Drei Euros für ein geeintes Europa

Drei Euros fuer geeintes
Drei Euros fuer geeintes(c) EPA (LAWRENCE LOOI)
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Die Schwachen oder die Starken raus? Ein naheliegender Kompromiss beinhaltet die Einführung von drei Währungsunionen.

Die Schwachen oder die Starken raus? Weitere Zentralisierung oder zurück zur Nation? Versuch der Wiederaufrichtung gebrochener Regeln oder unlimitierte Transferleistungen? Der naheliegende Kompromiss vermeidet Schwarz-Weiß-Muster, beachtet erfolgreiche Währungsunionen in Übersee und warnt vor zwei Sollbruchstellen des Euro. Er orientiert sich an einer einfachen Heuristik und beinhaltet die Einführung von drei Währungsunionen: EMRU, NURU und SURU unter dem gemeinsamen Dach der EZB.

Die wichtigste volkswirtschaftliche Frage der letzten Jahre für Europa ist weiterhin offen: Wie kann eine funktionierende Währungsunion konstruiert werden und welcher Weg sollte nun beschritten werden? Derzeit stehen die politischen Signale weiterhin auf Fortführung der „Hybris und Verblendung“, die zu einem „continued loss of human capital and dignity in southern Europe and a nightmare of an open-ended commitment of trillions of euros on the part of Germany … that would be deeply unfair to ordinary Germans“ führen. Dieser Beitrag verweist nicht nur auf eine, sondern zwei Sollbruchstellen der gegenwärtigen Eurokonstruktion, und erweitert somit den existierenden Vorschlag einer Nord-Süd-Teilung – auch unter Hinweis auf Erfahrungen in Übersee – um eine dritte Säule: Die Schaffung von drei verschwisterten Währungsunionen, um den volkswirtschaftlichen Realitäten in Europa über die nächsten Jahrzehnte gerecht zu werden.

Das verkannte Problem: Drei wirtschaftliche Regionen in einem Europa

Es gibt in der EU eine bemerkenswerte Inkompatibilität hinsichtlich der Klassifizierung von Ländern. Auf der einen Seite werden vielfältige Hilfsprogramme und Fördertöpfe unterhalten, um teils beachtliche Divergenzen zwischen den Ländern und Regionen auszugleichen. Auf der anderen Seite wird eine offene Diskussion darüber vermieden, dass in einem politischen Europa unterschiedliche – sprich, einfach zusammengefasst, drei – volkswirtschaftliche Regionen existieren; denn das würde dem Prinzip der „gleichen Augenhöhe“ vermeintlich widersprechen. Unterstützt wird dies dadurch, dass der Ritterschlag des IWF alle Länder automatisch ereilt, die den Euro einführen – sie rücken vor, wenn sie es nicht schon waren, und werden in den Stand der „advanced economies“ erhoben. Ein Privileg, welches von den neuen EU-Mitgliedern ohne den Euro lediglich die Tschechische Republik genießt. Wer möchte da noch den Begriff „Schwellenland“ in den Mund nehmen?

Stabiles Geld benötigt aber die Kenntnisnahme und Berücksichtigung der wirtschaftlichen und institutionellen Ländercharakteristika unabhängig von verliehenen Etiketten. Denn für ein gegebenes Land ist gutes Geld (und gute Geldpolitik) nicht gleichzusetzen mit der bekanntesten Währung, dem höchsten Prestige oder den niedrigsten Zinsen, sondern das, welches eine angemessene Adressierung der Lage vor Ort erlaubt.
Trotz aller Erfolgserlebnisse haben wir es in Europa, grob gesagt, mit einer Dreiteilung zu tun – und hier liegen die Sollbruchstellen eines Währungsraumes. Die erste Bruchstelle ist spätestens seit Mai 2010, dem offiziellen Start der Griechenlandhilfe, offenkundig. Sie verläuft zwischen den Regionen, die mit den Codes N und S belegt werden können. S ist eine Region, die ein Potenzial für höheres Wachstum hat, da u.a. das pro Kopf Einkommen unter dem der N-Region liegt; dafür gab und gibt es aber historisch eine Präferenz für eine etwas laxere Geldpolitik und die monetäre Wirtschaft ist durch höhere Inflation, höheres Zinsniveau und tendenziellen Abwertungsdruck geprägt. Die N-Region hingegen hat ein geringeres Wachstumspotenzial, dafür war sie monetär gesehen mit einem niedrigeren Inflations- und Zinsumfeld solider und stand tendenziell unter Aufwertungsdruck.

