Weltbank: Wachstumsstützen wackeln

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Die Entwicklungsländer werden den schwächelnden Westen nicht länger „mitziehen“ können, warnt die Weltbank. Eine neue Wirtschaftskrise würde auch sie hart treffen.

Wien/Jil. Die gute Nachricht zuerst: „Das Jahr hat positiv begonnen“, schreibt die Weltbank in ihrem neuesten Bericht zur globalen Wirtschaftslage („Global Economic Prospects: Managing Groth in a Volatile World“). Im ersten Halbjahr 2012 hätte sich die Stimmung an den Märkten gehoben und die Konjunktur habe angezogen – sowohl in den Industrie- als auch in den Schwellenländern. Zweitere seien sogar hauptverantwortlich für die positive Entwicklung gewesen, die auf langsames Wachstum im vierten Quartal 2011 gefolgt war. „Wieder mal“, schreibt die Weltbank in Anspielung auf die Tatsache, dass die einst stolzen Industrieländer spätestens seit der Krise 2008 auf die Entwicklungs- und Schwellenländer immer mehr angewiesen sind: als Produzenten, als Konsumenten und generell als „Wachstumsmotor“. Länder wie Russland, China, Indien und Brasilien haben seit der Krise 2008 rund 50 Prozent zum globalen Wirtschaftswachstum beigetragen.

Abhängig von Europas Banken

Aber die Weltbank warnt: Es gebe keine Garantie, dass das so weitergeht. Im Gegenteil: „Viele der größeren und schnell wachsenden Volkswirtschaften sind nah an ihrem maximalen Potenzial angelangt – oder sogar schon darüber hinaus. Das ist ein Hinweis darauf, dass sie nicht in der Lage sein werden, das globale Wachstum wie bisher voranzutreiben.“ Und diese Diagnose gilt für das Best-Case-Szenario der Weltbank: „Die wahrscheinlichste Entwicklung, die die Weltwirtschaft nehmen kann, ist eine langsame Verbesserung der aktuellen Situation.“ Es gibt aber auch ein Worst-Case-Szenario: Eine „dramatische Verschlechterung der Bedingungen“ könne nicht ausgeschlossen werden.

Die Crux: Auch die Weltbank traut sich kein Urteil über die Zukunft der Eurozone mehr zu. Nur so viel: Europa bleibt heuer in einer Rezession (Wirtschaftswachstum: minus 0,3 Prozent) und kehrt erst 2013 zu schwachem Wachstum zurück (plus 0,7 Prozent). Wie aber die europäischen Banken sich verhalten werden, das weiß auch die Weltbank nicht.

Und da liegt das Problem. Denn die Volkswirtschaften der Entwicklungsländer sind immer noch stark auf Kredite von europäischen Banken angewiesen. Und die befinden sich seit Anfang des Jahres im totalen Krisenmodus. „Kreditklemme“ nennen die Keynesianer so eine Situation. Laut Weltbank ist die Quantität europäischer Kredite im ersten Halbjahr 2012 um 40 Prozent eingebrochen. Am härtesten hat es Südasien getroffen (minus 72 Prozent). Das Volumen von Krediten aus Europa nach Russland und in die Türkei wurde um mehr als 50 Prozent geringer.

Der Grund: Die Banken trauen niemandem mehr – auch nicht einander. Statt neue Kredite zu verteilen, versuchen sie, ihr Risiko zu minimieren. Und das ist die aktuelle Situation. Im Fall einer akuten Krise könnten auch viele Entwicklungsländer gezwungen sein, Ausgaben zu kürzen oder bei Importen zu sparen – wenn das Geld von den Banken weiter ausbleibt. „Die Kreditversorgung wird wohl auch in den nächsten Jahren schwach bleiben“, so die Weltbank.

Aufgrund dieser Unsicherheiten hat die Weltbank ihre Prognosen leicht nach unten korrigiert. Sie erwartet nun in den Entwicklungsländern für 2012 ein Wachstum von immer noch 5,3 Prozent. Die reichen Länder werden nur um 1,4 Prozent wachsen – Europa bleibt in der Rezession. Die Weltwirtschaft wird laut Weltbank heuer um 2,5 Prozent wachsen.

Unsicherheit wird zunehmen

Während der Schuldenabbau im Westen noch „Jahre konzertierter Versuche von Politik und Wirtschaft“ brauchen werde, sei eben auch in den Entwicklungsländern nicht alles im Lot. So müssten laut Weltbank vor allem Jordanien, Indien und Pakistan ambitionierte Reformen durchführen, um ihre Schuldenberge auf bis zu 40 Prozent des BIPs zu reduzieren.

Das Fazit der Weltbank: Bricht die Krise wieder aus – und wird sie nur annähernd so heftig wie 2008 –, dann sind die Entwicklungsländer diesmal gefährdeter als damals. Die Volatilität werde weiter zunehmen und – solange die Eurokrise nicht gelöst sei – auch die Unsicherheit an den Märkten.

Auf einen Blick

China, Indien, Russland und andere Entwicklungsländer haben die Wirtschaft nach der Krise 2008 angetrieben. Darauf könne man bei der nächsten Krise aber nicht bauen, sagt die Weltbank. China & Co. seien bereits bei ihrem maximalen Potenzial angelangt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2012)

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