"Ungarn hat ein massives Glaubwürdigkeitsdefizit"

Sandor Richter
Sandor Richter(c) (Jorit Aust)
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Ungarns Wirtschaft ist besser als ihr Ruf, sagt Ökonom Sandor Richter. Die "heilige Kuh" Wirtschaftspolitik müsse das Land trotzdem bald schlachten.

DiePresse.com: IWF-Chefin Christine Lagarde will vom ungarischen Premier Victor Orban politische Schritte zur Stabilisierung der Wirtschaft sehen, bevor die Verhandlungen über einen Kredit von 20 Mrd. Euro überhaupt starten. Wie wird Ungarn darauf reagieren?

Sandor Richter: Das ist die große Frage. Am Anfang wollte die Regierung überhaupt keine Bedingungen erfüllen. Dann hat man sich bereit erklärt, Kompromisse einzugehen. Aber erst vor kurzem hat Ministerpräsident Orban in einer martialischen Rede verkündet, dass Ungarn weiter seinen eigenen Weg geht und sich von niemanden davon abbringen lassen wird. Das wird aber schwierig werden. Ohne eine Änderung des umstrittenen Notenbankgesetzes oder anderer Gesetze werden IWF und EU wahrscheinlich gar nicht mit Ungarn verhandeln.

Was sind die konkreten Forderung des Währungsfonds?

Noch ist das nicht klar. IWF und EU lassen die ungarische Regierung erst einmal ein Angebot unterbreiten, damit das Land seinen guten Willen demonstrieren kann. Es werden auf jeden Fall sehr harte Verhandlungen werden und sowohl Währungsfonds als auch die EU werden strenge Forderungen stellen. Die Frage ist, ob die Gespräche über frisches Geld sich auf die Wirtschaftspolitik beschränken oder ob sie auf politische Bereiche ausgedehnt werden, wie etwa die vorzeitige Pensionierung von Richtern oder die Unabhängigkeit der nationalen Datenschutzbehörde

Welche wirtschaftlichen Probleme muss Ungarn jetzt angehen?

Die Regierung muss sich von der unkonventionellen Wirtschaftspolitik verabschieden (Anm.: Festgelegte Wechselkurse für Fremdwährungskredite, Verstaatlichung privater Rentenkassen etc.), auch wenn diese bisher eine "heilige Kuh" war. Außerdem muss der marode Staatshaushalt saniert werden. Natürlich kann man solche Reformen nicht in ein paar Tagen durchführen - Ungarn muss aber die Reformbereitschaft glaubhaft demonstrieren. Für die Regierungspartei Fidesz wird es allerdings sehr schwierig werden, ein neues Programm politisch zu verkaufen.

Braucht Ungarn überhaupt den IWF-Kredit, um einen Staatsbankrott zu vermeiden?

Eigentlich benötigt das Land das Geld nicht so dringend. Aber Ungarn hat ein massives Glaubwürdigkeitsdefizit. Daher wird es immer schwieriger, sich am Markt zu finanzieren - und das Land macht sich auf den Weg in Richtung Staatsbankrott. Erst wenn die beiden wichtigen Organisationen IWF und EU Ungarns Wirtschaftspolitik gutheißen, können internationale Investoren wieder ohne große Sorgen Staatspapiere kaufen.

Am Donnerstag war eine Auktion von Staatspapieren aber recht erfolgreich.

Das war ein Tag. Aber oft gelingt es nicht, so viel Geld einzusammeln, wie notwendig wäre. Außerdem sind die Zinsen derzeit viel zu hoch. Im Oktober 2008 konnte Ungarn von einen Tag auf den anderen keine Anleihen mehr am Markt verkaufen. Noch ist es nicht soweit, aber die Regierung muss alles daran setzen, so einen Situation in Zukunft zu vermeiden. Es gibt genügend Warnsignale: Die hohen Zinsen für Staatspapiere, die Herabstufung des Ratingagenturen, der schwache Forint.
Bei einer Einigung mit Währungsfonds und EU würden sich die Märkte beruhigen. Und Ungarn müsste sich nach wenigen Monaten nicht mehr mithilfe des IWF-Kredits finanzieren, weil die Zinsen für Staatsanleihen wieder sinken.

Wie reagiert die Bevölkerung auf die derzeitigen Turbulenzen?

Die Fidesz-Partei hat von Monat zu Monat weniger Anhänger, ist aber immer noch sehr stark im Vergleich zur Opposition.

Kann man die Situation in Ungarn mit Griechenland vergleichen?

Nein, denn die Fundamente der ungarischen Wirtschaft sind noch in Ordnung. Es gibt eine starke Exportkapazität, Handels- und Leistungsbilanz sind positiv, die Schuldenquote liegt im EU-Durchschnitt. Es gibt aber auch eine verfehlte Wirtschaftspolitik und einen maroden Staatshaushalt Wenn man diese Probleme angeht, könnte man Ungarn in ein oder zwei Jahren wieder auf die Bahn bringen. Von Griechenland kann man das nicht sagen.

Dass es dem Exportsektor so gut geht, liegt sicher Großteils am schwachen Forint.

Das ist richtig. Für andere Sektoren ist der schwache Forint aber sehr schädlich. Viele Haushalte und auch Gemeinden sind nämlich in ausländischen Währungen verschuldet - vor allem in Schweizer Franken aber auch in Euro. Sie müssen wesentlich mehr für die Kredite zahlen, als sie bei deren Aufnahme erwartet haben. Die Haushalte können daher weniger konsumieren, die Gemeinden kaum noch investieren. In den letzten Jahren wurde das ungarische Wirtschaftswachstum allein von den Exporten getragen. Das ist schlecht, denn ein nachhaltiges Wachstum braucht auch einheimische Investoren und Konsumenten.

Das Problem mit den Fremdwährungskrediten versuchte die ungarische Regierung ja zu lösen, indem sie die Banken dazu gezwungen hat, günstigere Konditionen zu verlangen.

Das war keine Lösung für das Problem, das Programm hat es eher verschärft. Da der gesamte Kredit im vorigen Jahr zurückgezahlt werden musste, konnten nur eine vermögende Minderheit den günstigeren Wechselkurs in Anspruch nehmen. Außerdem hat die ganze Aktion das Vertrauen der Märkte erschüttert. Die Schwäche des Forints "verdanken" wir damit auch zum Teil dem Fremdwährungskredit-Programm.

Fremdwährungskredit-Gesetz

Ungarn hat im Jahr 2011 gegen den Widerstand der Banken ein umstrittenes Gesetz zur vorzeitigen Tilgung von Krediten in Fremdwährungen wie Schweizer Franken oder Euro beschlossen. Von September bis Dezember hatten Ungarn die Möglichkeit, die Kredite zu einem staatlich festgelegten, günstigeren Wechselkurs mit einer Einmalzahlung zu tilgen. Bisher kostete das die Banken rund eine Milliarde Euro.

Eine Einführung des Euro - die manche Ökonomen schon für 2015 vorausgesagt haben - rückt jetzt wahrscheinlich in weite Ferne.

In den nächsten fünf Jahren ist eine Euro-Einführung völlig unrealistisch. Allerdings könnte die Aussicht auf eine Einführung der Gemeinschaftswährung dafür sorgen, dass Reformen schneller durchgeführt werden. In der jetzigen Situation ist die Euro-Frage aber zweitrangig.

Zur Person

Sandor Richter ist seit 1990 Senior Economist beim Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). Seit über 20 Jahren analysiert der Ökonom und gebürtige Ungar nun unter anderem die Wirtschaftspolitik seines Heimatlandes von Wien aus.

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