Die zweite Bruchstelle ist spätestens seit Mai 2010 in Vergessenheit geraten. Sie trennt N und S gleichermaßen von einer Region, die mit EM kodiert werden kann. EM ist vom Potenzial her eine Gruppe stark wachsender Schwellenländer, mit einer Konvergenzzeit von, wenn alles gut geht, 30-50 Jahren. Für diese Länder, die schneller als N und S wachsen werden, ist es langfristig normal (s.a. den Balassa-Samuelson-Effekt), eine höhere Inflation zu haben, für die auch höhere Zinsen benötigt werden. Ferner ist mit einem säkularen Aufwertungstrend zu rechnen. Diese Tendenzen können in einer gemeinsamen Währungsunion nicht lange gut gehen.

Die Krise des keltischen Tigers ist eine wichtige Warnung, was passiert, wenn ein Land über zehn Jahre stark wächst und eine deutlich höhere Inflationsrate als der Durchschnitt des Euroraumes hat. Die one-size-does-not-fit-all Geldpolitik befördert Bau- und Immobilienblasen, die irgendwann unvermeidlich platzen. Das wünscht man Estland, der Slowakischen Republik und weiteren Folgestaaten wirklich nicht. Aber die Inflationsraten der beiden Länder bewegten sich über die letzten zehn Jahre um vier Prozent, also im selben Bereich wie in Irland nach der dortigen Euroeinführung. Es wird außerordentlich glückliche Zufälle über die nächsten Jahrzehnte erfordern, um diese Länder zu befähigen, starkes Wirtschaftswachstum mit niedriger Inflation nahe zwei Prozent zu kombinieren. Zusätzlich bleibt der Aufwertungsdruck: Es darf bezweifelt werden, dass die kombinierte Aufwertung der Slowakischen Krone um fast 22 Prozent, die in einer Nacht-und-Nebel-Aktion wenige Tage vor dem offiziellen Beschluss der Aufnahme in den Euroraum durchgeführt wurde, die letzte notwendige Aktion dieser Art in den nächsten Jahrzehnten gewesen sein soll.

Die Lösung: Drei Währungsunionen für ein Europa
Dieser Beitrag folgt nicht dem derzeitigen Mantra, dass eine stärkere gemeinsame Wirtschaftspolitik (Schuldenunion, Bankenunion, Fiskalunion, Euro-Wirtschaftsunion, etc.) die grundsätzlichen Probleme lösen wird. Denn diese letzteren verlangen nach einer (zum Teil massiven) nominalen oder realen Abwertung in der S-Region, die man mit weiteren bürokratischen Strukturen und unbegrenzten Transfers auch nicht herbeiführen wird. Ferner ist ein wirklicher Durchgriff über längere Zeit von außen auf nationale Budgets weder umsetzbar noch demokratisch wünschenswert. Und Europa will sich hoffentlich nicht hin zu Fünf-Jahres-Plänen inklusive dekretierter Lohnentwicklung außerhalb der Tarifautonomie entwickeln. Ferner kann der superiore Erkenntnis- und Handlungswille übergelagerter Entscheidungsträger in Frage gestellt werden. Wie Meyer es ausdrückt: „Nicht die Gesinnungsethik ‚Rettung des Euro um jeden Preis‘, sondern Verantwortungsethik, Schadensbegrenzung und Wiederaufbau des Europäischen Hauses sollten Leitlinien sein.“

Leider wird für das Scheitern der ursprünglich aufgesetzten Euro-Währungsstrukturen sowie für den Drang hin zu weiterer Zentralisierung oft ein völlig falscher Grund angegeben: Der Euro sei die einzige Währung ohne gemeinsame Regierung. So ließ etwa Berlusconi vor gut einem Jahre verlauten: "Das Problem liegt darin, dass es die einzige Währung auf der Welt ist, ohne eine gemeinsame Regierung.“ Cameron legte in diesem Jahr nach: „There’s nowhere in the world that has a single currency without having more of a single government.”

