Blockchain: Die zweite Phase der digitalen Revolution?

An illustration photo shows a Bitcoin (virtual currency) paper wallet with QR codes and a coin are seen at La Maison du Bitcoin in Paris
An illustration photo shows a Bitcoin (virtual currency) paper wallet with QR codes and a coin are seen at La Maison du Bitcoin in Paris(c) REUTERS (BENOIT TESSIER)
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Zuerst kam Ablehnung. Jetzt folgt Euphorie: Die Banken stürzen sich auf die Bitcoin-Technologie. Was die Blockchain alles kann. Theoretisch.

Sie heißen Ethereum, Ripple, oder Monero. Es gibt schon mehr als 700 von ihnen. Aber die meisten Menschen kennen höchstens das Original: Bitcoin. Die digitale Währung hat in den vergangenen Jahren für einiges Aufsehen gesorgt. Zuletzt ist der Kurs wieder stark gestiegen. In Sachen Performance über zwölf Monate liegt Bitcoin nur hinter dem vergangene Woche an dieser Stelle besprochenen Orangensaft, dessen Preis zuletzt durch die Decke gegangen ist. Über einen Zeitraum von drei Jahren hat Bitcoin gegenüber dem US-Dollar sogar 238 Prozent zugelegt. Und binnen fünf Jahren ist der Preis um die Kleinigkeit von 19.000 Prozent gestiegen. Sie lesen richtig. Neunzehntausend Prozent.
Ein Grund für die Begeisterung: China hat abgewertet und versucht nun, seine Bürger daran zu hindern, Geld außer Landes zu schaffen. Der Bitcoin-Kurs korreliert schön mit dem Dollar-Kurs gegenüber dem Yuan. Jetzt starten die Behörden einen neuen Anlauf, den Bitcoin-Handel einzuschränken. Bisher sind sie daran gescheitert.
Es ist wohl eine Überreaktion der Kommunisten. Denn auf den Weltmärkten hinterlassen Bitcoins und ähnliche Kryptowährungen bisher kaum Spuren – auch wenn man inzwischen sogar an Schweizer Fahrscheinautomaten Bitcoins kaufen kann. Insgesamt stecken nicht einmal 20 Mrd. Dollar in solchen Vehikeln. Zum Vergleich: Wenn wir alle Staatsschulden zusammenrechnen, kommen wir auf mehr als 200 Billionen, also 200.000 Milliarden Dollar – das Zehntausendfache. Von den geschätzten 630 Billionen bis 1,2 Billiarden Dollar, die in irgendwelchen Derivaten stecken, ganz zu schweigen.
In der Start-up- und auch der Finanzbranche hat Bitcoin aber trotzdem schon eingeschlagen. Denn inzwischen haben Banken, Firmen und auch Zentralbanken das Potenzial der dahinterliegenden Technologie erkannt. Die sogenannte Blockchain könnte nicht nur das Geldwesen durcheinanderwirbeln – sondern den gesamten Finanzsektor. Mehr noch: In praktisch jeder Branche gibt es Einsatzmöglichkeiten. Blockchain, auf Deutsch wörtlich Blockkette, könnte eines Tages praktisch jede Aufgabe übernehmen, für die es heute Mittelsmänner braucht. Denn Blockchain bringt eine jahrhundertealte Tradition in die digitale Welt. Die Technologie erlaubt eine fälschungssichere Buchführung zu praktisch jedem Gegenstand. Sie findet sozusagen in der Cloud statt – und ist transparent, also nachvollziehbar.
Für jede Verwendung kann man theoretisch eine eigene Blockchain schaffen. Bitcoin ist bloß das älteste und erfolgreichste Beispiel: „Man kann sich das wie einen Umkleideraum vorstellen, wo die Türen der Kästen transparent sind“, sagt der israelische Blockchain-Experte Amit Harel im Gespräch mit der „Presse“: „Wir wissen, was in den Kästchen ist. Aber nicht, wer das Kästchen besitzt.“ Transaktionen werden zwischen den Teilnehmern anonym abgewickelt und dann dem Netzwerk bestätigt.
Komplizierte Computeralgorithmen überprüfen diese Bestätigungen – und zwar mehrere hundert Mal an verschiedenen Orten. „Erst wenn das Netzwerk mehrheitlich die Transaktionen absegnet, werden diese zur neuen Realität“, sagt Harel. Ein neuer Block wird geschaffen – und an die Kette angehängt. Können die Computer die Transaktion nicht bestätigen, weil eine Seite sich betrogen oder bestohlen fühlt, wird sie rückgängig gemacht. „Das macht die Blockchain zu einer Plattform für das sichere Management von Assets in der digitalen Welt. Wenn jemand heute in Ihr Konto hackt und Geld stiehlt, sehen Sie das nie wieder“, sagt Harel, der bei Deloitte in Israel seit fünf Jahren als Director mit Start-ups arbeitet.

Die Einsatzmöglichkeiten fangen klein an. Zum Beispiel bei einem Konzertticket, das per Mail zugesandt wurde. „Wenn ich es ausdrucke und dann an einen Freund schicke, der es auch ausdruckt – wer kommt dann rein? Wer zuerst da ist“, sagt Harel. Ein fälschungssicheres digitales Register für Konzertkarten würde dieses Problem lösen. Ein anderes Beispiel ist das Grundbuch. Das könnte theoretisch komplett ersetzt werden. „Wir sehen hier wirklich die zweite Phase der digitalen Revolution. Die erste Phase war der Schritt zu mobilen Geräten. Jetzt geht es um die Frage, wie wir in der digitalen Welt mit Assets umgehen werden.“ Die Blockchain ist das echte Internet der Dinge.
Natürlich gibt es auch Probleme und Gefahren. Denn zur Buchführung muss erst jedem Diamanten, Flugzeugteil oder Grundstück eine Nummer in der Kette zugewiesen werden – und da können sich Betrug oder Fehler einschleichen. Es ist deshalb wenig überraschend, dass sich der Einsatz der neuen Technologie in der realen Welt bisher in Grenzen hält. Noch fallen die meisten Anwendungen in die Kategorie Zukunftsmusik.
Finanzmärkte leben aber schon heute in der digitalen Welt. Und die Banken verlieren keine Zeit. Laut einer Studie von IBM sind die Banken bei der Entwicklung von Produkten, die auf einer Blockchain basieren, viel rascher als ursprünglich angenommen. 65 Prozent der befragten Banken in London wollen in den kommenden drei Jahren in den Markt einsteigen. Und 15 Prozent wollen bereits 2017 ein Blockchain-Produkt auf den Markt bringen. Vorstellbar sind etwa Zahlungssysteme oder neue Handelsplattformen. Ziel ist meist die Umgehung von Mittelsmännern, was vor allem bei grenzüberschreitenden Geschäften Geld sparen kann. Laut einer Schätzung von Autonomous Research kostet das Clearing von Geschäften allein in den G7-Ländern pro Jahr rund 54 Mrd. Dollar an Gebühren.
Selbst Zentralbanken sind längst auf das Thema aufmerksam geworden. „Der Großteil der Finanz-Assets, wie Aktien oder Anleihen, existieren auch heute nur als digitale Aufzeichnungen, die in zentralen Datenbanken gespeichert werden“, schreiben die Experten der englischen Zentralbank. Dies sei freilich keine konkrete Prognose, aber: „Es wäre in Zukunft theoretisch vorstellbar, dass die bestehende Infrastruktur des Finanzsystems schrittweise durch verschiedene dezentrale Systeme ersetzt wird.“

E-Mails an: nikolaus.jilch@diepresse.com

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