Eurokrise: Europa fürchtet den großen Knall

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Ein Schuldenschnitt für Griechenland wird laut Aussagen von EU-Vertretern immer wahrscheinlicher. Das erwartete Ausmaß in Höhe von knapp 200 Milliarden Euro würde die Krise wieder zu den Banken verlagern.

Wien. War es, um die Abstimmung in der Slowakei über die Erweiterung des Euroschutzschirmes EFSF zu beeinflussen? Oder war es, um angesichts des letzten offiziellen Auftritts vor dem EU-Parlament noch einmal eine unbequeme Wahrheit auszusprechen? Auf jeden Fall kommentierte der scheidende EZB-Präsident, Jean-Claude Trichet, die europäische Währungskrise mit einer bis dato ungewohnten Schärfe. „Das ist eine Krise von systemischer Dimension. Sie muss daher auch mit entschiedenen Maßnahmen bewältigt werden“, sagte Trichet. Der EZB-Präsident ortete zudem eine „große Ansteckungsgefahr“, die erneut zu einer Finanzkrise samt darauffolgender Wirtschaftskrise führen könnte.

Eine dieser „entschiedenen Maßnahmen“ dürfte der in der Finanzbranche bereits seit Längerem erwartete „Haircut“ Griechenlands sein. Wie die Troika aus Vertretern von EU, EZB und internationalem Währungsfonds (IWF) am Dienstag in Athen bekannt gegeben hat, schafft es das Land nämlich trotz harter Sparpakete nicht, die Defizitziele für 2011 zu erreichen.

Durch zusätzliche Maßnahmen könnte Griechenland aber im kommenden Jahr „zurück in die Spur“ kommen. Deshalb, und um eine akute Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden, empfiehlt die Troika, die nächste Tranche in Höhe von 8,8 Milliarden Euro auszuzahlen.

Schuldenschnitt von 60 Prozent

Dies dürfte jedoch nichts an der Notwendigkeit eines partiellen Schuldenerlasses ändern. Und bei diesem dürfte die im Juli vereinbarte – freiwillige – Quote von 21 Prozent nicht ausreichen, wie Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker im ORF sagte. Er rechnet zudem mit einem Ausmaß von rund 60 Prozent der Schulden, was europaweit zu einem Abschreibungsbedarf von 197 Milliarden Euro in den Bankbilanzen führen würde.

Neben der EZB selbst und griechischen Instituten wären davon vor allem Banken in Frankreich und Deutschland betroffen, wie die Zahlen aus dem europäischen Bankenstresstest zur Jahresmitte zeigen (siehe Grafik). In diesen beiden Ländern hielten die Banken im Sommer jeweils einen zweistelligen Milliardenbetrag an griechischen Staatsanleihen. Laut Oesterreichischer Nationalbank lag die Gesamtsumme griechischer Kredite und Anleihen bei heimischen Instituten damals bei 2,3 Milliarden Euro. Ein „substanzieller“ Teil davon seien Staatsanleihen, genaue Summen gibt die OeNB jedoch nicht bekannt.

Seither haben viele Institute ihr hellenisches „Exposure“ zwar deutlich zurückgefahren, ein Schuldenschnitt von 60Prozent dürfte dennoch in vielen Bankbilanzen tiefrote Spuren hinterlassen und das oft magere Eigenkapital anknabbern. Die europäische Bankenaufsicht prüft daher bereits die Kapitalausstattung jener Institute, die überdurchschnittlich stark in Griechenland und anderen angeschlagenen Mittelmeerstaaten investiert sind.

Dies dürfte die Vorarbeit für eine neue Runde von staatlichen Kapitalspritzen für Banken sein. Unter der Annahme weiterer Schuldenschnitte bei anderen europäischen Ländern könnten diese laut IWF bis zu 200 Milliarden Euro betragen. Es sei keine Frage mehr, dass die Banken in Europa erneut rekapitalisiert werden müssten, meinte auch Trichet am Dienstag.

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Großes Misstrauen unter Banken

Von den Banken selbst wird eine kollektive Rekapitalisierung jedoch abgelehnt. Sie fordern, dass von „Fall zu Fall“ entschieden wird. Dies wurde bei der jüngsten Finanzkrise in vielen Ländern nicht gemacht, um diese Banken nicht Ziel von Spekulationen werden zu lassen. Denn schon jetzt ist das Misstrauen zwischen den Finanzinstituten so groß wie seit Langem nicht mehr.

Indikator dafür sind die Einlagen bei der EZB, die mit 269,2 Milliarden den höchsten Stand seit Juni 2010 erreicht haben. Banken legen ihre überschüssigen Mittel somit trotz geringerer Zinsen lieber bei der EZB als bei anderen Geschäftsbanken an. Dies führte in der Krise 2008/09 zu einem Austrocknen des Kreditmarkts und zu einer Verschärfung des wirtschaftlichen Abschwungs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2011)

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