Großbritannien: Polizei in privater Hand

Grossbritannien Polizei privater Hand
Grossbritannien Polizei privater Hand(c) EPA (Chris Young)
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In Großbritannien wurde erstmals ein privates Unternehmen mit der Organisation einer Polizeiwache beauftragt. Es ist der bisher am weitesten reichende Schritt der Privatisierung öffentlicher Sicherheit.

Als es im August auf Londons Straßen knallte, stand der „Bobby“ schnell in der Kritik. Wieso hatten Polizisten die plötzlichen, über drei Tage andauernden Ausschreitungen nicht im Griff? Viele Beamte würden lieber im Büro sitzen, als sich wirklich um die Probleme der Menschen zu kümmern. Der Dienst laufe ineffizient ab, argwöhnten Kritiker. „The riots“, wie die Krawalle in England genannt werden, hatten auch erst als Reaktion auf die Polizei begonnen, die den 29-jährigen Mark Duggan beim Versuch der Festnahme erschossen hatte. An den folgenden Tagen konnte die Exekutive der Lage nur schwer Herr werden.

Die Kritik war vielfältig: Die einen sagten, man würde zu viele Aufständische laufen lassen, die anderen beschwerten sich über die zu harte Hand der Polizei.

Klagen über die öffentliche Hand, die ihre Aufgaben vermeintlich ineffizient ausführt, werden in Großbritannien zumindest in Bezug auf die Polizei bald nur noch bedingt greifen. In der Grafschaft Lincolnshire wurde diese Woche erstmals ein privates Unternehmen mit der Organisation einer Wache beauftragt. Beim erfolgreichen Bieter handelt es sich um den größten Sicherheitsdienstleister der Welt, Group 4 Securicor (G4S), der schon in verwandten Feldern Erfahrung hat. Es ist der bisher am weitesten reichende Schritt der Privatisierung öffentlicher Sicherheit. Die britische Regierung tut dies vor allem, um Geld zu sparen.


Schusswaffenlizenzierung ausgelagert. „Durch unseren Dienst wird die öffentliche Hand 28 Millionen Pfund einsparen“, schätzt Nicola Savage von G4S. Das soll durch vorteilhafte Bezahlungsmuster, ein besseres Informationsnetzwerk sowie kostengünstigere Schichtsysteme erreicht werden. „An einem bestimmten Punkt werden auch Kündigungen unvermeidbar sein“, schiebt Savage nach. Denn das sieht der Sparplan der Regierung vor, der auch die Polizei bis 2014 um ein Fünftel billiger machen soll. Bei der entsprechenden Polizeiwache in der östlichen Grafschaft Lincolnshire, die erst im Sommer neu errichtet wird, werden aber zunächst alle Mitarbeiter Arbeitskräfte von G4S. Jene, deren Aufgaben eine richterliche Anordnung benötigen, bleiben hingegen öffentlich Bedienstete. Polizisten werden also weiterhin von der Regierung bereitgestellt, und G4S wird mit 508 Angestellten alle anderen Aufgaben erledigen. Bereiche wie Personal und Finanzen, aber auch Datenverarbeitung und die Schusswaffenlizenzierung werden privat angestellte Arbeitskräfte besetzen.

In Großbritannien ist dies nicht der erste große Schritt des Outsourcings öffentlicher Sicherheit. Auch fünf Gefängnisse stehen unter der Verantwortung von G4S. Das Unternehmen hat überhaupt stark von der in den letzten Jahren zunehmenden Nachfrage nach privat bereitgestellter Sicherheit profitiert. Mittlerweile hat es die Kontrollen auf dem Flughafen Heathrow übernommen sowie die Sicherung diverser öffentlicher Gebäude. Im Sommer werden auch die Olympischen Spiele von G4S überwacht. Mit 635.000 Angestellten ist das in London und Kopenhagen börsenotierte Unternehmen der größte private Arbeitgeber Europas. Auch in die Kriege in Afghanistan und Irak sind tausende G4S-Angestellte geschickt worden, ebenso in Konfliktgebiete wie Saudiarabien oder Somalia. Es werden Spuren gesichert, Minen entschärft, oder es wird Begleitschutz geleistet.

Dabei ist das Unternehmen auch wiederholt negativ aufgefallen. Auf dem Flughafen Heathrow starb 2010 ein Angolaner, der abgeschoben werden sollte, nachdem G4S-Angestellte ihn mit aller Kraft in ein Flugzeug gezerrt hatten. Auch gewerkschaftliche Arbeitnehmerrechte sollen wiederholt verletzt worden sein. Bedenken gegen die anstehende Umorganisation der Polizeistation kann Nicola Savage verstehen, jedoch nicht aufgrund dieser Vorkommnisse. „Die Menschen sind eben skeptisch gegenüber Veränderungen. Aber es wird sich für niemanden etwas ändern, außer, dass die Arbeit der Polizei durch uns günstiger wird.“


„Bobby“ bleibt beim Staat. Nach dem Deal mit der Grafschaft Lincolnshire haben sich zehn weitere Polizeibehörden gemeldet und sich das Recht gesichert, auch ihre Aufgaben G4S anzuvertrauen. Savage glaubt, dass die Polizei unter G4S schließlich weniger Kritik als zuletzt ernten wird. Auch wenn der „Bobby“ Arbeitnehmer beim Staat bleibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2012)

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