„Viele kommen, weil man Kopftuch tragen darf“

Moslems dürfen in Österreich ihren Glauben frei praktizieren – dank Religionsfreiheit. Das lockt gläubige Studentinnen aus der Türkei an, die sich durch den Laizismus in ihrer Heimat eingeschränkt fühlen.

Wien. „Belagerung Wiens durch Kopftuch-Studentinnen“ – was auf den ersten Blick nach Wahlwerbung für die FPÖ aussieht, war vor wenigen Jahren Titel einer Aufmacher-Geschichte von „Hürriyet“, einer auflagenstarken türkischen Tageszeitung. In dem Artikel wurde Österreich als „Eldorado für Kopftuch-Trägerinnen“ und die Ausübung des islamischen Glaubens geschildert – ein Ruf, der sich herumgesprochen hat. 2049 türkische Staatsbürger waren im Wintersemester 2005 an österreichischen Unis inskribiert – nach Deutschen und Bosniern sind sie damit die drittstärkste Gruppe. Zum Vergleich: Im Wintersemester 1998 waren es lediglich 1118.

Religionsfreiheit als Anreiz

Hintergrund für Österreichs pro-islamisches Image: In der Türkei ist es Musliminnen in öffentlichen Bereichen wie Unis verboten, ein Kopftuch zu tragen. Das Verbot geht zurück auf Kemal Atatürk, den Begründer der modernen Türkei, der auch die Trennung von Kirche und Staat (Laizismus) festschrieb.

In Österreich gilt jedoch der Grundsatz der Religionsfreiheit, damit gibt es auch kein Kopftuch-Verbot. Ein guter Grund für fromme Türkinnen, in Österreich zu studieren. Iman Dawoud, Leiterin von JMÖ (Junge Musliminnen Österreichs), kann das bestätigen. „Ich kenne viele türkische Studentinnen, die nach Österreich gekommen sind, weil sie hier Kopftuch tragen dürfen.“

Im Zeichen der Religionsfreiheit gibt es sogar in vielen Einrichtungen Gebetsräume, etwa an der Wirtschaftsuniversität Wien (unterhalb der Bibliothek). Eigentlich von der Evangelischen und der Katholischen Hochschulgemeinde betrieben, können sich dort auch moslemische Studenten für ihre fünf täglichen Gebete zurückziehen.

Und noch ein Punkt spricht besonders für Österreich: Anders als in Frankreich oder Deutschland wird hier das Kopftuch stark im religiösen Kontext gesehen, und nicht als „politisches Symbol“ oder gar Zeichen für einen islamischen Fundamentalismus. Dawoud: „In Österreich ist es kein Problem, Kopftuch zu tragen.“

Seit 2000 gibt es mit „Wonder“ sogar einen türkischen Verein, der Studienaufenthalte von Absolventen religiöser Schulen in Österreich organisiert. Diese sind in der Türkei beim Uni-Zugang benachteiligt. Nicht so in Wien.

Also alles eitel Wonne? Nicht ganz. „Wenn die Kopftuch-Frage sich (vom religiösen, Anm.) in einen kulturellen Kontext verlagert und sie etwa zu einer Frage der Integration hochstilisiert wird, dann könnte die Lage bald ganz anders aussehen“, warnt die Wiener Politikwissenschaftlerin Sieglinde Rosenberger, die beim EU-Projekt VEIL die Kopftuch-Debatte analysiert.

TU-Rektor: Islam vs. Aufklärung

Auch an den Unis bergen kulturelle Unterschiede Zündstoff. TU-Rektor Peter Skalicky schildert: „Iranische Studenten wollten eine Garantie, dass muslimische Studentinnen die Bankreihen nicht mit Männern teilen müssen.“ Und sie forderten sogar einen Gebetsraum an der TU – mit Unterstützung der Glaubensgemeinschaft. Skalicky wies beides zurück: „Die Uni ist ein Ort der Aufklärung, in diesem Zusammenhang halte ich den Islam für kontraproduktiv. Ich möchte nicht, dass er hier ausgeübt wird.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2007)


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