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Moderner Bahnhof, alte Strukturen, verwässerte Bahnliberalisierung.
Moderner Bahnhof, alte Strukturen, verwässerte Bahnliberalisierung.Clemens Fabry/Die Presse
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Die EU will für mehr Konkurrenz auf Schienen sorgen, die staatlichen Bahngesellschaften haben das Vorhaben aber verwässert. Es gibt nur gebremste Konkurrenz.

Als die Post und Telegraphenverwaltung noch ein Monopolbetrieb war, war die Welt überschaubar: Wer ein Telefon sein Eigen nennen wollte, stellte beim Postamt einen abgestempelten Antrag, bekam dann nach einigen Monaten, manchmal auch Jahren, einen der allseits beliebten Viertelanschlüsse zugewiesen und war, ganz nebenbei, gut beraten, gleich einen Gebührenzähler mitzubestellen, damit ihn die frei von jeder Konkurrenz gestalteten saftigen Gesprächsgebühren nicht aus dem finanziellen Gleichgewicht brachten.

Jetzt ist der Markt liberalisiert, Gespräche kosten nur noch einen Bruchteil, aus den lästigen Petenten sind umworbene Kunden zahlreicher Telekomgesellschaften geworden. Aber Konsumenten müssen sich auch jetzt natürlich ordentlich informieren, wenn sie die Segnungen der Liberalisierung richtig auskosten wollen. Denn es herrscht Tarifchaos, wie Eisenbahnergewerkschafter den Preiswettbewerb gern nennen.

Solchen fürchten sie jetzt auch für ihren Sektor. Denn die EU hat in dieser Woche den letzten Waggon ihres europäischen Eisenbahnliberalisierungsprojekts auf Schiene gebracht: die Freigabe des inländischen Bahnpersonenverkehrs für den Wettbewerb. Allerdings gibt es für die Monopolverteidiger wenig Grund zur Sorge: Die politisch bestens vernetzten Eisenbahnmonopolisten haben das Liberalisierungsprojekt bis zur Unkenntlichkeit verwässert und in die Länge gezogen.

Die Ursprungsidee war gut: Die Schienennetzwerke werden aus den integrierten Bahngesellschaften herausgelöst und in etwa nach dem Muster der Asfinag organisiert. Sie sorgen für ordentliche Infrastruktur und finanzieren deren Ausbau und Betrieb über (im Idealfall kostendeckende) Benutzungsentgelte, die sie von den staatlichen und privaten Bahngesellschaften einnehmen, die diese Netze benutzen. Für geregelten Verkehr und für die Einhaltung fairer Wettbewerbsbedingungen sorgt eine nach Möglichkeit europäische, jedenfalls aber unabhängige Schienenkontrollbehörde. Nebenstrecken, die nicht profitabel bedient werden können, werden von der öffentlichen Hand ausgeschrieben. Zum Zug kommt der Bestbieter, der dann genau definierte Verkehrsleistungen erbringt.

Klingt gut, kommt so aber nicht. Da hat sich die EU-Kommission gegen die staatlichen Monopolisten wie DB, ÖBB und so weiter leider nicht durchgesetzt. Die jetzt absehbare „Liberalisierung“ sieht so aus:
► Die Schienennetze bleiben bei den großen Monopolisten. Die haben damit einen enormen Marktvorteil gegenüber neu eintretenden Wettbewerbern. Zumal ja die nationalen Schienenkontrollbehörden nicht nur in Österreich teilweise mit Leuten besetzt sind, die entweder vom Monopolisten kommen oder Geschäftsbeziehungen mit diesem unterhalten. Unabhängigkeit sollte anders aussehen.
► Der Betrieb unrentabler Nebenbahnen, der von der öffentlichen Hand bezahlt wird, muss erst ab 2023 europaweit ausgeschrieben werden. Selbst diese Bestimmung ist noch von zahlreichen Ausnahmen und Fristerstreckungen durchlöchert. Derzeit werden (beispielsweise in Österreich) Nebenstrecken ohne Konkurrenzangebot freihändig an die staatliche Eisenbahn vergeben. Nachdem diese Verträge Laufzeiten von zehn bis 15 Jahren haben, dürfte die europaweite Ausschreibung also erst ab 2033 in Fahrt kommen.
► Das Hauptproblem des europäischen Eisenbahnverkehrs, die nationale Zersplitterung und der Aufbau von geschützten Reservaten für die nationalen Gesellschaften, wird damit sehr lang noch ungelöst bestehen bleiben.

Das ist komfortabel für die gewerkschaftsdominierten staatlichen Quasimonopolisten, die bei einer schnellen Liberalisierung (trotz unterdessen unzweifelhaft durchgeführter Effizienzsteigerungen) stark unter Druck kämen. Beispielsweise dadurch, dass sie immer noch eine Reihe von pragmatisierten Mitarbeitern haben und überhöhte Mitarbeiterstände nicht rasch genug anpassen können. Das ist in der Übergangszeit ein gravierender Konkurrenznachteil.

Ein solcher ist mittelfristig aber zumindest ebenso die Versteinerung alter Strukturen. Den während die großen Bahnen darum kämpfen, ihre Monopolstrukturen aus dem frühen 20. Jahrhundert (die, ganz nebenbei, permanente Marktanteilsverluste der Schiene nicht verhindern konnten) zu verteidigen, bastelt die Straßenkonkurrenz schon intensiv an Verkehrssystemen für das 21. Centennium.

Es klingt jetzt noch ein bisschen utopisch und muss auch nicht so kommen, aber überall auf der Welt sind beispielsweise schon Experimente mit selbstfahrenden Autos in Gang. In 20, vielleicht auch schon in zehn oder 15 Jahren, also zu der Zeit, in der die Eisenbahnen nach den jetzigen Plänen langsam in Richtung Konkurrenz auch im Regionalverkehr umschwenken müssen, könnten beispielsweise sehr flexibel einsetzbare, gekoppelte selbstfahrende Fahrzeugkonvois bereits den Güter- wie den Personenverkehr revolutioniert haben. Wenn bis dahin auch Elektromobilität technisch so weit ist, dass man sie vernünftig einsetzen kann, dann werden sich selbst modern organisierte Eisenbahnsysteme damit ein wenig schwer tun.

Systeme, die in diesem Umfeld mit Organisationsformen aus der Dampflokomotivenzeit reüssieren wollen, werden dann einfach vom Markt verschwinden. Davor sollten Gewerkschafter mehr Angst haben als vor Tarifchaos durch Konkurrenz.


E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

(Print-Ausgabe, 22.04.2016)

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