Griechenland: Staatsbankrott immer wahrscheinlicher

(c) AP (Thanassis Stavrakis)
  • Drucken

Experten rechnen damit, dass Griechenland im Fall eines Nein im Referendum umgehend aus der Eurozone austreten würde. An einem Staatsbankrott führt dann wohl kein Weg mehr vorbei.

Wien/Athen/Ag/Red. Nach der Entscheidung des griechischen Ministerpräsidenten Georgios Papandreou, sein Volk über das EU-Hilfspaket abstimmen zu lassen, macht sich in Europa enorme Unruhe breit. Galt ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone bisher nur als eine von vielen Möglichkeiten, wird sie zunehmend zu einer realistischen Alternative. Vor allem dann, wenn das griechische Referendum – das erste seit Ende der Militärdiktatur 1974 – negativ ausgeht, was aus heutiger Perspektive durchaus möglich ist.

Die Folge wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit genau das, was die EU so lange zu vermeiden versuchte: ein Staatsbankrott. So sagt Wirtschafts-Nobelpreisträger Chistopher Pissarides: „Bei einem Nein müsste Griechenland sofort Bankrott erklären. Ich sehe nicht, dass Griechenland beim Euro bleiben könnte.“

Zurückhaltende Reaktionen

Viele Euroländer hielten sich mit Reaktionen zurück oder gaben sich nach außen hin milde – wahrscheinlich auch, weil noch unklar ist, worüber genau abgestimmt werden soll und ob ein Referendum rechtlich möglich ist. Sollte es zu einem Volksentscheid kommen, sei dessen Ergebnis jedenfalls bindend, machte Papandreou klar.

Nicht zuletzt deshalb brodelt es in der EU gewaltig: So sprach etwa Rainer Brüderle, Fraktionsvorsitzender der deutschen Regierungspartei FDP und ehemaliger Wirtschaftsminister, einen Bankrott direkt an: „Wenn Griechenland Nein sagt zur Bekämpfung seiner Strukturschwächen, zur Anpassung in der Wettbewerbsfrage, zum Reformprozess, dann wird es zu einem Staatsbankrott kommen“, so der Politiker im Deutschlandfunk. Und das Euromitglied Finnland brachte offen einen Austritt Griechenlands ins Spiel. „Die Situation ist so angespannt, dass es eine Abstimmung über die Euromitgliedschaft wäre“, sagte Europaminister Alexander Stubb.

Eine Pleite wäre auch laut den Analysten der Commerzbank die Folge eines negativen Volksentscheids: „Die Regierung müsste ihre Banken verstaatlichen, die Abhebung von Spareinlagen beschränken und die Ausfuhr von Euro untersagen.“ Wahrscheinlich, so die Ökonomen, würde die Drachme wieder eingeführt und sofort um die Hälfte abgewertet. Ihr Fazit: „Dreht die Staatengemeinschaft Griechenland den Geldhahn ab, wäre das Land spätestens im März zahlungsunfähig.“

„Run“ auf deutsche Anleihen

Was die Investoren von Papandreous Entscheidung halten, zeigten am Dienstag die Börsen: Auf den europäischen Finanzmärkten kam es zwischenzeitlich zu Kursrutschen von über fünf Prozent. Die Anleger flüchteten in deutsche Staatsanleihen: Die Rendite für zehnjährige Bundesanleihen sank auf 1,76 Prozent. Drastische Einbußen verzeichneten vor allem Aktien französischer Banken, die stark in Griechenland engagiert sind. Der Euro gab im Vergleich zum Dollar deutlich nach.

Die große Frage, die nun im Raum steht, ist freilich, wie es mit der Eurozone weitergeht, sollte Griechenland die Hilfszahlungen ablehnen und pleitegehen – beziehungsweise sich vom Euro verabschieden. Der deutsche Ökonom Lüder Gerken geht davon aus, dass die Eurozone einen Austritt Griechenlands verkraften könnte: „Es wäre ein echter Crash, aber nach einem halben Jahr würde sich die Lage beruhigen und wir könnten letztlich zu ,Business as usual' zurückkehren“, sagt er im Interview mit der „Presse“ (siehe Seite 17).

In EU-Kreisen versuchte man, sich gelassen zu geben: „Wir haben vollstes Vertrauen, dass Griechenland seinen Verpflichtungen nachkommt, die es mit der Eurozone und der internationalen Gemeinschaft vereinbart hat“, erklärten EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy und Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel gaben sich nach einem Telefonat „entschlossen, die Gipfelbeschlüsse umzusetzen“. Sie werden sich heute, Mittwoch, vor dem G20-Gipfel in Cannes mit den EU-Institutionen und dem IWF beraten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.