Krisen-Szenarien: Von "Durchwursteln" bis Euro-Crash

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Banken haben mögliche Szenarien für die eskalierende Eurokrise durchgerechnet. Fazit: Im schlimmsten Fall hilft eine Flucht aus dem Euro nur wenig, weil Europa eine Weltfinanzkrise auslöst.

Wien. Die Auszahlung der jüngsten Tranche der Griechenland-Hilfe zieht sich, die Banken tun sich zunehmend schwer, einander Geld zu leihen, der Euro-Rettungsschirm erweist sich als viel zu klein: Keine Frage, die Eurokrise droht zu eskalieren. Aber wie wird das enden? Die Asset-Management-Tochter der europäischen Großbank ING hat die wahrscheinlichsten Szenarien durchgerechnet. Ergebnis: Ein Schuldenschnitt in Griechenland ist unausweichlich. Im schlimmsten Fall müssen die Gläubiger von sieben Eurostaaten einen „Haircut“ über sich ergehen lassen. Und der Euro wäre dann endgültig Geschichte.

Szenario 1: „Durchwursteln“

Wahrscheinlichkeit: 60 Prozent

Das Basisszenario, von dem die meisten Experten derzeit ausgehen: Die Politik macht weiter wie bisher. Die politischen Entscheidungsträger setzen Mindestmaßnahmen, zu denen sie von den Marktteilnehmern gezwungen werden. Griechenland bleibt Teil der Währungsunion, griechische Staatsanleihen werden aber um 60Prozent abgewertet. Andere Länder oder systemrelevante Banken fallen nicht aus. Allerdings müssen die Probleme rasch in den Griff gebracht werden: Dass das „Durchwursteln“ gelingt, hat auf Jahressicht eine Wahrscheinlichkeit von 60 Prozent – die auf Dreijahressicht aber auf magere zehn Prozent sinkt.

Szenario 2: „Governance-Lösung“

Wahrscheinlichkeit: Zehn Prozent

Das ist die Lösung nach dem Geschmack der Banker: Griechenland wird mithilfe einer begrenzten Umschuldung (30 Prozent) einigermaßen stabilisiert, die Euroregierungen einigen sich auf weitergehende politische und fiskalische Integration, beschließen die Emission von Eurobonds und setzen gleichzeitig auf durchsetzbare Lenkungsmaßnahmen, um den Missbrauch einer solchen Transferunion durch Pleitestaaten zu verhindern. Zahlungsfähige Banken und Regierungen bekommen mit einem zur Bank umfunktionierten Euro-Rettungsschirm einen dauerhaften „Lender of Last Resort“, für die Umschuldung insolventer Länder und Banken wird eine „juristische Lösung“ gefunden. Der Haken an der Sache: Die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt, wird von den Bankern nur auf zehn Prozent geschätzt.

Szenario 3: „Knappes Überleben“

Wahrscheinlichkeit: 25 Prozent

Wahrscheinlicher ist da schon ein ziemliches Schreckensszenario: Griechenland verlässt die Eurozone, was im Land sofort zu Depression, Massenarbeitslosigkeit, Unruhen und einem „Bankrun“ führt. Dominoeffekte auf andere Euroländer sind dabei unausweichlich. In diesem Fall werten griechische Staatsanleihen um 70 Prozent ab, aber auch irische und portugiesische Staatsanleihen verlieren 40Prozent ihres Wertes. Selbst spanische und italienische Staatspapiere erleiden einen „Haircut“ um 20 Prozent. Solche Abwertungen hält das europäische Bankensystem klarerweise nicht aus. Systemrelevante Banken in ganz Europa müssten in der Folge von den Staaten vor der Pleite gerettet werden. Die Wahrscheinlichkeit für dieses Schreckensszenario schätzen die ING-Banker mit 25 Prozent auf Jahressicht und 30 Prozent auf Sicht von drei Jahren relativ hoch ein.

Szenario 4: „Euro-Crash“

Wahrscheinlichkeit: Fünf Prozent


Im Worst-Case-Szenario erleiden mehrere Euroländer einen Staatsbankrott, die französisch-deutsche Achse zerbricht, die EU ist damit Geschichte. Am Ende stünde eine Art Euro-Mark-Zone mit Deutschland, Holland, Finnland, Österreich und Luxemburg. Die Auswirkungen auf die Realwirtschaft sind naturgemäß auch in der verbliebenen Euro-Mark-Zone katastrophal.

In diesem Fall verlieren griechische Anleihen 80 Prozent ihres Wertes, bei irischen und portugiesische Papieren sind es knapp 60 Prozent, bei italienischen und spanischen 40 Prozent und bei französischen und belgischen 20Prozent. Die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios ist mit fünf Prozent im ersten Jahr gering, steigt bei Dreijahresfrist aber auf 10 Prozent.

Die Berechnungen wurden im Übrigen nicht angestellt, um Panik zu erzeugen, sondern, um den Großkunden der Bank Szenarien für die Rettung ihrer Vermögen zu bieten. Diese sind freilich auch eher bescheiden: Wolle man sich gegen die Staatsschuldenkrise in Europa absichern, müsse man alle auf Euro lautenden Werte verkaufen. Ob das Konzept so aufgehe, sei aber fraglich. Denn ein Eurozusammenbruch würde auch einen globalen Finanzcrash auslösen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2011)

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