Diese Behauptung ist schlicht nicht richtig. Es gibt eine aus acht Staaten bestehende Währungsunion in Westafrika (UEMOA), eine aus sechs Staaten bestehende in Zentralafrika (CEMAC), sowie die aus acht Ländern bestehende Ostkaribische Währungsunion. Diese drei Währungsunionen werden zwar auch von politischen bzw. wirtschaftlichen Integrationsabkommen flankiert, haben aber mit Abstand nicht die institutionelle Tiefe der europäischen Währungsunion. Das Frappierende dabei ist, dass diese losen Staatengemeinschaften sehr erfolgreiche Währungsunionen unterhalten. Mit dem Vorgänger der CFA-Francs blicken West- und Zentralafrika schon auf über 67 Jahre gemeinsame Währung zurück, seit der Unabhängigkeitswelle Anfang der 1960er immerhin auf 52 Jahre. Der Ostkaribische Dollar beschert den Mitgliedsländern mit seinem Vorgänger seit 77 Jahren eine gemeinsame Währung, seit den Unabhängigkeiten um ca. 1979 immerhin schon seit 33 Jahren.

In all den Jahrzehnten musste weder Burkina Faso eine Haftung in Höhe von 200 Prozent des Staatshaushaltes für Niger übernehmen, noch Gabun „freiwillige“, durch die zentralafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft koordinierte Kredite die höher als der Jahresetat einiger Ministerien sind, für Tschad bereitstellen. Auch ist Dominica nicht an einem gehebelten Stabilitätsmechanismus für Antigua beteiligt.

Die Preisfrage ist daher: Wie kommt es, dass losere Staatenbünde ohne starke Zentralisierung aus dem Bereich der Entwicklungs- und Schwellenländer bzw. sogar aus der Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder über ein halbes Jahrhundert hinweg nicht durch eine Gemeinschaftswährung zerrissen werden, während genau dies den „advanced economies“ der Europäer nach nur zehn Jahren droht, deren Integrationsintensität ihresgleichen sucht und die weltweit die Speerspitze internationaler Integrationsabkommen bilden? Diese Frage wurde öffentlich und vernehmbar in Europa nicht diskutiert. Die Antwort: Man benötigt weder politische Unionen, noch eine mächtiger werdende gemeinsame Wirtschaftsregierung, noch Schuldenunionen. Auch die typischen OCA-Kriterien wie Produktdiversifizierung, Offenheitsgrad, Arbeitskraftmobilität und hoher Intrahandel sind nicht unbedingt ausschlaggebend, denn bei diesen Kriterien brillieren die betreffenden afrikanischen und karibischen Staaten auch nicht. Vielmehr ist die einfache Heuristik „ähnliche Volkswirtschaften können sich eine Währung teilen“ in den drei Unionen in Übersee erfüllt, nicht jedoch in Europa, wo man in „Hybris und mit einem arroganten Glauben“ meinte, eine zu heterogene Gruppierung in einer Währungsunion zusammenfassen zu müssen.

Wie geht es nun weiter? Europa braucht einen pragmatischen Kompromiss zwischen Zentralisierung und der Berücksichtigung der wichtigsten, noch lange bestehen bleibenden volkswirtschaftlichen Unterschiede hinsichtlich Entwicklungsstand, Wachstumsperspektiven, Institutionen und Präferenzen. Gleichzeitig sollte das Ergebnis möglichst nahe am „IPO-Prospekt“ des Euro liegen, sprich eine Kombination von „no bailout“, „one-size-fits-all“ sowie niedrigeren Transaktionskosten bieten. Die Lösung ist daher die Gründung dreier Währungsunionen, d.h. drei Euros, unter dem gemeinsamen Dach der EZB, nämlich:

EMRU: Eine Währung für schnell wachsende Schwellenländer mit einem säkularen Aufwertungstrend, höheren Wachstums- sowie Inflationstrends über einige Jahrzehnte gegenüber den anderen beiden Gruppen.

NURU: Eine Währung für entwickeltere Länder mit einem säkular niedrigeren Wachstumspotenzial und niedrigerer Inflation.

SURU: Eine Währung für Länder mit einem Wachstumspotenzial zwischen den anderen beiden Gruppen, höherer Inflation als der NURU-Gruppe und einem säkularen Abwertungstrend.

