Absagen und Uneinigkeit: Schicksalsgipfel mit Hürden

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Die Spitzendiplomaten der 17 Euroländer standen im Dauereinsatz: die Finanzminister müssen noch die Bankenrekapitalisierung verhandeln. Die Staats- und Regierungschefs blockierten einander durch Streitereien.

Brüssel. „Die Welt schaut darauf, ob wir in der schwersten Stunde Europas seit dem Zweiten Weltkrieg Verantwortung übernehmen.“ Wenn Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel einmal derart pathetische Worte wählt, steht nicht weniger als die Rettung der Gemeinschaftswährung auf dem Spiel. Nur Stunden vor dem mit Spannung erwarteten Eurogipfel am Mittwochabend dämpfte sie bei ihrer Regierungserklärung vor dem deutschen Bundestag aber gleichzeitig die Hoffnung, das Treffen der Staats- und Regierungschefs würde diesmal endlich den erlösenden Befreiungsschlag bringen: „Es wäre unseriös zu behaupten, man könne das über Nacht lösen“, so die Kanzlerin. Allein: Davon kann ohnehin keine Rede sein.

Seit Tagen wurde in Vorbereitung auf den Mittwoch-Gipfel auf allen Ebenen fieberhaft verhandelt. Die Spitzendiplomaten der 17 Euroländer standen im Dauereinsatz. Varianten wurden durchgerechnet, wieder verworfen. Neue Varianten analysiert und ihre politische Machbarkeit mit den Regierungen abgeklärt.

Der erste Rückschlag kam Dienstagabend. Da teilte die polnische Ratspräsidentschaft kurzfristig mit, dass das für Mittwochvormittag geplante Finanzministertreffen abgesagt sei. Man wolle erst auf Basis der Gipfelergebnisse über die Bankenrekapitalisierung weiterverhandeln, hieß es. Die Rekapitalisierung gilt aber als ein wichtiges Element einer Gesamtlösung. Die Kommission musste darob zähneknirschend eingestehen, dass von dem Treffen der Regierungschefs – um 18Uhr kamen die EU-27 zusammen, ab 19.15 Uhr tagte die Eurozone – allenfalls politische Lösungen zu erwarten seien. „Technische Arbeiten“ müssten nach dem Gipfel weitergeführt werden, so Kommissionssprecher Olivier Bailly.

Doch auch auf politischer Ebene waren die Voraussetzungen nicht die besten: Die Stimmung zwischen den Staats- und Regierungschefs war seit dem Sonntag-Gipfel extrem angespannt. Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi erzürnte sich über die Schelte seiner EU-Partner, endlich größere Sparanstrengungen in Angriff zu nehmen. Besonders die vielsagenden Gesten von Merkel und dem französischen Präsidenten, Nicolas Sarkozy, die bei einer gemeinsamen Gipfel-Pressekonferenz auf die Frage nach Italiens Reformanstrengungen nur milde lächelten, hatte den 75-jährigen in Rage versetzt. „Niemand darf sich selbst zum Notstandsverwalter aufschwingen und im Namen von anderen Völkern sprechen“, ließ er seine EU-Partner wissen.

17 Euroländer gegen zehn EU-Länder

Auch die Fehde zwischen Sarkozy und dem britischen Premier David Cameron belastete die Verhandlungen: Am Sonntag hatte Cameron zum wiederholten Mal seine Kritik an der Krisenpolitik der Eurozone geäußert. Er forderte eine Einbindung der zehn Nichteuroländer in die Debatte über mögliche Vertragsänderungen. Sarkozy platzte ob dieser Kritik der Kragen, er fuhr seinen Kollegen in undiplomatischer Weise an: „Wir haben es satt, dass du uns ständig kritisierst und uns sagst, was wir tun sollen. Ihr sagt doch, dass ihr den Euro hasst, und wollt euch dennoch in unsere Sitzungen einmischen.“

Wenigstens demonstrierten die beiden wichtigsten Euroländer – Deutschland und Frankreich – kurz vor dem Gipfel Einigkeit. Zuletzt hatte es zwischen Merkel und Sarkozy noch einen offenen Streit etwa über die Höhe des Schuldenschnitts für Griechenland und die Art der Ausweitung („Hebelung“) des Euro-Rettungsschirms gegeben. Merkel plädiert inzwischen für eine Entschuldung von mehr als 50 Prozent. Sarkozy zögerte, weil französische Banken wesentlich härter von einem solchen Schritt betroffen wären als deutsche. Auch die Frage, ob die EZB weiter Staatsanleihen angeschlagener Eurostaaten aufkaufen soll, wofür Sarkozy plädiert, war bis zuletzt unklar.

Inmitten all dieser Probleme zeigte wenigstens einer Zuversicht: Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker. Er erwartete vom Gipfel „bahnbrechende Lösungen“ – stand mit diesem Optimismus aber vorerst allein da.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2011)

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