Ungarn: Neue Milliardenkredite und neuer Rechtsstreit

Hungarian anti-government demonstrator waves the national flag in Budapest
Hungarian anti-government demonstrator waves the national flag in Budapest(c) REUTERS (Karoly Arvai)
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Zum zweiten Mal seit 2008 bekommt Budapest milliardenschwere Kredite von EU und Währungsfonds. Zwei Rechtsstreite mit Brüssel landen währenddessen vor Gericht.

[Brüssel] Die Europäische Kommission macht den Weg frei für das zweite milliardenschwere Rettungsprogramm für Ungarn seit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im Herbst 2008. Die Behörde teilte am Mittwoch mit, dass sich die ungarische Regierung ausreichend glaubwürdig zur Unabhängigkeit der Notenbank bekannt hat, um Verhandlungen über ein Kreditprogramm zu beginnen.

Der Ökonom Zsolt Darvas vom Brüsseler Forschungsinstitut Bruegel hält im Gespräch mit der „Presse" ein Kreditprogramm im Umfang von 15 bis 20 Milliarden Euro für nötig und erwartbar. Heuer müsse Ungarn rund sechs Milliarden Euro an Schulden in Fremdwährungen bedienen, in den nächsten Jahren dürfte es jeweils ähnlich viel sein. Somit würde das Abkommen mit EU und IWF für die nächsten zwei bis drei Jahre die Finanzierung des ungarischen Staatswesens zu wesentlich günstigeren Bedingungen sicherstellen, als sie die Märkte derzeit bieten.

Gehaltskürzung doch EU-konform

Die Kommission teilte mit, Regierungschef Viktor Orbán habe am Dienstag bei seinem Treffen mit Komissionspräsident José Manuel Barroso die Erfüllung all jener EU-Gesetze garantiert, die „für ein stabiles und unabhängiges rechtliches Umfeld" nötig sind. Damit sind einige Änderungen des ungarischen Rechtsrahmens angesprochen, der nach ursprünglicher Auffassung der Kommission die politische Einflussnahme auf die ungarische Geldpolitik ermöglicht hätte. Das aber ist nach EU-Recht verboten, die nationalen Notenbanken müssen ihre Entscheidungen frei von politischen Zurufen und Drohungen treffen können.

Dabei ging es vor allem um die Herabsetzung des Gehalts des Notenbankgouverneurs. Ein neues ungarische Bezügegesetz begrenzt die Höchstgehälter öffentlicher Bediensteter mit zwei Millionen Euro pro Monat - ein Viertel des gegenwärtigen Bezuges des Notenbankchefs, der bei rund acht Millionen Forint (rund 27.000 Euro) liegt. Die Kommission hatte das als Angriff auf seine Unabhängigkeit gesehen. Orbán dürfte Barroso überzeugt haben, dass diese Maßnahme alle Staatsdiener betrifft.

Zwei andere Vertragsverletzungsverfahren hingegen bringt die Kommission wie berichtet zum EU-Gerichtshof in Luxemburg. Erstens verstoße die Herabsetzung des Pensionsantrittsalters von Richtern und Staatsanwälten von derzeit 70 auf 62 Jahre gegen den Gleichheitsgrundsatz. Budapest hält dem entgegen, dass 62 das vorläufige Pensionsantrittsalter für alle Ungarn sei und in Kürze ohnehin erhöht wird. Jenen Bediensteten, die durch die Herabsetzung von 70 auf 62 Jahre ihre Posten verlören, würde auf Einzelfallbasis die Weiterbestellung angeboten.

Zweitens stößt sich die Kommission daran, dass der bisherige Datenschutzbeauftragte mit Ende 2011 sein Amt verloren hat. Seine Periode wäre noch bis 2014 gelaufen. Dass sein Amt während der laufenden Amtsperiode abgeschafft wurde, wertet die Kommission als Verstoß gegen die europarechtliche Pflicht, eine unabhängige Kontrolle des Datenschutzes herzustellen. Die ungarische Regierung hält dem entgegen, dass der Beauftragte zum 1. Jänner durch eine neue Behörde für Datenschutz ersetzt wurde.

Neuer Rechtsstreit droht

Zudem stellt die Kommission ein neues Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn in Aussicht. Noch vor dem Sommer wird Vizepräsidentin Viviane Reding ein Treffen führender europäischer Höchstrichter einberufen, um die Lage des Rechtsstaates in Ungarn zu diskutieren.

Sollte Budapest sich den Empfehlungen der sogenannten Venedig-Kommission (das ist ein Expertengremium des Europarates) widersetzen, könne es Vertragsverletzungsverfahren setzen, sagte ein Kommissionssprecher am Mittwoch.„Das wichtigste ist die Absicherung der ungarischen Wirtschaftspolitik durch EU und IWF.

Das Vertrauen der Märkte in sie ist nämlich völlig verschwunden", sagte Bruegel-Ökonom Darvas. Dass der Forint am Mittwoch aufgewertet habe und die Preise für ungarische Kreditausfallversicherungen nach der Ankündigung der Kommission gesunken seien, gebe Grund zur Hoffnung auf Besserung.

Schon im Oktober 2008 hatten EU, IWF und Weltbank ein in Summe 20 Milliarden Euro umfassendes Kreditprogramm für Ungarn geschnürt. Als Orbán nationalkonservative Partei Fidesz mit Zwei-Drittel-Mehrheit die Regierungsgeschäfte von den Sozialisten übernahm, erklärte sie die weitere ausländische Hilfen für nicht nötig.

An der umstrittenen Verstaatlichung des bisher privaten Rentensystems durch Orbán dürfte sich allerdings nichts ändern, meint Darvas: „Ich sehe keine Möglichkeit, wie das rückgängig gemacht werden könnte. Das umfasst rund zehn Prozent der ungarischen Wirtschaftsleistung." Besagte Verstaatlichung hatte zwar dazu geführt, dass Ungarn im Jahr 2011 erstmals seit seinem EU-Beitritt einen Budgetüberschuss erzielte. Die Kommission hatte diesen Überschuss von 4,6 Prozent aber als unzulässige Einmalmaßnahme kritisiert, die zudem dauerhaft dazu führen werde, dass der ungarische Fiskus das finanzielle Risko der gesellschaftlichen Alterung tragen werde.

(Red.)

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