Die Vorteile sind vielfältig: Zunächst lassen sich die drei grob markierten volkswirtschaftlichen Räume in Europa mit drei Währungen viel adäquater angehen, insbesondere hinsichtlich Zinsen, Inflation, Ratings, Wechselkurstrends und der Ehrlichkeit gegenüber dem Volkssouverän. Die Frustrationskosten des/der Clubs könnten auf allen Seiten deutlich gesenkt werden. Die heilsamen Auf- und Abwertungen der Währungen können nach dem Start z.B. mit einem crawling peg oder adjustable peg gelenkt werden. Die starke Wechselkursanpassung zum Start könnte zumindest aus dem gleichen Hause begleitet werden.

Zweitens ist das Management von drei Währungen unter einem Dach praktisch durchführbar – und in Frankreich seit geraumer Zeit gelebte Praxis, so ist es am Management von sogar fünf Währungen beteiligt: Euro, zwei CFA-Francs, Komoren-Franc sowie Pazifik-Franc.

Drittens würde die Gesichtswahrung aller Beteiligter gegenüber einem griechischen / südeuropäischen oder deutschen / nordeuropäischen Austritt erreichbar. Da keiner den Euro wirklich verlässt, gibt es weniger Probleme mit der wirtschaftlichen Glaubwürdigkeit im ersten Fall bzw. der historischen Glaubwürdigkeit im zweiten Fall.

Viertens müssen die neueren Mitglieder der EU weder lange warten, bis sie reif für den alten Euro sind (was streng genommen Jahrzehnte dauern würde), noch müssen sie durch die Farce des sogenannten „Wechselkurstests“. Diese Länder müssen auch nicht befürchten, durch eine unpassende Zinspolitik wie Irland in eine fast zwangsläufige Krise zu schlittern. Da für sie andere Kriterien gelten würden – z.B. höhere erlaubte Inflation – würde ein Beitritt auch nicht, wie im litauischen Fall, scheitern. Man könnte fast alle noch fehlenden Staaten elegant und kurzfristig mit einer guten Gemeinschaftswährung ausstatten.

Fünftens ist ein befürchteter Zusammenbruch Europas an den Haaren herbeigezogen. Genau umgekehrt wird ein Schuh daraus: Der Schmerz der durch den Euro verursachten Krise gefährdet die Europäische Integration weit mehr als es alle Abwertungen der alten Tage je vermochten. Und von tiefen Rissen ist zwischen Dänemark, Schweden und Norwegen, die einst auch durch eine Währungsunion verbunden waren, nichts zu spüren.

Schließlich ist ein weiteres Zerfallen der Euros aufgrund zu geringer wirtschaftlicher Verflechtungen und damit zu geringer Vorteile mit Sicht auf die afrikanischen und karibischen Erfahrungen nicht zu erwarten. Streng genommen könnten sich auch Länder in Paralleluniversen ohne Handel eine Währung teilen; sie müssen lediglich ähnlich genug sein.

Was es dazu braucht ist wenig mehr als die Erkenntnis, dass in Europa noch eine zu hohe realwirtschaftliche und monetäre Heterogenität herrscht, und man diese zum Wohle der Europäischen Integration auf absehbare Zeit mit mehr als einer – aber weniger als 27 – Geldpolitiken bedienen sollte. Drei Geldpolitiken erscheinen als guter pragmatischer Kompromiss. Das sollte nach überbordenden Haftungs-, Transaktions- und Frustrationskosten sowie nach unzähligen neugeschaffenen, kreativen, ursprünglich untersagten Maßnahmen in nur zweieinhalb Jahren grundsätzlich keine unlösbare Aufgabe sein.

Der Autor

Martin Skala ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Internationale Wirtschaft, an der Hochschule Osnabrück (seit 2011). Zuvor war er in der Europäischen Zentralbank im Bereich Internationale Politikanalyse tätig und hielt gleichzeitig eine Professur an der FOM Hochschule für Ökonomie und Management inne. Zudem war er zehn Jahre lang Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität Frankfurt.

Kooperation

Dieser Artikel wurde für "Ökonomenstimme", die Internetplattform für Ökonomen im deutschsprachigen Raum, erstellt. Die Presse ist exklusiver Medienpartner der Ökonomenstimme.

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