Wachsender Wohlstand lässt Glücksgefühl nicht mitwachsen

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Symbolbild(c) AP (TSUGUFUMI MATSUMOTO)
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Ökonomie. Trotz stark gestiegenen Nationalprodukts und gestiegenen Einkommens sind die Menschen in China weniger zufrieden als früher.

Geht's der Wirtschaft gut, geht's allen gut? Das stimmt wohl nur in einer Richtung, zu schlecht dürfen die Dinge nicht laufen. Aber in der anderen werden die Hoffnungen nicht eingelöst: Eine Wirtschaft kann florieren, wie sie will – das Wohlbefinden des Volks, das diese Wirtschaft betreibt, wächst nicht mit. Zumindest ab einem bestimmten Level: Wenn Grundbedürfnisse gestillt sind, führt mehr Reichtum nicht zu mehr Glück.

Mit dem Befund überraschte Richard Easterlin (University of Southern California) 1974, er hatte ihn aus Umfragen von 1946 bis 1970, die etwa zeigten, dass die US-Amerikaner trotz Einkommenzuwächse nicht glücklicher geworden waren. Das ging als „Easterlin-Paradox“ in die Literatur ein, es bestätigte sich in vielen Gesellschaften, allerdings gab es auch Gegenbefunde. Easterlin wies diese zurück und hat seine Hypothese jetzt noch einmal einem Test unterzogen, an einem ganz besonderen Fallbeispiel: China.

Dort ist das Nationalprodukt pro Kopf und Jahr seit 1990 um mindestens acht Prozent pro Jahr gestiegen, es hat sich mehr als vervierfacht. Aber Easterlin findet „keine Steigerung der Zufriedenheit in dem Ausmaß, das man vom Zuwachs des Wohlstands erwarten könnte“. Im Gegenteil: Alle Befragungen seit Beginn der 90er-Jahre zeigen das Gleiche: 1990 lag die Zufriedenheit – auf einer zehnteiligen Skala – bei 7,29, dann ging sie zurück, bis 2001 um 0,76 Punkte. Erst 2007 hob sie sich wieder, erreichte aber nicht die Höhe von 1990. Ähnliches hat Easterlin schon oft beobachtet, etwa in den postsozialistischen Gesellschaften Osteuropas, der anfängliche Abschwung ist leicht erklärt, er kommt vom Schwund alter Sicherheiten.

Als in China die Wirtschaft noch im Staatsbesitz war, gab es die „eiserne Reisschüssel“, die Mitarbeiter wurden durchgefüttert – auch im Wortsinn: Es gab Lebensmittel –, sie waren unkündbar, die Gesundheitsversorgung war frei. Die Menschen fühlten sich auch gesund, die Reicheren wie die Ärmeren im gleichen Maß. Heute liegen sie in dieser Einschätzung um 28 Prozent auseinander, viele Arme können sich die teuer gewordene Medizin nicht leisten.

Das gilt auch für andere Bereiche: Zufrieden sind heute 71 Prozent der Reichen (1990: 68), aber nur 42 Prozent der Armen (1990: 65). Die Schere ist also weit aufgegangen – wie weit, ist unbekannt, seit zehn Jahren gibt es keine Statistik über die Verteilung des Reichtums im Land –, aber das erklärt nicht alles. Alle verdienen heute besser, auch die Armen (Pnas, 14. 5.). Und trotzdem fühlen sie sich nicht wohler.  jl

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