Die EZB sorgt für Angst unter den Banken

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Symbolbild(c) AP (Michael Probst)
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Nach der Leitzinssenkung horten die Banken so viel Geld bei der EZB wie zuletzt vor 16 Monaten. Sie misstrauen der Konkurrenz. Europäische Zentralbank sieht die europäische Wirtschaft bereits „im freien Fall“.

Wien/stef/Ag. Mario Draghi hat gesprochen und für höchste Verunsicherung im Bankensektor gesorgt. In der Nacht nach der Zinssenkung vom Donnerstag horteten die Finanzinstitute so viel Geld bei der EZB wie zuletzt im Juni des Vorjahres. Das bedeutet, dass sie einander nicht mehr trauen und ihr Kapital zum Teil nur noch bei der Zentralbank als sicher erachten. Denn bei der Konkurrenz könnten sie deutlich höhere Zinsen bekommen. Der Einlagensatz der EZB liegt bei lediglich 0,5 Prozent.
Der neue Notenbankchef hatte gleich an seinem dritten Arbeitstag für einen Paukenschlag gesorgt: Der von ihm geleitete EZB-Rat senkte die Leitzinsen überraschend um 0,25 Prozentpunkte auf 1,25 Prozent. Die Eurozone steuere auf eine „milde Rezession“ zu, erklärte Draghi. Mit der Zinssenkung will der Notenbanker Investitionen und den Konsum anregen und so die Konjunktur ankurbeln.

Sorge um „Leichen im Keller“

In der Nacht nach dem EZB-Entscheid parkten die Finanzinstitute 275,23 Mrd. Euro bei der Zentralbank, um neun Prozent mehr als in der Nacht zuvor. Das ist zwar der höchste Wert seit 16 Monaten, im Vergleich zu Juni 2010 ist die Panik allerdings nicht so groß. Damals steuerte die Eurokrise auf ihren ersten Höhepunkt zu, die Banken hinterlegten 384 Mrd. Euro in Frankfurt.
Trotzdem interpretieren Ökonomen den neuerlichen Anstieg der täglichen Einlagen als besorgniserregend. Der Hauptgrund für die Verunsicherung ist der hohe Bestand an Staatsanleihen krisengeschüttelter Euroländer. Die meisten Institute haben zwar ihre griechischen Papiere bereits wertberichtigt. Sie halten aber nach wie vor hunderte Milliarden Euro an italienischen und spanischen Anleihen in ihren Büchern, die sie nur zu einem kleinen Teil wertberichtigt haben.
Gerät beispielsweise Italien ins Wanken, würden die „Leichen im Keller“ in Form von Staatsanleihen viele Banken an den Abgrund oder einen Schritt weiter bringen. Weil unklar ist, welche Institute als Erste in ernsthafte Schwierigkeiten kämen, horten die Banken ihr Geld sicherheitshalber bei der EZB.
Doch auch die Zentralbank sorgt für zusätzliche Verunsicherung, nicht nur durch die überraschende Zinssenkung. Die Wirtschaft in der Eurozone befinde sich „im freien Fall“, sagte das Ratsmitglied Yves Mersch am Freitag. „Noch vor einigen Monaten veranschlagten wir die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall in die Rezession mit weniger als zehn Prozent. Jetzt liegt sie bei mehr als 50 Prozent“, sagte der luxemburgische Notenbankchef.

EZB kehrt von ihren Statuten ab

Mit der überraschenden Zinssenkung läutete der neue EZB-Chef Draghi jedenfalls eine Zeitenwende ein. Der Italiener sagte entgegen den bisherigen Gepflogenheiten sehr deutlich, dass die schwächelnde Konjunktur der Hauptgrund für die Zinssenkung sei. Damit kehrt die Notenbank von ihren Statuten ab. Diese sehen als oberstes Ziel der EZB die Inflationsbekämpfung vor.
Derzeit liegt die Teuerung in der Eurozone bei drei Prozent, in Österreich bei 3,6 Prozent. Die Statuten der Notenbank sehen als Ziel „unter, aber nahe zwei Prozent“ vor. Um den Eindruck zu vermeiden, die Zinssenkung sei ausschließlich dem neuen EZB-Chef zu verdanken, meldete sich am Freitag auch Jürgen Stark zu Wort. Das deutsche Ratsmitglied betonte, dass er es gewesen sei, der die Zinssenkung vorgeschlagen habe.
Die EZB glaubt, dass der Inflationsdruck in den kommenden Monaten deutlich nachlassen und die Teuerung Mitte nächsten Jahres auf unter zwei Prozent sinken wird. Eine weitere Zinssenkung im Dezember ist deshalb wahrscheinlich. Zumindest bis dahin dürften die Banken Experten zufolge ihr Geld weiter bei der EZB horten.

Auf einen Blick

275,23 Mrd. Euro horteten die Banken in der Nacht von Donnerstag auf Freitag bei der EZB, so viel wie zuletzt im Juni 2010. Das ist ein Indiz für großes Misstrauen in der Branche. Denn von der Zentralbank erhalten die Institute mit 0,5 Prozent deutlich weniger Zinsen als von der Konkurrenz. Hauptgrund für die Verunsicherung ist die Schuldenkrise in den Eurozone.

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