Tagung: "Europa muss Lebensstil ändern"

Tagung Europa muss Lebensstil
Tagung Europa muss Lebensstil(c) REUTERS (JONATHAN ERNST)
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Die Eurokrise ängstigt den Rest der Welt. Die USA und China stehen an vorderster Front der Kritiker – ein Balanceakt der IWF-Chefin Lagarde.

Washington. George Soros sagt die beunruhigendsten Dinge mit großer Beiläufigkeit. Im Plauderton, entspannt im Fauteuil zurückgelehnt, gibt der 81-jährige Finanzguru bei einer Podiumsdiskussion über die Eurozone im Rahmen der Weltbank-Tagung in Washington eine messerscharfe Analyse ab: Die Eurokrise sei ernsthafter als der Banken-Crash vor drei Jahren. Sollte die EU kein probates Instrumentarium entwickeln, hätte dies den Kollaps des globalen Finanzsystems zur Folge.

Seine Meinung trifft die Grundstimmung bei der Herbsttagung der Finanzminister und Notenbankchefs. Nie sei der Tenor so pessimistisch gewesen wie heuer, urteilt Larry Summers, Finanzminister unter Bill Clinton und Ex-Top-Berater Barack Obamas. Von allen Seiten prasseln Appelle, Vorschläge und Warnungen auf EU-Finanzkommissar Olli Rehn ein. „Die Bedrohung durch sturzflutartige Pleiten, den Run auf die Banken und katastrophale Risken muss vom Tisch“, urgierte US-Finanzminister Timothy Geithner. Und seine Amtskollegen aus den Schwellenländern stimmten in den Chor der Mahner ein.

Deutschland unter Druck

In der Angst vor einem Übergreifen der Krise und dem Rückfall in die Rezession schwingt in den USA auch ein politischer Aspekt mit. Eine Verschlechterung der ohnedies prekären Wirtschaftslage würde die Chancen für eine Wiederwahl Obamas im November 2012 noch weiter gefährden. Mit entsprechender Intensität drängt der Präsident die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die Führungsrolle bei der EU-Feuerwehraktion zu übernehmen.

Der britische Investmentbanker David Marsh beschwört eine Fußball-Metapher: „Europa liegt 0:2 zurück, es sind noch zehn Minuten zu spielen – und Deutschland fehlt ein Goalgetter.“ Olli Rehn kontert mit dem klassischen Zitat des einstigen britischen Stürmerstars Gary Lineker: „Fußball ist ein Spiel mit 22 Mann, an dessen Ende Deutschland immer gewinnt.“

China als Retter?

Der Finne Rehn ist nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. „Dänemark galt in den 1980er-Jahren auch als kranker Mann Europas. Und wo steht es heute?“, antwortet er auf die Kritik des Chinesen Gao Xiqing. Der Chef der staatlichen China Investment Corporation hatte die Arbeitsmoral der Südeuropäer polemisch aufs Korn genommen: „Fünf Stunden am Tag zu arbeiten, und das nur dreimal in der Woche – das reicht nicht. Europa muss seine Lebensweise ändern – und seine Art, Geld auszugeben.“ Gao hatte die Lacher auf seiner Seite. Hinterher war er wie ein neuer Guru – mehr noch als Soros – von einer Menschentraube umringt.

„China ist imstande, die Wirtschaft zu stimulieren“, erklärte Soros. „Wir können nicht den Retter für andere spielen“, replizierte Gao. „Wir müssen uns selbst retten.“ Die Position Pekings reflektiert die nationalen Partikularinteressen der EU-Staaten, wie sie bis vor zwei Monaten auch Christine Lagarde als französische Finanzministerin vertrat.

Als IWF-Chefin hat sie jetzt aber das größere Ganze im Auge, und darum drängt sie zu unverzüglichem Handeln. Verschmitzt fügt sie hinzu: „Und eine kleine Währungsaufwertung Chinas würde helfen.“

Auf einen Blick

IWF-Herbsttagung. Die Eurokrise und die Angst vor einem Übergreifen auf den Rest der Welt und vor einer Rezession, ja, vor einem Kollaps des globalen Finanzsystems stand im Zentrum der halbjährlichen Konferenz der Finanzminister und Notenbankchefs in Washington. IWF-Chefin Christine Lagarde bilanzierte: „Die Weltwirtschaft hat die Hälfte der Arbeit erledigt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2011)

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