Die Spanische Grippe des Euro

Spanische Grippe Euro
Spanische Grippe Euro(c) EPA (Oliver Berg)
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Spanien gilt als erster Anwärter auf finanzielle Hilfe aus dem ESM. Diese Form der monetären Staatsfinanzierung könnte ein Infektionsherd sein.

Spanien wird derzeit als erster Anwärter für einen Antrag auf finanzielle Hilfen aus dem kürzlich eingesetzten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) gehandelt. Damit kommt aller Voraussicht nach auch das Staatsanleihen-Kaufprogramm Outright Monetary Transactions (OMT) der Europäischen Zentralbank (EZB) zum Tragen. Diese Form der monetären Staatsfinanzierung könnte ein Infektionsherd für eine Nachfragesoginflation sein. Der Beitrag schildert den Ansteckungsweg einer solchen Inflation. Ob die Eurozone eine derartige „Spanische Grippe“ des Euro überlebt, ist fraglich.

Die Unkenrufe, dass die Beschwörung von Inflationsgefahren in der Eurozone ein kultiviertes Phlegma deutscher Angst ist, sind Legion. Die Entwicklung der Verbraucherpreise und Geldmengenaggregate deuten nicht auf Inflation hin. Zwar ist der Euro von einer angebotsseitig getriebenen Kosten- und Gewinndruck-Inflation weit entfernt, dennoch kann eine inflationäre Entwicklung auch nachfrageseitig bedingt sein. Im Zuge einer monetären Staatsfinanzierung via OMT/ESM können sich die Inflationserwartungen aus der institutionellen Verankerung lösen. Die Marktteilnehmer könnten ihr Verhalten hinsichtlich Geldverwendung und -haltung systematisch in Richtung einer höheren Konsumneigung verändern. Die Folge wäre sehr wahrscheinlich ein Anstieg des Preisniveaus. Kennzeichen einer solchen Spanischen Grippe des Euro ist womöglich gar eine Phase zunehmender Inflation bei anhaltenden Beschäftigungsrückgängen in der Eurozone. Nachfolgend werden die Ursachen einer Spanischen Grippe des Euro dargelegt.

Preisstabilität als Symptom einer gesunden Geldordnung

Als Argument für die OMT wird ins Feld geführt, dass die geldpolitischen Transmissionsmechanismen gestört sind. Unbegrenzte Staatsanleihekäufe würden die Finanzierungsbedingungen von Staaten und Unternehmen in der Eurozone erleichtern. Auf diese Weise würde die Preisstabilität des Euro langfristig gesichert werden. Die Preisstabilität des Geldes hängt jedoch nicht nur von der Wirksamkeit geldpolitischer Kanäle, sondern auch von ihrer institutionellen Verankerung im Rahmen einer Geldordnung ab. Die Ausgestaltung der Geldordnung hat einen systematischen Einfluss auf das Verhalten der Marktteilnehmer. Diese verwenden und halten Geld zu Transaktionszwecken, um ihren geplanten gegenwärtigen und zukünftigen Konsum unter Unsicherheit zu optimieren. In diesem Zusammenhang werden vertragsmäßige Schuldverhältnisse eingegangen, welche Zug um Zug erfüllt werden oder sich über einen längeren Zeitraum erstrecken können. Zur Begleichung derartiger Schulden kann Geld als Zahlungsmittel herangezogen werden. Dabei ersetzt eine Geldschuld in Form eines Nennbetrags den wertmäßig gleichen Austausch realer Güter bzw. Dienstleistungen zwischen den Marktteilnehmern. Aufgrund der intertemporalen Natur von Forderungen und Verbindlichkeiten ist jedoch grundsätzlich unsicher, ob dem heutigen Nennbetrag einer Geldschuld morgen noch eine ebenso hohe, gleichwertige reale Produktionsmenge wie heute gegenübersteht. Um Transaktionen am Markt zu erleichtern, kann eine Geldordnung helfen, diese fundamentale Unsicherheit bei intertemporalen Vertragsbeziehungen zu minimieren.

