Konjunktur: Britische Wirtschaft im Abwärtsstrudel

Tower Bridge is opened to let a yacht pass through on the River Thames in London
Tower Bridge is opened to let a yacht pass through on the River Thames in London(c) Reuters (Paul Hackett)
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Großbritannien stürzt immer tiefer in die Krise. Jeder fünfte Jugendliche ist ohne Arbeit, die Inflation verharrt auf hohem Niveau. Nun sollen Anleihenkäufe Abhilfe schaffen – eine höchst umstrittene Maßnahme.

London. „Wir haben ein starkes Interesse an einem starken Euro.“ Die Worte des britischen Premiers David Cameron vergangene Woche in Berlin waren mal wieder deutlich. Mit seiner Forderung, die Europäische Zentralbank solle als Kreditgeber den EU-Sorgenkindern noch deutlicher unter die Arme greifen, machte er sich vor allem in Berlin wenig Freunde. Camerons Problem: Kaum eine andere Volkswirtschaft hängt so sehr von der Eurozone ab wie die britische. Und nicht zuletzt deshalb verschlechtert sich die Wirtschaftslage auf der Insel rasant.

Nun wurden die Wachstumsprognosen erneut nach unten korrigiert. Die Situation wird dabei immer schmerzlicher für die Briten, deren Wirtschaft seit fast vier Jahren in der Krise steckt. Die Teuerungsrate erreichte im Oktober 5,2Prozent, nun ging sie nur leicht auf fünf Prozent zurück. Damit liegt die Inflationsrate weiterhin deutlich über dem von der Bank of England angestrebten Wert von zwei Prozent, der bis Ende 2012 erreicht werden soll. Trotzdem begann die Bank of England im Oktober damit, über Anleihenkäufe vier Monate lang 75Mrd. Pfund (88Mrd. Euro) in die Wirtschaft zu pumpen. Je nach Lage ist Notenbankchef Mervyn King bereit zu einem weiteren solchen Schritt, der von vielen Seiten mit Hinweis auf die hohe Inflation stark kritisiert wird.

Grund für Anleihenkäufe sind die stockende Wirtschaft und die damit verbundene hohe Arbeitslosenrate. Mit 8,3Prozent erreichte sie im September einen erneuten Rekordwert. Vor allem Menschen über 65 und unter 25Jahren sowie Frauen sind betroffen. Mehr als 20Prozent der Jugendlichen sind mittlerweile ohne Job. Die Arbeitslosigkeit unter Frauen, die überproportional im durch Einsparungen stark abgespeckten öffentlichen Sektor beschäftigt sind, hat den höchsten Wert seit 23Jahren erreicht.

Ausgeglichener Haushalt in weiter Ferne

Die Kombination aus hohen Inflations- und Arbeitslosenraten kann verheerend sein. Generell gilt: je höher die beiden Werte, desto geringer die Kaufkraft im Land, und umso schwieriger wird es, Wachstum zu generieren. Auch bei fallender Inflation könnte die Lage im nächsten Jahr schwierig bleiben, denn mehrere Prognosen deuten auf weiter steigende Arbeitslosigkeit hin.

Zudem korrigierte die Bank of England ihre Wachstumsprognosen weiter nach unten. 2011 und 2012 soll die Konjunktur nur je ein Prozent zulegen. Dass es möglicherweise keine erneute Rezession geben wird, ist ein schwacher Trost für die unter Zugzwang stehende Regierung. Das zentrale Projekt der Koalition, die Senkung der Staatsschulden, wurde auf der Annahme soliden Wachstums konstruiert. Nur wenn die Wirtschaft heuer um 2,6 und 2012 um 2,9Prozent wachsen würde, genügten die Steuereinnahmen, um bis 2015 einen ausgeglichenen Haushalt zu präsentieren.

Angesichts der schwachen Inlandsnachfrage weiß bald kaum mehr jemand, woher das nötige Wachstum kommen soll. Ein Plan der Regierung war, Exporte zu fördern, die derzeit rund ein Viertel der Wirtschaftsleistung ausmachen. Aber das Handelsdefizit hat sich auf Rekordhöhe geschraubt. Die Exporteure hängen zu stark von der krisengeschüttelten Eurozone ab.

Der Forderung der Opposition, dass George Osborne von seiner Sparpolitik abrücken solle, um der Wirtschaft einen Stimulus zu verpassen, entgegnete der Schatzkanzler zuletzt mit Verweis auf die Märkte. Risikoaufschläge auf britische Anleihen sind kaum höher als jene auf deutsche. Ein Hinweis, dass Investoren dem Sparprogramm vertrauen – zumindest eine gute Nachricht für die britische Wirtschaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2011)

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