Schikaniert und finanziell ausgehungert

Reinhold Mitterlehner und Christian Kern.
Reinhold Mitterlehner und Christian Kern.(c) APA/HELMUT FOHRINGER
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Die Regierung hat ein paar sehr vernünftige Initiativen gegen bürokratische und finanzielle Schikanen für KMUs angekündigt. Jetzt warten wir ungeduldig darauf, dass diese Pläne auch umgesetzt werden.

„Wir wissen, dass im Bereich von Klein- und Mittelbetrieben die meisten Arbeitsplätze geschaffen werden. Daher werden wir diesen Sektor sehr konzentriert unterstützen müssen: durch das Wegräumen unnötiger bürokratischer Hindernisse, aber auch durch andere Maßnahmen, etwa im Hinblick auf den Eigenkapitalsektor. So zum Beispiel ist die Reform der Gewerbeordnung ein besonders wichtiges Anliegen. [. . .] Dem Mangel an Eigenkapital der österreichischen Unternehmen wird durch weitere Reformen des Kapitalmarktes entgegenzuwirken sein.“

Von wem stammen diese Sätze? Christian Kern? Reinhold Mitterlehner? Könnte sein, oder? Ist es aber nicht: Viktor Klima hat das laut stenografischem Protokoll des Nationalrats am 29. 1. 1997, also vor fast 20 Jahren, in seiner Regierungserklärung von sich gegeben.

Wenn Kern und Mitterlehner jetzt also löblicherweise bürokratische Erleichterungen für die Unternehmensgründung, eine Entrümpelung der Gewerbeordnung und Verbesserungen bei der Mittelstandsfinanzierung ankündigen, dann reden sie über sehr alte Hüte. Selbst die Start-up-Förderung ist schon in einigen Regierungsprogrammen gestanden. Und teilweise sogar umgesetzt worden. Allerdings mit mäßigem Erfolg: Der Start-up-Boom blieb aus, die Förderungen wurden nach und nach wieder zurückgefahren. Gerade erst am 1. Juli, fünf Tage vor der Ankündigung der Kern'schen Start-up-Offensive, ist der sogenannte Start-up-Scheck des AWS eingestellt worden.

Es geht jetzt also um die schnelle Umsetzung der im Prinzip alten Ideen. Denn die Investitions- und Gründungsschwäche der heimischen Wirtschaft hat auch viel damit zu tun, dass niemand mehr an die Verwirklichung all der vielen schönen Ankündigungen glaubt. Und sich deshalb demotiviert bei Investitionen zurückhält.

Wegen einer bloßen Anstoßförderung geht nämlich noch niemand unternehmerisches Risiko ein. Er muss schon einigermaßen sicher sein, dass wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen einigermaßen stimmen. Und dass ihm nicht ständig bürokratische Prügel zwischen die Beine geworfen werden.

Das geht jetzt weit über die viel zu bürokratische Unternehmensgründung hinaus. Auch wenn das Werkel einmal läuft, müssen vor allem kleinere Unternehmen viel zu viel Kapazität für die Erfüllung bürokratischer Vorgaben abzweigen, statt diese produktiv einsetzen zu können. Hier kann also der (auch von den Vorgängerregierungen schon versprochene) One-Stop-Shop für die Betriebsgründung nur ein erster Schritt sein.

Ein ganz großes Thema ist beispielsweise die Lohnverrechnung, die für viele Kleine (und gerade in der Start-up-Phase sind Unternehmen sehr klein) zur Geheimwissenschaft geworden ist, die sich nur mehr teuer extern abwickeln lässt. Denn welcher Kleinunternehmer hat schon Zeit und Muße, sich intensiv mit Steuergesetzen zu befassen, bei denen es in den vergangenen Jahren im Schnitt alle zwei Wochen (!) Änderungen gegeben hat?

Diese Gesetzesflut einzudämmen, wäre eine wirtschaftsbelebende Maßnahme, die die Regierung ganz allein in den Händen hat. Aber auch in der Abwicklung gäbe es viel Luft nach oben. Ein unternehmerischer „Presse“-Leser fragt zum Beispiel, wieso er gehaltsbezogene Zahlungen mit unterschiedlichen Berechnungsmodellen berechnen und dann an unterschiedliche staatliche Institutionen (Finanzamt, Sozialversicherung, Magistrat) überweisen muss, statt dass er einen fixen Prozentsatz des Auszahlungsbetrags an eine zu gründende staatliche Bundeszahlungsagentur abliefert, die den Betrag dann an die einzelnen staatlichen Stellen weiterleitet.

Das klingt utopisch, zumal diese Bundesagentur ja dann auch die individuelle Abrechnung von Absetzbeträgen, Pauschalen etc. übernehmen müsste, aber das wäre einmal ein echte Entlastung der Betriebe.
Wobei: Selbst mit kleineren Teillösungen wäre den Unternehmen schon geholfen. Der vorhin zitierte Unternehmer beispielsweise fragt sich, welchen Sinn die jährliche E-Card-Gebühr haben soll. Die muss Mitarbeitern jeweils im November vom Gehalt abgezogen werden. Der Vorgang ist in einem extra Formular festzuhalten, die Aufzeichnungen sind aufzuheben. Die Überweisung der Gebühr wird dann noch bei der Sozialversicherung verwaltet und kontrolliert.

Ziemlich viel Aufwand für derzeit 11,10 Euro pro Arbeitnehmer. Zumal sich diese 11,10 Euro ja auch gleich in die allgemeinen Sozialversicherungszahlungen einrechnen ließen. Bei einem Angestellten fallen durchschnittlich 10.000 Euro an Sozialversicherungszahlungen (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge) pro Jahr an. Da würde der eine Euro pro Monat wohl nicht groß auffallen. Aber zu einer Entbürokratisierung sowohl beim Unternehmen als auch beim Sozialversicherungsträger führen. Der Teufel steckt eben oft auch in kleinen Details.

Dann wäre da noch die Finanzierung: Wenn Kern und Mitterlehner ihre Ankündigung wahr machen, dann wird Jungunternehmern beim Start künftig doch mehr als jetzt geholfen. Wobei man allerdings auch die Dimensionen beachten muss: Ungefähr gleichzeitig mit der Ankündigung der österreichischen Regierung, 185 Mio. Euro in die Start-up-Finanzierung zu stecken, hat der deutsche Siemens-Konzern verlautbart, allein eine Mrd. Euro für ein Start-up-Finanzierungsprogramm auszugeben.

Aber immerhin: Eine Starthilfe wäre gegeben. Aber was geschieht später? Ein „Presse“-Leser schilderte das Dilemma kürzlich so: Er habe einen unverhofften Großauftrag erhalten, den er aber ablehnen müsse. Seine Bank, die ihre Kreditregeln stark verschärft habe, verlange nun unzumutbare Sicherheiten für die Finanzierung der für die Expansion notwendigen Maschinen.
Alternative Finanzierungen sind in Österreich aber rar. Die von Klima vor 20 Jahren angekündigte Kapitalmarktoffensive für KMU hat ja nie stattgefunden, der Versuch, eine Mittelstandsbörse zu etablieren, wurde politisch abgedreht. Der gesetzliche Rahmen (Prospektpflicht etc.) macht die Inanspruchnahme des Kapitalmarkts für Kleinere viel zu teuer.

Die Regierungspläne für eine Mittelstandsfinanzierungsgesellschaft sind, wenn sie denn wahr werden, ein guter Anfang. Aber wenn man den KMU wirklich auf die Beine helfen will, dann muss man ihnen den Kapitalmarkt viel weiter öffnen. Da warten wir noch auf Initiativen.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.07.2016)

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