Zinsen: Die ungeliebten Kinder des Kapitals

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Seit gut 4000 Jahren verrechnen Menschen Zinsen. Fast so lange gibt es auch Kritik an dem "Geld vom Gelde". Im Mittelalter war der Zins verboten, die Marxisten wollten ihn abschaffen.

Das Geborene ist gleicher Art wie das Gebärende – durch den Zins entsteht Geld aus Geld. Diese Art des Gelderwerbs ist am meisten gegen die Natur.“ Mit diesen Worten wetterte bereits der griechische Philosoph Aristoteles im vierten Jahrhundert vor Christus gegen den Zins. Eine Meinung, der sich auch knapp 2500Jahre später immer noch viele Menschen anschließen können. Wer heute in Internetforen zu volkswirtschaftlichen Themen stöbert, stößt bald auf Wortmeldungen, laut denen nur eine Abschaffung von Zins und Zinseszins das ökonomische Heil bringen kann.

Für Richard Sturn, Professor für Finanzwirtschaft an der Uni Graz, ist es „Humbug, in der Abschaffung des Zinses den Schlüssel für eine bessere Gesellschaft“ zu sehen. Denn Zinsen hätten in der Ökonomie eine wichtige Funktion – und zwar jene, das knappe Gut Kapital möglichst sinnvoll zu verteilen. „Ohne Zinsen bräuchte man einen anderen Allokationsmechanismus.“ Etwa den Staat oder eine zentrale Planungsstelle – wie in den Planwirtschaften des 20.Jahrhunderts. „Und dass diese das besser können würden, ist vollkommener Unsinn.“ Was in der Geschichte ja auch mehrfach bewiesen worden ist.

Wenn Zinsen nun also eine so wichtige Rolle in der Ökonomie spielen, warum waren und sind sie dann so häufig ein Hassobjekt? Für Sturn hängt dies mit den fatalen Folgen zusammen, mit denen säumige Schuldner etwa in der Antike bedroht waren. „Wer seine Schulden nicht zahlen konnte, wurde zum Leibeigenen“, so Sturn. Auch in der Literatur findet sich oft das Bild des gierigen Geldverleihers. Etwa in „Schuld und Sühne“ – dem Meisterwerk Dostojewskis. Darin sieht der Protagonist, der arme Jusstudent Rodion Raskolnikow, es als sein Recht an, eine in seinen Augen geldgierige Pfandleiherin zu erschlagen, weil sie nichts für die Menschheit beitrüge. Auch William Shakespeare setzte dem Geldverleiher in der Figur des Shylock aus dem „Kaufmann von Venedig“ ein unrühmliches Denkmal. Dieser will seinem Schuldner, als dieser nicht zahlen kann, sogar „ein Pfund Fleisch“ aus dem Körper schneiden. Die Figur des Shylock ist auch eines der bekanntesten Beispiele für die häufige Vermischung von Zinskritik und Antisemitismus in der christlichen Welt.

Diese ist in dem „kanonischen Zinsverbot“ von 1215 begründet, durch das Papst Innozenz III den Christen die Zinsnahme beim Geldverleih untersagte. Eine ähnliche Regelung gab es zwar auch im Judentum (und im Islam noch heute), allerdings galt diese nur für Israeliten untereinander. Dies, und das zunehmende Verbot anderer Tätigkeiten für Juden, führte dazu, dass im Mittelalter Zinskredite nur von Juden vergeben wurden, was das Stereotyp des „geldgierigen Juden“ formte. Der Wunsch einer Vernichtung von Schuldscheinen durch die Schuldner soll daher auch einer der Auslöser erster Judenpogrome im Mittelalter gewesen sein.

