Viele Milliarden für nicht existente Verkehrsachsen

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Das "Jahrhundertprojekt" Koralmbahn basiert auf einer Fiktion. Wir stecken also 10 bis 15 Mrd. Euro in ein politisches Prestigeprojekt von ausschließlich regionaler Bedeutung - bis zu 1800 Euro pro Österreicher.

Das jüngste mediale Aufkochen einer drei Jahre alten Knoflacher-Studie (vgl. „Die Bilanz“ vom 7. März 2007), die die Kosten der Koralmbahn mit mindestens 10 statt der damals noch offiziell genannten 4,2 Mrd. Euro beziffert, hat kürzlich zu beachtlichen politischen Reaktionen geführt. Am bemerkenswertesten wohl jene des Kärntner Landeshauptmanns Gerhard Dörfler, der gemeint hat, das „Jahrhundertprojekt Koralmbahn“ sei als Teil der total wichtigen „Baltisch-Adriatischen Verkehrsachse“ unverzichtbar, die Kosten des Projekts lägen mit „unverändert“ 5,2 Mrd. Euro voll im Plan.

„Unverändert“ ist gut: Vor drei Jahren waren es noch 4,2 Mrd., beim „Spatenstich“ im Jahr 2001 war man von 2,5 Mrd. ausgegangen. Das Beste daran: Finanzierungskosten sind hier, wie bei Infrastrukturbauten üblich, nicht eingerechnet.

Gerhard Dörfler kann als ehemaliger Volksbank-Filialleiter natürlich nicht wissen, dass Finanzierungen etwas kosten. Aber der Infrastrukturministerin Doris Bures könnte man wenigstens erzählen, dass das Geld nicht aus der Hausdruckerei des Josef Pröll, sondern von Anleihegläubigern kommt. Und dass die dafür etwas haben wollen. Wenn jeder Häuselbauer weiß, dass Kreditkosten den Preis für ein Bauprojekt schnell verdoppeln, dann könnte sich das ja auch bis zu den Experten im Ministerium herumsprechen.

Die 10 Mrd. Euro Kosten für Koralmbahn samt Tunnel haben wir bei seriöser Rechnung also schon jetzt. WU-Verkehrsexperte Sebastian Kummer hat in einer Studie vor einigen Jahren aber schlüssig dargelegt, dass die Baukostenüberschreitung bei Infrastrukturvorhaben normalerweise 50 bis 100 Prozent beträgt. Unter anderem deshalb, weil Projektkosten aus Gründen der politischen Machbarkeit meist viel zu tief angesetzt werden (wie man ja auch bei der Koralmbahn sieht).

Wir können also davon ausgehen, dass die Koralmbahn am Ende auf heutiger Preisbasis so zwischen 12 und 15 Mrd. Euro kosten wird. Also bis zu 1800 Euro pro Österreicher. Dafür bekommen wir aber das Kernstück der berühmten Baltisch-Adriatischen Verkehrsachse von Danzig an die Adria, nicht wahr. Die ist so wichtig, dass sie von der EU nicht als prioritäres TEN-Projekt (TEN steht für Transeuropäische Netze) eingestuft und deshalb auch nicht gefördert wird.

Machen wir die Probe aufs Exempel und kaufen wir uns in Danzig eine Fahrkarte nach Venedig: Vier Verbindungen am Tag werden angeboten, drei davon gehen aber über Deutschland. Der eine Zug, der die berühmte Verkehrsachse nimmt, startet um 21.10 Uhr und ist um 2.52 Uhr des übernächsten Tages (nach zweimaligem Umsteigen) in der Lagunenstadt. Macht eine Fahrzeit von knapp 30 Stunden (5 Stunden mehr als über Deutschland) und einen Schnitt von 52 Stundenkilometern. Wenn es den Koralmtunnel schon gäbe, würde sich die Fahrzeit auf 29 Stunden verkürzen. Da nehmen wir doch lieber das Fahrrad.

Aber der Güterverkehr? Der ist in Polen dramatisch geschrumpft, weil er sich – wie überall in Europa - mangels vernünftigen Bahnangebots auf die Straße verlagert hat.

Mit anderen Worten: Die Baltisch-Adriatische-Verkehrsachse existiert auf der Schiene nicht. Es gibt nicht einmal eine Danubisch-Adriatische Achse: Von Wien kommt man auf der Südstrecke am Tag nur ein einziges Mal ohne Umsteigen nach Italien.

Das Problem der europäischen Bahnen sind ja nicht fehlende Tunnels, sondern schlechte Organisation und technische Kleinstaatlerei, die mit hohen Stehzeiten dafür sorgen, dass die Durchschnittsgeschwindigkeiten auf dem aus der Monarchie gewohnten Dampflokniveau bleiben.

Wir stecken also 10 bis 15 Milliarden Euro in ein politisches Prestigeprojekt von ausschließlich regionaler Bedeutung. Nämlich in die parallel zu einer Autobahn verlaufende Verbindung Graz-Klagenfurt.

Kann sein, dass uns das 10 Steuererhöhungen von diesjährigem Ausmaß wert ist. Aber ehrlich sagen sollte man es. Und nicht der Bevölkerung ein auf nicht existenten Verkehrsachsen beruhendes Lügengebäude vorgaukeln.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14. Oktober 2010)

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