Der deutsche Ex-Finanzminister Steinbrück kritisiert Ex-Bundesbankvorstand Sarrazin. "Europa braucht den Euro nicht" ist Sarrazin überzeugt.
Der frühere deutsche Bundesbankvorstand und SPD-Politiker Thilo Sarrazin hat am Sonntag sein neues Anti-Euro-Buch "Europa braucht den Euro nicht" und seine viel kritisierte Bezugnahme auf die deutsche NS-Vergangenheit verteidigt. Er wehre sich gegen die Tendenz, dass Deutschland jenseits des Euro wegen der Schuld der Vergangenheit auch noch die Schulden anderer Länder übernehme. Dies müsse getrennt werden, sagte der frühere Bundesbanker am Sonntagabend in der ARD-Talkshow "Günther Jauch". Er diskutierte dort in einem Streitgespräch mit dem früheren Finanzminister und möglichen SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. Sarrazin hatte bereits mit einem früheren Buch zur Integration viel Kritik hervorgerufen.
Bereits im Vorfeld der TV-Sendung hatte der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Reinhold Robbe laut "Welt" Kritik geäußert: "Mit Sarrazin sollte sich niemand mehr in eine Talkshow setzen." Steinbrück hingegen suchte bewusst die Konfrontation. "Ich sitze hier, weil ich Thilo Sarrazin widersprechen will, und zwar fundamental", sagte er bei Jauch.
Steinbrück: Sarrazin-Thesen sind "Bullshit"
Sarrazin argumentierte dann, dass schon der deutsche Altkanzler Helmut Schmidt Ende 2011 auf einem SPD-Parteitag einen Bogen geschlagen habe von der deutschen Schuld am Holocaust bis hin zur gemeinsamen Währung. Steinbrück warf Sarrazin vor, Schmidt falsch zu zitieren. Schmidt habe gesagt, wenn die Ur-Motive der europäischen Integration und die deutschen Verpflichtungen aus der Geschichte nicht präsent seien, dann fehlten die politischen Voraussetzungen zur Lösung der derzeitigen prekären Lage in Europa.
Dem stimme er voll zu, sagte Steinbrück: "Deutschland hat eine europapolitische Verantwortung." Daraus ergäben sich Solidaritätsverpflichtungen, um eine Erschütterungsdynamik in Europa zu verhindern. Steinbrück warf Sarrazin eine platte ökonomische Analyse vor. "Der kann hier den größten Bullshit erzählen", kritisierte er die Thesen Sarrazins. Der Euro bedeute nicht nur Binnenmarkt und Währung, sondern auch europäische Zivilisation.
Ein Ziel dürfte Sarrazin aber erreicht haben: Sein neues Buch zu bewerben. Als ihn Jauch fragte, ob es ihn treffe, dass er im "Stern" als "Deutschlands biederster Brandstifter" bezeichnet werde, lächelte Sarrazin nur, wie das "Handelsblatt" berichtet. Von 700.000 "Stern"-Lesern würden ihn vielleicht 650.000 hassen. Doch die übrigen 50.000, "die lesen mein Buch."
"Liberaler Euro-Traum ist ausgeträumt"
Auch in einem am Montag erschienenen "Die Presse"-Gastkommentar schreibt Sarrazin davon, dass der "liberale Euro-Traum" im Augenblick ausgeträumt ist. Er setze dem Geraune von Scheitern Europas eine ganz pragmatische These entgegen: "Europa braucht den Euro nicht."
"Der bedrückende Eindruck im Frühling 2012 ist: Das Projekt 'Europäische Währungsunion' entwickelt sich nach einer Eigengesetzlichkeit, die auch die Staatenlenker und ihre Berater kaum durchschauen. Sie bestimmen nicht den Kurs, sondern reagieren bestenfalls", so Sarrazin.
(Red./Ag.)