Ratingagenturen: "Das ist ein politisches Spiel"

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Ratingagenturen erstellen keine objektiven Urteile, sagt der deutsche Ökonom Karl-Heinz Brodbeck. Je mehr Geld ein Rating bringt, desto besser ist die Note. Der "Presse" erklärt er, wie ein besseres Rating aussieht.

Die Presse: Was stört Sie so sehr an den Ratingagenturen?

Karl-Heinz Brodbeck: Man ist ja schon längst nicht mehr allein, wenn man Ratingagenturen kritisiert. Inzwischen kann die Kritik aber schon sehr konkret werden. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass die Agenturen nicht einmal ihren ureigensten Aufgaben nachkommen. Zum Beispiel richten sich die Noten nach dem Umsatz. Je mehr Geld die Agenturen mit einem Rating machen, desto besser ist die Note.


Sie spielen auf das System an, bei dem derjenige, der beurteilt wird, auch für die Note bezahlt.

Richtig. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Das darf auf keinen Fall sein. Eine andere Untersuchung hat gezeigt, dass die Agenturen nicht einmal auf die Informationen zurückgreifen, die uns allen verfügbar sind. Zwei Forscher haben ihre eigenen Einschätzungen auf Basis von Informationen angefertigt, die Sie und ich auch aus dem Internet hätten holen können. Und diese Ratings waren durch die Bank besser als die von Moody's.

Wollen Sie die Ratingagenturen abschaffen?

Objektiv gesehen brauchen wir sie nicht. Es muss also etwas anderes hinter der Macht der Agenturen stecken. Und das kann nur das Interesse von Banken und der Politik sein. Von ihrem ursprünglichen Auftrag, objektive Beurteilungen von Wertpapieren zu liefern, sind die Agenturen irgendwann einmal abgewichen. Jetzt erfüllen sie ganz andere Funktionen.

Welche denn?

Es gibt ein gewisses Doppelpassspiel mit den Banken. Bevor eine Agentur ein Down-grade ausspricht, sagen wir über Griechenland, deckt sich die Bank mit Kreditausfallversicherungen ein. Nach der Veröffentlichung des Ratings werden diese Papiere teurer, und die Bank hat einen Gewinn gemacht. Dasselbe Spiel folgt beim nächsten Downgrade. Ich möchte jetzt nicht über Insiderinformationen spekulieren, aber es würde mich schon sehr wundern, wenn es da keine Informationsflüsse gäbe.


Sind Ratings aber nicht auch deswegen so beliebt, weil sich Investoren damit ein bisschen aus der Verantwortung stehlen?

Das auch, ja. Hier hat die Bafin (die deutsche Bankenaufsicht, Anm.) sicherlich Vorarbeit geleistet, indem sie zum Beispiel Pensionsfonds bestimmte Ratings vorschreibt. Da passt dann alles: Die Agentur liefert das Rating, der Fondsmanager kann sich an etwas klammern, und alle halten sich an das Gesetz. Die Ratingagenturen bringt das aber in eine gefährliche Monopolsituation.

Wäre eine europäische Agentur da ein Ausweg?

Das wäre schon eine Alternative, aber nur, wenn sie wirklich unabhängig wäre. Nur die Banken wollen natürlich, dass die neue Agentur genau so funktioniert wie die alte, damit das System aufrecht bleibt.

Genauso problematisch wäre es aber, wenn die Agentur politischem Einfluss ausgesetzt wäre.

Richtig. Darum geht es aber: Man will ein politisches Instrument schaffen. Standard & Poor's, Moody's und Fitch spielen jetzt aber auch schon ein politisches Spiel. Sie unterstützen seit Jahren die USA in dem weltweiten Währungskrieg. Eigentlich müssten sie die USA herabstufen, doch wenn sie das täten, würde der Dollar schwächer und die Ölimporte für die USA würden unbezahlbar.

Wie sieht Ihr Lösungsvorschlag aus?

Mehr Wettbewerb hätte hier eine unheimlich heilsame Funktion. Dann müssten die Agenturen nämlich nachweisen, dass ihre Ratings gut waren. Wenn sie es nicht waren, dann verschwinden sie halt vom Markt. Daneben möchten wir zumindest Privatanlegern die Möglichkeit bieten, sich ein anderes Urteil bilden zu können. Dafür haben wir ein alternatives Länderrating entwickelt.

Wie sieht das aus?

Wir berücksichtigen zum Beispiel viele langfristige Faktoren. Natürlich sind das viele ökonomische Punkte, aber auch soziale. Etwa: Wie hoch ist die Jugendarbeitslosigkeit, wie entwickeln sich die Armut und die Kaufkraft? Eine weitere Kategorie ist die Ökologie. Umweltkosten werden früher oder später auf jedes Land zukommen. Ich weiß zwar nicht genau, welche Modelle die großen Ratingagenturen verwenden, daraus machen sie ja ein Geheimnis. Ich kann es mir aber vorstellen. Das ist die Finanzmarkttheorie, die in den 1950er-Jahren in Chicago entwickelt wurde und die 2008 grandios gescheitert ist. Aber die Agenturen haben nichts anderes.

Was bringt es dem Anleger, wenn er so ein alternatives Rating benutzt?

Er hat dadurch weniger Risiko. Und er macht sich weniger abhängig von den Manipulationen und der Hysterie, die von den Ratingagenturen ausgelöst wird. Die Risikosituation eines Landes verändert sich ja nicht von heute auf morgen. Auf den Finanzmärkten offenbar aber schon. Auch, dass die USA noch so ein gutes Rating haben, ist nicht zu erklären. Alle Kennzahlen deuten darauf hin, dass sie eigentlich viel schlechter bewertet werden müssten.

Die Kritik an den Ratingagenturen ist ja nicht ganz neu. Werden wir bald einen Aufstand gegen S&P, Moody's und Fitch erleben?

Ich kann nicht das Verhalten von Anlegern vorhersagen. Abgesehen davon glaube ich aber auch nicht, dass man das Problem damit lösen würde. Wir brauchen eine viel schärfere Regulierung der Finanzmärkte. Eine politisch motivierte Ratingagentur wird genauso wenig eine Lösung sein wie eine weitere Agentur, die mit den Banken verflochten ist. Wir brauchen eine wirkliche Alternative, auch für Kleinanleger.

Auf einen Blick

Karl-Heinz Brodbeck ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt und an der Universität München. Seit 2003 ist er Kooperationspartner der Finance & Ethics Research (FER) Academy, die am Donnerstag in Wien das FER-3-D-Länder-Screening präsentiert hat. Das Online-Analysetool soll eine nachhaltigere Länderbewertung bieten als die drei großen Ratingagenturen. Neben ökonomischen Faktoren werden auch soziale, politische und ökologische Kriterien miteinbezogen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2012)

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