Konjunktur: Die falsche Medizin

EZB-Chef Mario Draghi wird die Geldpolitik wohl weiter lockern – auch wenn das bisher wenig gebracht hat.
EZB-Chef Mario Draghi wird die Geldpolitik wohl weiter lockern – auch wenn das bisher wenig gebracht hat.(c) APA/AFP/EMMANUEL DUNAND
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Mit bloßer Geldpolitik lässt sich die Wirtschaft offenbar nicht in Schwung bringen. Trotzdem vertrauen alle darauf, dass die EZB die Dosis ihrer wirkungslosen Medizin erhöht – statt den Hebel in der Steuerpolitik zu suchen.

Wirtschaftsprognosen, das wissen wir unterdessen zur Genüge, sind eine höchst unsichere Sache. Zuletzt waren sie aber berechenbar: Seit 2011, witzelte Anfang dieser Woche der ehemalige Bundesbank-Chef Axel Weber (jetzt UBS-Präsident) bei einem Vortrag an der Uni Zürich, habe der IWF noch jede seiner Prognosen nach unten korrigieren müssen.

Demnächst wird es wieder so weit sein: Weil sich die globale Wirtschaft seit Jahresbeginn deutlich abbremst, wird die Wachstumsprognose noch vor dem kommenden G20-Gipfel wohl um ein paar weitere Zehntelprozentpunkte gekappt werden. Das ist speziell bitter für Europa, wo die Konjunktur besonders zäh dahinplätschert und sich zuletzt die alarmierenden Meldungen von der bisherigen Lokomotive Deutschland mehren.

Jetzt ist guter Rat buchstäblich teuer. Die Europäische Zentralbank (EZB) wird auf die schlechten Daten wohl mit einer weiteren geldpolitischen Lockerung reagieren. Das ist eher ein Verzweiflungsakt, denn dass Nullzinsen und indirekte Staatsfinanzierung über Anleihenkäufe zwar möglicherweise als Akutmedizin gegen Totalabstürze wirken, aber als Dauermedikation völlig wirkungslos sind, kann man unterdessen ja eindrucksvoll an den europäischen Inflations- und BIP-Daten ablesen. Das Einzige, was die EZB mit ihrer Gelddruckerei bewirkt hat, ist eine Erleichterung der Kreditaufnahme für ohnehin schon hoch verschuldete Staaten.

Es ist auch kein Geheimnis mehr, wieso das so ist: Das zusätzlich gedruckte Geld kommt nicht dort an, wo es gebraucht würde, nämlich im Konsum und in den Unternehmensinvestitionen. Das Davoser Weltwirtschaftsforum hat in einem Papier sehr schön den Hauptgrund dargelegt: Wenn die Notenbank den Geschäftsbanken Staatsanleihen abkauft, dann erhöht sie zwar deren theoretische Fähigkeit, Kredite zu vergeben. Es bleibt aber ein bloßer Asset-Tausch zwischen Banken und Zentralbank (Staatsanleihen gegen Bankreserven), der in der realen Wirtschaft, also bei Konsumenten und Unternehmen, noch keinen Stimulus auslöst. Der erhoffte Trickle-Down-Effekt von der Zentralbank zu den Unternehmen ist folgerichtig fast zur Gänze ausgeblieben.

Ein Stimulus entstünde, wenn Konsumenten und Banken von der Notenbank direkt mehr Geld in die Tasche bekämen. Das ist das Konzept des Helicopter Money, das von Ökonomen tatsächlich als letzte verzweifelte Möglichkeit zur Beendigung der Flaute diskutiert wird.

Ein historisches Beispiel dafür gibt es ja: Reaganomics. US-Präsident Ronald Reagan hat in den Achtzigerjahren eine gewaltige Steuersenkung (der Spitzensatz der Einkommensteuer wurde von 70 auf 33 Prozent gesenkt) mit Notenbankgeld gegenfinanziert. Die Folgen waren ein gewaltiger Wirtschaftsboom – aber gleichzeitig die prozentuell größte Staatsschuldenexplosion, die Amerika je erlebt hat.

Das wäre in einer Zeit, in der die Staatsschuldenquoten der wichtigsten Industrieländer bei 80 Prozent des BIPs beginnen (Österreich hält bei 87 Prozent) nicht unbedingt die brillanteste Idee.
Aber dass in den Hochsteuerländern Westeuropas die Steuern eine wichtige Stellschraube für die Ankurbelung der Wirtschaft sind, bezweifelt kaum jemand. Auch im jüngsten Konzept des Forschungsnetzwerks Welfare, Wealth and Work for Europe, das Wifo-Chef Karl Aiginger gestern in Brüssel präsentiert hat (siehe Aiginger-Gastbeitrag auf Seite 26), spielt der (längst überfällige) umfass

nde Umbau des Steuersystems eine tragende Rolle.
Wenn es um einen direkten Impuls für die Konsum- und Investitionslust geht, hat aber auch dieses Konzept einen entscheidenden Haken: Die darin enthaltene Halbierung der Besteuerung von Arbeit wird zu 100 Prozent durch andere Steuern gegenfinanziert. Das Konzept macht also das Steuersystem gerechter und beschäftigungsfreundlicher, mehr zum Investieren oder Konsumieren bleibt dadurch unter dem Strich aber nicht.

Das ließe sich nur durch eine weder durch Schulden noch durch andere Steuern gegenfinanzierte große Steuersenkung erreichen. Das heißt: Effizienzsteigerung, Entbürokratisierung und Strukturreformen. Das Potenzial dafür ist in Europa unterschiedlich, in Österreich aber relativ hoch. Da gehen frühere Berechnungen von einem mittelfristig zu hebenden niedrigen zweistelligen Milliardenbetrag aus.

Diese Summe steht zwar nicht zu 100 Prozent für die Konjunkturstimulation zur Verfügung, weil beispielsweise eine überfällige Effizienzsteigerung im Fördersystem auf der anderen Seite auch zu Ausgabeneinschränkungen führt, aber selbst die Hälfte oder ein Drittel des Einsparungspotenzials würde hierzulande schon für einen enormen Anschub reichen. Man muss nicht einmal die Welt neu erfinden, denn die Reform-Schlagworte sind von Rechnungshof, Wifo, IHS etc. längst detailliert mit Leben erfüllt worden.

Wie sehr solche Strukturreformen helfen, hat man an der Entwicklung Deutschlands nach den Schröder-Reformen gesehen. Dass die Deutschen gerade dabei sind, das wieder zu vergeigen, ist freilich eine andere Sache.

Jedenfalls: Wenn man sieht, dass das Experiment, die Wirtschaft mit bloßer Geldpolitik auf die Beine zu bringen, gescheitert ist, sollte man sich auf die erprobte Reformalternative konzentrieren, statt die Wirtschaftswelt an den Rand des Finanzkollaps zu bringen, indem man bei einer wirkungslosen Medizin einfach die Dosis erhöht.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2016)

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