Fliehkräfte, die am Euro zerren

Nobel Prize-winning economist Joseph Stiglitz attends a keynote presentation during CLSA investors conference in Hong Kong
Nobel Prize-winning economist Joseph Stiglitz attends a keynote presentation during CLSA investors conference in Hong Kong(c) REUTERS (BOBBY YIP)
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Wieder einmal sieht ein US-Nobelpreisträger den Euro untergehen. Das Schlimme daran: Ganz unrecht hat er mit seiner Diagnose nicht. Langsam entsteht Handlungsbedarf.

Den Euro werde es in zehn Jahren zwar noch geben – aber er werde keine 19 Mitglieder mehr haben. Und: Es sehe so aus, als würde Italien als Erstes aus der Gemeinschaftswährung ausscheren müssen, weil das Land im Euro-Korsett nicht mehr auf die Beine komme. Mit diesen in einem „Welt“-Interview aufgestellten Thesen hat der amerikanische Nobelpreisträger und Ex-Weltbank-Chefökonom Joseph Stiglitz gestern für Furore gesorgt.

Jetzt kann man das durchaus relativieren: Amerikaner haben den Euro von Anfang an als unliebsame Konkurrenz für die Weltleitwährung Dollar gesehen, die Geschichte des Euro war demgemäß von Anfang an begleitet von Niedergangsprophezeiungen amerikanischer Nobelpreisträger.

Auch das Urteilsvermögen von Stiglitz kann man ruhig weniger ernst nehmen, als das viele hierzulande tun. Immerhin ist er auch dadurch bekannt geworden, dass er die Wirtschaftspolitik des venezolanischen Ex-Präsidenten Hugo Chávez mehrmals ausführlich gelobt und als beispielhaft für Lateinamerika hingestellt hat. Wenn man sich Venezuela heute ansieht, erkennt man da doch einen gewissen Gap zwischen professoraler Theorie und Realität. Beunruhigend ist da eher, dass dieser Anhänger des grandios gescheiterten „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ jetzt als Wirtschaftsberater der US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton auftritt.

Aber in Sachen Euro hat Stiglitz schlicht recht: Die Gemeinschaftswährung ist falsch aufgezogen, weshalb die Fliehkräfte immer stärker werden. Wenn nicht dagegen gesteuert wird – und danach sieht es nicht wirklich aus – dann wird uns die ganze Konstruktion irgendwann um die Ohren fliegen.

Das Schlimme daran: Dieser Befund ist nicht ganz neu. Von Anfang an war klar, dass man eine gemeinsame Währung über (damals) zwölf recht unterschiedliche Volkswirtschaften nicht einfach drüberstülpen kann, ohne für eine halbwegs konsistente Wirtschafts- und Finanzpolitik zu sorgen. Von Anfang an war auch klar, dass die dafür wahrscheinlich notwendigen Vereinigten Staaten von Europa in der Bevölkerung nicht durchzusetzen waren. Man hat das Projekt also verkehrt herum aufgezogen, und den Euro eingeführt in der Hoffnung, dass man die politische Union damit durch die Hintertür bekommt.

An dieser Stelle, in der „Bilanz“ vom 8. Jänner 2002, der Euro war als gesetzliches Zahlungsmittel gerade acht Tage alt, stand zu lesen: „Ob das jetzt, was viele nicht wollen, in den Vereinigten Staaten von Europa mündet oder ob die Nationalstaaten weitgehend Kompetenzen abgeben, nach außen hin aber weiter Souveränität spielen, ist dabei wirtschaftlich weniger von Bedeutung. Wichtig ist aber, dass eine gemeinsame Währung eine gemeinsame Wirtschaftspolitik und auseichend regionale Ausgleichsmechanismen benötigt. Ersteres ist sehr eingeschränkt verwirklicht. Zweiteres gar nicht.“

Und daran hat sich in den vergangenen 14 Jahren leider nichts geändert. Der Plan, eine an die EZB abgetretene Zinspolitik und die strengen Konvergenzkriterien des Maastricht-Vertrags die Klammer bilden zu lassen, ist – wie abzusehen war – gescheitert. Aus zwei Gründen: Einheitliche Zinspolitik eignet sich zum Ausgleich regionaler Unterschiede nicht. Im Gegenteil: Sie verschärft die Gegensätze zwischen boomenden und schwächelnden Regionen noch. Und die Konvergenzkriterien des Maastricht-Vertrags werden von den Mitgliedsländern schlicht ignoriert. Die sind genau so totes Recht wie der Dublin-Vertrag. Wer immer diese Kriterien verletzen will, kann das praktisch konsequenzenlos tun.


Das Ergebnis ist genau das, was wir sehen und was uns Stiglitz wieder einmal vor Augen geführt hat. Dem wird man ins Auge sehen müssen. Man wird also über die schrittweise Abgabe weiterer Kompetenzen etwa in Sachen Steuer- und Wirtschaftspolitik an Brüssel reden und sich mit unschön ideologiebehafteten Begriffen wie Transferunion auseinandersetzen müssen. Was in der derzeitigen Konstruktion der EU schwierig und in der Öffentlichkeit wohl nicht durchzusetzen ist. Also über das, was Europapolitiker die Vertiefung der Union nennen.

Oder man wird zu einer Gemeinschaftswährung nach dem Muster der früheren deutsch-österreichischen Hartwährungspolitik finden müssen: Alle orientieren sich am Stärksten. Und wer nicht mithält, fliegt eben raus. Auch das kann, wie man am Beispiel Österreichs gesehen hat, funktionieren. Aber eine richtige Europawährung wird das natürlich nicht mehr.

Und auch das ist natürlich eine gewaltige Abgabe an Souveränität, noch dazu, ohne mitreden zu können. Sozusagen Maastricht auf die harte Tour. Nicht umsonst wurde während der Zeit der Hartwährungspolitik gewitzelt, Österreich könnte seine Nationalbank durch einen Telefonanrufbeantworter mit der Ansage „Jawohl Herr Bundesbankpräsident“ ersetzen.

Was man auf Dauer aber nicht machen kann, ist, Einheitswährung zu spielen, ohne die politischen Voraussetzungen dafür zu haben. Das hält keine Währung auf Dauer aus.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2016)

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