Norwegen: Kein Platz für "Euro-Flüchtlinge"

(c) EPA (ALEKSANDER ANDERSEN)
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Viele Südeuropäer suchen im ölreichen Wohlfahrtsstaat ihr Glück. Doch niemand benötigt sie dort. Nur drei Prozent der Arbeitgeber wollen Jobbewerber aus Südeuropa anstellen.

Oslo. Vassiliki hat in Griechenland Theaterwissenschaft studiert und später in einer Bank gearbeitet – bis die Pleite gekommen ist. Jetzt ist die 38-Jährige in Oslo, bereit für „jeden Job“ – bisher vergeblich. Artur zieht seit Wochen von Café zu Café und fragt nach Arbeit, manchmal springt eine Taglöhneraufgabe als Tellerwäscher heraus, meistens muss er unverrichteter Dinge weiterziehen. Vor der Krise hat er in Portugal als TV-Produzent gearbeitet, jetzt hofft er in Norwegen auf einen neuen Start. Doch der Traum von der eigenen Wohnung und der Familiengründung ist fern. Noch schläft er bei einem Bekannten auf der Couch, und die Freundin ist in Lissabon, wo sie zwar noch einen Job hat, aber nur noch zum halben Lohn.

Anderen geht es noch schlechter. Sie liegen in der norwegischen Hauptstadt im Schlafsack unter Torbögen und auf Bahnhofsbänken, und ihre Hoffnungen schwinden, dass das von der Krise kaum berührte Land auch für sie einen Platz hat. Früher waren es die Glücksritter aus Polen und dem Baltikum, die in Norwegen eine Bleibe suchten. Jetzt sind es die „Euro-Flüchtlinge“ aus den südeuropäischen Krisenstaaten, die im ölreichen Wohlfahrtsstaat auf ihre Chance lauern. Mehr als 6000 Spanier, Italiener, Griechen und Portugiesen haben im ersten Quartal in Norwegen Arbeit gefunden.

Die Dunkelziffer derer, die es nicht schaffen, ist höher. Nach den Regeln des europäischen Binnenmarkts, denen auch das Nicht-EU-Land Norwegen unterliegt, hat jeder EU-Bürger das Recht, in einem Partnerland Arbeit zu suchen. Doch das Leben hier ist teuer, und „viele können sich nur zwei Wochen leisten, dann müssen sie wieder zurück“, sagt Isabel Hillestad von der Caritas.

Drei Prozent Arbeitslosigkeit

Norwegen braucht Ölingenieure, Offshore-Techniker, Handwerker oder Bauarbeiter. Aus Südeuropa kommen „Innenarchitekten, Journalisten und Staatsrechtler, und für diese Euro-Flüchtlinge haben wir keinen Bedarf“, stellte die Zeitung „Aftenposten“ fest. Nur drei Prozent der Arbeitgeber wollen Jobbewerber aus Südeuropa anstellen, zeigte eine Umfrage der Branchenorganisation der Handelsunternehmer. „Die können nicht Norwegisch und oft auch nicht Englisch, die können wir nicht brauchen“, sagt Monica Brustad, die Personal für ihren Kosmetikladen sucht. „Viele haben die falsche Ausbildung, und viele Arbeitgeber nehmen lieber Bewerber aus Nord- und Osteuropa“, heißt es im Handelsverband.

Maria Dolores hatte früher in Spanien stets Arbeit. Doch als sie Elternzeit mit ihrem jetzt zweijährigen Sohn nahm, veränderte sich alles. Als sie zurückkehrte, wartete nur ein Halbtagsjob auf sie. Ihr Mann, ein Lokführer, hatte seine Arbeit verloren. „So kann man keine Familie versorgen“, sagt die 43-Jährige. Weil ihr Bruder in Oslo als Koch arbeitete, reiste sie nach Norwegen. Dort beträgt die Arbeitslosenrate nicht 23Prozent wie in Spanien, sondern drei. Der Staat ist nicht pleite, sondern hortet Billionen in Fonds für künftige Generationen. Doch Maria Dolores nützt das nichts. „Ich brauche eine Arbeit, irgendetwas, bis jetzt habe ich nur eine Menge Geld gebraucht“, sagt sie.

Andere haben es geschafft: Mireira hat eine Ausbildung an der Handelsakademie. Jetzt jobbt sie in Oslo als Aushilfskellnerin. Ihr Stundenlohn entspricht einem Tageslohn in Athen. Auch Artur ist fest entschlossen, das Glück im fernen Norwegen zu packen. „Es gibt keinen Weg zurück nach Portugal.“ Der 35-Jährige hat einen Vier-Punkte-Plan: erst der Job, dann die Wohnung. Dann soll die Freundin nachkommen. „Dann lernen wir Norwegisch.“ Einstweilen hapert es noch mit Punkt eins.

Auf einen Blick

In Norwegen beträgt die Arbeitslosenquote drei Prozent. In Spanien, dem EU-Land mit der höchsten Arbeitslosigkeit, liegt dieser Wert bei 23 Prozent. So zieht es viele Spanier, aber auch Portugiesen und Griechen nach Norwegen, das als Nicht-EU-Land auch den Regeln des europäischen Binnenmarkts unterliegt. Ihr Glück finden nur wenige, weil viele eine falsche Ausbildung haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2012)


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