Uneinigkeit über geplante Wirtschaftsregierung

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Eurostaaten brauchen eine gemeinsame Führung zur Krisenprävention. Doch noch streiten Kommission und Staaten um Kompetenzen. Seit Monaten wächst Kritik am gemeinsamen Krisenmanagement und an Merkel und Sarkozy.

Brüssel/Wien.„Die Union gibt derzeit ein chaotisches Bild ab", kritisierte am Freitag der Luxemburger Ministerpräsident und Leiter der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker. Seit Monaten wächst die Kritik am gemeinsamen Krisenmanagement und am selbst ernannten Führungsduo, der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. „Die Auswirkungen sind desaströs", so Juncker. Doch die Alternative ist noch nicht gefunden.

Immerhin gab es Erleichterung, als die Euro-Finanzminister nach einer langen Hängepartie die sechste Kredittranche für Griechenland - acht Milliarden Euro - freigaben. Sie soll im November zur Auszahlung kommen (der IWF muss noch zustimmen).

Und so kann sich der EU-Gipfel am Sonntag mit der künftigen „Wirtschaftsregierung" beschäftigen. Doch wer soll diese Führung übernehmen? Ist es erforderlich, dass vor Installierung einer solchen Wirtschaftsregierung Vertragsänderungen durchgeführt werden? Und müssten dann die Mitgliedstaaten Volksabstimmungen abhalten?

Merkel und Sarkozy halten daran fest, dass die gemeinsame Wirtschaftsregierung auf Regierungschefebene installiert wird. Dieser Plan ist nun ausgereift: Die Staats- und Regierungschefs der Eurozone sollen künftig einen „Präsidenten des Eurogipfels" wählen, geht aus der vorbereiteten Abschlusserklärung des Gipfels hervor. Zweimal im Jahr soll das Gremium tagen. Außerdem soll das Vorbereitungsgremium aus hohen Beamten der einzelnen Euroländer aufgewertet werden.

Widerstand von Kommission und Parlament

Ziel der Eurogipfel soll dann die Erarbeitung „strategischer Orientierungen" für die Wirtschaftspolitik im gemeinsamen Währungsraum sein. Gegen dieses Vorhaben, einen Leiter der Wirtschaftsregierung nach Wünschen der Nationalstaaten zu installieren, regt sich allerdings großer Widerstand. Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat schon vor Wochen erklärt, die Führung müsse bei der EU-Kommission liegen. Währungskommissar Olli Rehn wäre bei dieser Variante logischer Favorit als wirtschaftlicher Lenker der Eurozone. Auch das EU-Parlament ist aufseiten der Kommission - und zwar quer durch alle Fraktionen. „Kurzfristig brauchen wir jemanden wie Rehn, der die Rolle des europäischen Finanzministers spielt", sagte etwa die österreichische grüne EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek. Wenig überraschend forderte auch EU-Haushaltskommissar Janusz Lewandowski „mehr Durchgriffsrechte der Kommission auf die Nationalstaaten in der Finanz- und Haushaltspolitik". Und auch unter den Nationalstaaten gibt es Befürworter dieser Lösung: So sprach sich die niederländische Regierung für Rehn als „starken Mann Europas" aus.

„Vertragsänderung nötig"

Auch die zweite Frage - Vertragsänderung und Volksabstimmungen ja oder nein - birgt Konfliktpotenzial. Denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass Vertragsänderungen in der EU - wie etwa beim Vertrag von Lissabon - viele Jahre in Anspruch nehmen können. So viel Zeit hat die EU jetzt nicht. „Vertragsänderungen sind zwar kein Tabu", sagte Merkel vor wenigen Tagen in Frankfurt. „Aber wo steht eigentlich geschrieben, dass sie immer ein Jahrzehnt dauern müssen?"

Sollte es zu Referenden in allen oder einigen Mitgliedstaaten kommen, ist eine Verzögerung nicht zu vermeiden. Der Innsbrucker Europarechtler Walter Obwexer gibt dennoch Entwarnung: So, wie die Wirtschaftsregierung angedacht sei, würde das zwar heißen, dass die EU einen Kompetenzzuwachs im Sinne wirtschaftspolitischer Entscheidungen erlange. Dies würde eine Vertragsänderung nötig machen, aber - im Falle von Österreich - keine Volksabstimmung, weil dadurch nicht in ein Grundprinzip der Verfassung eingegriffen würde. Eine andere Frage sei die politische Entscheidung zu einer Volksabstimmung, wie von der FPÖ gefordert. Und auch Bundeskanzler Werner Faymann hat angedeutet, er stehe einer Volksabstimmung „prinzipiell positiv gegenüber".

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2011)

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