Teil des Gewinns. Das religiös motivierte Zinsverbot ist seit der Aufklärung und dem wirtschaftlichen Aufschwung der industriellen Revolution zwar Geschichte. Ökonomische Kritik am Zins ist jedoch bestehen geblieben. „Eine gewisse Regulierung, etwa in Form von Zinsobergrenzen, ist sicherlich zu argumentieren“, sagt Sturn. „Diese wurden ja sogar von Adam Smith (dem Begründer der klassischen liberalen Ökonomie) gutgeheißen.“ Laut Smith ist der Zins ein Teil des Gewinns, den der Schuldner durch die per Kredit erworbenen Produktionsmittel erzielt hat. Daher steht dieser Teil auch dem Kapitalgeber zu – als Zins. Die Neoklassiker ändern diese Definition dann ab, wonach der Zins den Verleiher dafür belohnt, für eine gewisse Zeit zugunsten des Schuldners auf Konsum zu verzichten. Der Zins ist quasi die Miete für das Geld.

Kritiker wie Karl Marx sahen im Zins jedoch einen Teil des Arbeitsertrags, der dem Arbeiter vorenthalten werde. In diese Richtung geht auch ein Gleichnis des ehemaligen belgischen Notenbankers Bernard Lietaer, auf das vor allem bei zinskritischen Beiträgen im Internet gerne verwiesen wird. So kommt es etwa in dem Kurzfilm „Wie funktioniert Geld?“ vor, der auf der Internetplattform YouTube bereits 1,1 Millionen Mal aufgerufen wurde und auf den häufig mit Links verwiesen wird.

Dabei kommt ein Banker zu einer rückständigen kleinen Gemeinde, bei der noch Tauschwirtschaft herrscht. Er zeigt den zehn Familien, dass der Einsatz von Lederstücken als Währung den Tausch ihrer unterschiedlichen Produkte deutlich vereinfacht. Dafür zerschneidet er ein großes Leder in hundert Teile, von dem jede Familie zehn erhält. Als Belohnung will er dafür von jeder Familie im darauffolgenden Jahr elf Lederstücke zurückerhalten – ein Zins von zehn Prozent. Laut der Logik des Gleichnisses muss nun eine Familie ihr ganzes Leder verlieren, damit die anderen neun es schaffen, elf Lederstücke zurückzuzahlen.

Dieses Gleichnis mag auf den ersten Blick ein eindrucksvolles Ergebnis liefern – es ist jedoch falsch. „Ein Investor gibt ja kein Geld, sondern Vermögen“, sagt Martin Zagler vom Institut für Volkswirtschaft an der WU Wien. Das Geld sei lediglich das Tauschmittel. Und damit könnte eine Familie etwa einen Traktor kaufen, mit dem sie den Ertrag ihrer Felder verdoppelt. Ein Zins von zehn Prozent wäre dann kein Problem. Es müsse auch nicht eine Familie ihr Geld verlieren, damit die anderen genügend zusammenbringen, da in der Realität die Geldmenge mit der Wirtschaft mitwächst. „In der Regel nimmt die Geldmenge pro Jahr um drei bis fünf Prozent zu.“

Ein Abschaffen des Zinses würde lediglich die Verfügbarkeit von Kapital schlagartig reduzieren. „Man kann auch den Bierpreis per Gesetz auf null setzen. Freibier für alle. Dann wird es aber halt keine Bierbrauer mehr geben“, so Zagler. Daher gebe es – abseits von Urvölkern ohne echte Investitionstätigkeit – auch keine Gesellschaft, die ohne Zinsen auskommt. So wird etwa im „islamischen Banksystem“ das Zinsverbot umgangen, indem der Finanzier etwa pro forma Güter kauft und mit Aufpreis wieder zurück verkauft.

Und selbst in der DDR wurden in den 1960er-Jahren im Rahmen des „neuen ökonomischen Systems der Planung und Leitung“ Zinsen in Form von Produktionsfondsabgaben eingeführt. Das Programm, das auch Leistungsboni für Arbeiter enthielt, war übrigens ein Erfolg – die Produktivität nahm deutlich zu. Aus politischen Gründen wurde das Programm Anfang der 1970er-Jahre jedoch wieder beendet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2012)

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