Sechs Jahre im Auge des Sturms

Der Euro ist nicht zusammengebrochen, und auch Griechenland ist noch dabei. Trotzdem geht die Reise weiter. [
Der Euro ist nicht zusammengebrochen, und auch Griechenland ist noch dabei. Trotzdem geht die Reise weiter. [(c) REUTERS
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Wir erleben eine Chaosphase, die das ganze Finanzsystem durcheinanderwirbelt. Aber keine Sorge: Jeder Sturm zieht vorüber.

Der Morgen des 10. Mai 2010 war, soweit ich mich erinnern kann, ein sonniger. Der Weg zur Bankfiliale schräg gegenüber meiner damaligen Wohnung in Wien Neubau war nicht weit. 100 Meter vielleicht. In der Tasche meine Sparbücher.

Die Leute auf der Straße wirkten wie an jedem Montagmorgen: Unausgeschlafen, grantig, wienerisch eben. Nichts wies damals darauf hin, dass nur wenige Stunden zuvor wieder ein Euro-Krisengipfel in Brüssel abgeschlossen wurde. In den Zeitungen stand, dass unsere schöne Gemeinschaftswährung fast zusammengebrochen wäre. Aber die Leute schien das kaum zu interessieren. Äußerlich war das ein ganz normaler Tag. Mir war aber klar: Es ist jetzt Zeit zur Panik.

Also nahm ich die Sparbücher und tauschte die mickrigen Ersparnisse eines 27-Jährigen Jungjournalisten auf einen Schlag gegen Gold ein. Die Bankangestellten lachten mich aus. Wohl mit gutem Grund, schließlich hatte ich nicht die geringste Ahnung, was ich da tat.

Mit Geld, mit Währungen oder mit Gold hatte ich mich bis dato nie auseinandergesetzt. Wozu auch, ich hatte ja keines. Beruflich war ich auf die große Kunst der Reportage konzentriert. Wirtschaft? Viel zu langweilig. Die Aktion mit den Sparbüchern war eine reine Impulshandlung.

Freilich, die große Krise von 2008 war uns schon noch in Erinnerung – aber nur als abstraktes Problem der Finanzmärkte. Auch die damals beginnende Griechenland- und Eurokrise wirkte keineswegs so bedrohlich, dass sofortige Panik angebracht gewesen wäre. Merkel hat das im Griff, war der Tenor in den Medien. Aber mein Unterbewusstsein dürfte entschieden haben: Genug ist genug, nach zwei Paukenschlägen dieser Größenordnung muss gehandelt werden.

Um das vorweg zu nehmen: Ich hatte Glück. Der Goldpreis ist in den Jahren der Eurokrise in lichte Höhen geklettert. Den Kurs, zu dem ich eingestiegen bin, haben wir nie wieder gesehen. Stattdessen gab's hohe Inflation, dann plötzlich Angst vor Deflation. Es gab ein irres Zentralbank-Experiment nach dem anderen. Zuerst die Geldflut, dann die Negativzinsen und sogar eine Debatte über die Abschaffung des Bargelds. Monetäre Normalität sieht anders aus.

Aber immerhin: Der Euro ist nie zusammengebrochen und auch Griechenland ist noch dabei. Und trotzdem geht die Reise weiter, die ich damals angetreten habe.

Gold ist eine Versicherung

Hat das Gold mich reich gemacht? Natürlich nicht. Erstens hatte ich ja viel zu wenig Geld am Sparbuch, als dass es ins Gewicht gefallen wäre. Und zweitens habe ich nicht verkauft, als der Preis in den Himmel stieg, auf rund 1400 Euro pro Unze. Wozu auch? Das glänzende Metall war ja nicht als Investment gedacht, sondern als Versicherung.

Ich dachte damals, ich hätte mein Geld „schlau investiert“, aber in Wahrheit bin ich bloß von einer Sparform in die andere gewechselt. Vielleicht war es ein Stück evolutionärer Eingebung, die mich dazu geführt hat – immerhin bunkern die Menschen seit Jahrtausenden Vermögen in Edelmetallen. Sie sind in den allermeisten Fällen auch gut gefahren damit.

Ich bin auch nicht allein. Seit der Lehman- und Eurokrise stellen sich immer mehr Menschen die Frage, was nicht stimmt mit diesem Finanzsystem. Das zeigt sich nicht zuletzt an der weiterhin rekordverdächtigen globalen Nachfrage nach Gold, das sogar an den Börsen bis heute als „sicherer Hafen“ gilt. Auch andere Sachwerte und Wertsachen sind gefragt: Rohstoffe, Kunst, Immobilien, Oldtimer, sogar Weine. Auf all das kann man an den Börsen spekulieren. Aber die schnelle Welt der Märkte mit all den exotischen, englischen Begriffen und Abkürzungen lenkt eigentlich nur ab: Die allermeisten Menschen sind eben keine Investoren. Wir sind Sparer.

Wir arbeiten, verdienen ein bisschen Geld – und mit ein bisschen Glück können wir auch etwas auf die Seite legen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich in Österreich zu diesem Zweck vor allem das Sparbuch durchgesetzt, das ich damals in heller Aufregung leer geräumt habe. Aber diese konservative Art des Sparens ist seitdem sturmreif geschossen worden vom Markt und den Zentralbanken – mittels extrem niedriger Zinsen.

Gebt euer Geld aus, lautet die Botschaft heute. Konsumiert oder investiert, aber tut was damit! Noch nicht mal die Flucht ins Bargeld will man erlauben. Die Sparer werden belagert. Das ist aber nicht Sinn und Zweck der Übung, sondern nur ein Symptom. Genauso wie die Renaissance des Goldes nur ein Symptom ist. Das glänzende Metall steht keineswegs im Mittelpunkt dieser Krise, könnte aber einen Ausweg bieten. Sowohl für Einzelne wie auch für das ganze System.

Aber zuerst müssen wir durch diese Phase des Chaos. Wir befinden uns, was das Währungssystem betrifft, in der größten geopolitischen Verschiebung seit dem Zweiten Weltkrieg, in der Transformation von einem unipolaren System, das vom US-Dollar dominiert wird, in ein multipolares System, in dem Dollar, Euro, Pfund, Rubel und Yuan in einer Koalition regieren.

Dieser Prozess läuft schon viel länger, als man glauben möchte – einige Jahrzehnte mindestens. Aber er hat dramatisch an Fahrt aufgenommen. Es gibt – in meinen Augen – auch keine Alternative zu diesem Prozess, außer einen ungeordneten Zusammenbruch.

An genau dieser Stelle der Unsicherheit setzen die vielen Scharlatane und Wunderheiler an, die vorgeben zu informieren und doch nur Nebelgranaten werfen, um Geld zu machen. Deshalb an dieser Stelle mein Disclaimer: Ich verfüge weder über eine Kristallkugel noch über Insiderinfos über das Geldsystem der Zukunft.

Auch habe ich an meinem Schreibtisch nicht meine eigene kleine Welt entworfen, die ich Ihnen jetzt als Utopia verkaufen möchte. Aber nach sechs Jahren Beschäftigung mit der Frage, wie wir hier gelandet sind, wie es weitergehen könnte, bin ich auf einige – so hoffe ich – interessante Perspektiven gestoßen, die ich Ihnen an den kommenden Samstagen nicht vorenthalten will.

Und keine Sorge. Es besteht kein Grund zur Panik. Das ist alles schon da gewesen – nur halt nicht in dieser Größenordnung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2016)

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