EU-Krise: „Unser Ausblick ist sehr düster“

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Europa droht nach nur zwei Jahren schon wieder eine Rezession. Die Ungewissheit über die Lösung der Schuldenkrise lähmt die Wirtschaft. So droht ein weiterer Anstieg der Arbeitslosigkeit.

Brüssel. Die Herbstvorschau der Europäischen Kommission auf die Konjunktur der Union von jetzt bis 2013 fällt alarmierend aus. „Das reale Wirtschaftswachstum in der EU dürfte gegen Ende dieses Jahres zum Stillstand kommen und in einigen Mitgliedstaaten negativ ausfallen“, halten die Beamten von Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn fest. „Erst nach einigen Quartalen mit null oder fast null Wachstum wird eine schrittweise Rückkehr in der zweiten Hälfte von 2012 erwartet.“

„Erschießen Sie nicht den Boten“

So unterschiedlich die Ursachen für die wirtschaftlichen Probleme in den 27 Staaten der Union auch sein mögen, eint sie doch ein Problem: „Wenn sie nicht in Angriff genommen werden, wird das negative Zusammenspiel zwischen Schuldensorgen, schwachen Banken und langsamer werdendem Wachstum die Volkswirtschaft der EU in eine Rezession zurückfallen lassen“, heißt es in dem Bericht.

„Bitte erschießen Sie nicht den Boten der Nachricht“, übte sich Kommissar Rehn bei der Vorstellung des Berichts in Galgenhumor. „Aber derzeit ist unser Ausblick sehr düster. Diese Prognose ist der letzte Weckruf, dass die Erholung in der EU zum Stillstand gekommen ist und eine Rezession droht.“

Und Rehn, der seit zwei Wochen auch Vizepräsident der Kommission und dort nun ausdrücklich für den Euro zuständig ist, machte klar, dass die EU-Länder ihr wirtschaftliches Schicksal selbst in die Hand nehmen müssen: „Der Ausblick hängt mehr als je zuvor von politischen Entscheidungen ab.“ Es gelte nun, die Staatsschuldenkrise in Europa zu lösen. Dazu müssten die Entscheidungen des europäischen Gipfeltreffens vom 26. und 27.Oktober „wirksam und voll umgesetzt werden“.

Bloß ist es mit alleinigem Kürzen von Staatsausgaben und der Sanierung der öffentlichen Haushalte nicht getan. Europas derzeit dringendstes Problem ist das wirtschaftliche Wachstum – und das lässt sich ausgerechnet am größten Sorgenkind der Eurozone veranschaulichen, nämlich an Italien. Dessen Primärüberschuss im Budget – also vor Zahlung der Zinsen für die Altschulden – wird laut den Berechnungen der Kommission nächstes Jahr 3,1 Prozent der Wirtschaftsleistung und im Jahr 2013 4,4 Prozent betragen – der höchste Wert in der EU. In der gesamten Eurozone beträgt der Primärüberschuss 2012 nur 0,3Prozent, 2013 dürfte es sogar ein Primärdefizit geben. Italien wird diese guten Ergebnisse „dank der wesentlichen Konsolidierungsmaßnahmen erreichen, die für die Jahre 2011 und 2012 angenommen wurden“, so die Kommission.

Das ändert aber nichts daran, dass die Finanzinvestoren derzeit die Finger von Italiens Staatsanleihen lassen. Dadurch steigt deren Verzinsung, und obwohl Rom die budgetären Primärausgaben kürzt, steigt wegen des höheren Zinsdienstes die Neuverschuldung. Kurzfristig, sagte Rehn, seien die hohen Zinsen für Italiens Haushalt kein großes Problem. Denn der durchschnittliche italienische Staatsbond laufe über rund sieben Jahre. „Nach rund drei Jahren könnte dadurch aber Italiens Bruttoinlandsprodukt für jeden Prozentpunkt, um den jetzt die Zinsen steigen, um einen Prozentpunkt kleiner sein“, warnte Rehn.

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Österreichs Arbeitskosten sinken

Die Kommission warnt vor diesem Hintergrund davor, dass noch mehr Europäer arbeitslos werden könnten. Derzeit liegt die Rate bei knapp zehn Prozent. Doch dabei zeigt sich ein tiefer Spalt zwischen Nord- und Südeuropa. In Deutschland, Finnland, den Niederlanden und Österreich finden Arbeitslose heute schneller wieder eine neue Stelle, als das im Durchschnitt der Jahre 2005 bis 2007 der Fall war. In allen Mittelmeerländern ist es genau umgekehrt. Österreichs gute Lage könnte mit einem weiteren Befund der Kommission zusammenhängen, der den Gewerkschaften in den Lohnverhandlungen Rückenwind verleihen dürfte: „Die Lohnstückkosten sind sogar nominell gesunken, was den Unternehmen einen Puffer verschafft, um Forderungen nach Lohnerhöhungen zu verkraften.“

Griechenland, Seite 2

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2011)

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