursprünglich diese Woche erfolgen, spießt sich aber daran, dass Athen seine Reformversprechen nicht einhält. So gab das Athener Finanzministerium am Montag bekannt, dass das Budgetdefizit binnen Jahresfrist um mehr als ein Fünftel auf 18,1 Milliarden Euro gestiegen ist.

Die Folge all dessen: Noch nie war es so teuer wie heute, sich gegen den Zahlungsausfall Griechenlands zu versichern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2011)

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