Brisantes Dokument: Berlin will Athen entmündigen

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Griechenland braucht wieder mal mehr Geld: Das zweite Hilfspaket muss von 130 auf 145 Milliarden Euro aufgestockt werden. Deutschland verlangt die Abgabe der griechischen Budgethoheit an die EU.

Das Blatt des Anstoßes kommt gewissermaßen aus der Zukunft. Es trägt zumindest den kommenden Montag als Erstellungsdatum. Das konnte aber nicht verhindern, dass dieses einseitig beschriebene Blatt DIN-A4-Papier am Wochenende für schwere Verstimmung zwischen Athen, Berlin und Brüssel gesorgt hat.

Die Arbeitsunterlage für europäische Politiker, die seit Freitag auch im Internet zirkuliert, trägt den technokratischen Titel „Assurance of Compliance“, was man durchaus als „Sicherung der Folgsamkeit“ übersetzen kann. In dem Dokument fordert Deutschland nicht weniger als die Abgabe der Haushaltskontrolle Griechenlands an einen (noch zu ernennenden) „EU-Haushaltsbeauftragten“.

Dieser Beauftragte hätte nach deutschem Vorschlag die Aufgabe, alle großen Ausgaben Griechenlands zu überwachen. Er hätte auch die Macht, finanzielle Entscheidungen des Landes per Veto zu revidieren, wenn diese Entscheidungen nicht den Zielen der Geldgeber Griechenlands entsprechen. Der gesamte griechische Haushalt soll auf die Zurückzahlung der Schulden ausgerichtet werden. Erst wenn diese gewährleistet ist, soll Griechenland seine staatlichen Ausgaben planen. „Griechenland muss sich per Gesetz dazu verpflichten, dem Schuldendienst Priorität einzuräumen“, heißt es in dem Dokument. Damit will Deutschland einen Bankrott Griechenlands „de facto“ ausschließen.


Noch mal 15 Milliarden. Tatsächlich würde eine Umsetzung dieses Vorhabens der Entmündigung der griechischen Regierung gleichkommen. Diese antwortete am Sonntag: „Es ist ausgeschlossen, dass wir das akzeptieren. Diese Kompetenzen fallen unter nationale Souveränität.“ Damit bewegt sich Europa auf eine Pattstellung zu. Denn in Deutschland wächst der Widerstand gegen weitere Griechenlandhilfen genauso wie jener der griechischen Bevölkerung gegen weitere Bevormundungen durch Berlin und Brüssel. Erschwerend kommt hinzu, dass die zur Griechenlandrettung benötigten Summen nicht aufhören wollen zu steigen. So berichtet das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ in seiner morgigen Ausgabe, dass das zweite Hilfspaket nicht – wie bisher beschlossen – 130 Mrd. sondern 145 Mrd. Euro betragen soll. Die Aufstockung sei laut der bereits zur Überwachung des griechischen Haushalts eingesetzten „Troika“ aus EU, IWF und EZB notwendig, weil sich die wirtschaftliche Lage in Griechenland weiter verschlechtert. Aber auch in den deutschen Regierungsparteien CDU, CSU und FDP wächst der Widerstand gegen weitere Hilfsgelder.

„Wenn die Griechen die Reformprogramme nicht umsetzen, kann es keine weiteren Hilfen geben“, sagte der CSU-Chef Horst Seehofer dem „Spiegel“. Der CDU-Mann Wolfgang Bosbach will gegen neue Griechenlandhilfen stimmen: „Den Griechen fehlt nicht der politische Wille, sondern die ökonomische Kraft, um wieder auf die Beine zu kommen“, sagte er. Sogar der Europa-Flügel der CDU scheint erstmals verunsichert zu sein. „Es hat sich eine große Verärgerung breitgemacht“, sagt der Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag, Gunther Krichbaum.

Am deutlichsten wird der bayrische FDP-Abgeordnete Erwin Lotter, der bisher allen Euro-Rettungen zugestimmt hat: „Ich gehe davon aus, dass es zu einem Staatsbankrott kommt. Die Probleme können mit mehr Geld nicht gelöst werden.“ Auch die Ratingagenturen S&P und Fitch haben bereits gesagt, dass ein griechischer Bankrott unausweichlich sei. Die Verhandlungen über die dringend notwendige Umschuldung wurden am Samstagabend ohne Ergebnis abgebrochen.

Sie sollen zwar fortgesetzt werden, wann ist aber unklar. Griechenland will, dass seine Gläubiger dem Land bis zu 100 Mrd. Euro an Schulden erlassen. Ohne Schuldenschnitt droht der unkontrollierte Staatsbankrott Griechenlands.

Euro-Tragödie

Die bisherigen Hilfsmaßnahmen für Griechenland haben entgegen der Versprechen vieler Politiker nicht funktioniert. Ein Staatsbankrott scheint unausweichlich, trotzdem fordert die „Troika“ mehr Geld für Hilfspaket Nummer zwei. Deutschland provoziert nun Athen mit der Forderung nach der Abgabe der Budgethoheit an einen EU-Verwalter. Die griechische Regierung wies die Forderung sofort zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2012)

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