Die institutionell-rechtlichen Voraussetzungen für eine effektive Reduzierung fundamentaler Unsicherheit als Grundvoraussetzung für Preisstabilität zielen auf die Gewährleistung der Vertragssicherheit einerseits und der Vertragserfüllung andererseits ab. Bei der schuldrechtlichen Vertragssicherheit geht es insbesondere um die Frage, ob die Marktteilnehmer Schuldverhältnisse an sich eingehen und dabei das umlaufende Geld für entsprechende Transaktionszwecke verwenden. Die schuldrechtliche Vertragserfüllung bezieht sich hingegen vielmehr auf die längerfristig orientierte Geldhaltung. Hierbei geht es vor allem darum, ob die Marktteilnehmer darauf vertrauen können, dass vertraglichen Verpflichtungen im Hinblick auf einen zukünftigen realen und wertmäßig äquivalenten Ausgleich heutiger Geldschulden überhaupt vollumfänglich nachgekommen werden kann. (Ob und inwieweit derartigen Forderungen bzw. Verbindlichkeiten entsprochen wird, ist dann eine Frage des zinsbewehrten Risikos.) Falls die Geldordnung nicht in hinreichendem Maße die Erwartungen und die entsprechende Planbarkeit schuldrechtlicher Vertragsbeziehungen verankern hilft, dann ändern die Marktteilnehmer ihr Verhalten systematisch. Als Folge kommt es möglicherweise zur Substitution zwischen Gegenwarts- und Zukunftskonsum, die wiederum ursächlich für Änderungen des Preisniveaus sein kann. Kann jedoch im Rahmen einer Geldordnung die Gewährleistung schuldrechtlicher Vertragssicherheit und -erfüllung institutionell verankert und glaubwürdig abgesichert werden, dann stellt sich Preisstabilität als Symptom einer gesunden Geldordnung ein.

Institutionelle Verankerung der Preisstabilität

Um die Geldverwendung bzw. -haltung zu stabilisieren, sind verschiedene, sich wechselseitig bedingende Vorkehrungen im Rahmen einer Geldordnung erforderlich. Zum einen betreffen diese das Verbot der monetären Staatsfinanzierung und die Funktion eines ‚Kreditgebers der letzten Hand‘. Beide Aspekte zielen insbesondere darauf ab, die schuldrechtliche Vertragssicherheit und die entsprechende unmittelbare Geldverwendung gewährleisten zu können. Zum anderen gehört zu einer nachhaltigen Geldordnung der ‚Garant der letzten Instanz‘. Diese Funktion stellt sicher, dass die Marktteilnehmer auf die Gewährleistung der schuldrechtlichen Vertragserfüllung vertrauen können, so dass sie bereit sind, Geld auch langfristig zu halten.

Die Geldbasis sollte weitgehend stabil gehalten werden bzw. mit der Veränderung der realen Produktionsmenge Schritt halten. Ein Verbot der monetären Staatsfinanzierung reduziert die Tendenz zu einer übermäßigen Ausdehnung der Geldbasis. Aus Sicht der Marktteilnehmer kann eine monetäre Staatsfinanzierung die Unsicherheit erhöhen, ob den eingegangenen Zahlungsverpflichtungen in der Zukunft überhaupt vollumfänglich im realen und wertmäßigen Sinne nachgekommen werden kann. Gleichzeitig ist eine gewisse Flexibilität bei der Steuerung der Geldbasis unabdingbar für die Stabilisierung der Geldverwendung. Diese Flexibilität beschränkt sich jedoch auf außerordentliche, mit Strafzinsen bewehrte Maßnahmen auf einzelwirtschaftlicher Ebene. Seit dem 19. Jahrhundert ist diese Funktion als ‚Kreditgeber der letzten Hand‘ bekannt. Dieser sorgt dafür, dass Marktteilnehmer nicht fürchten müssen, dass es bei einer Kette abhängiger monetärer Forderungen und Verbindlichkeiten wegen kurzfristiger Liquiditätsschwierigkeiten zu Vertragsstörungen bzw. -ausfällen kommt. Der ‚Kreditgeber der letzten Hand‘ ist die institutionell-rechtliche Voraussetzung dafür, die fundamentale Unsicherheit schuldrechtlicher Vertragsbeziehungen minimieren zu können. Dies stärkt den Anreiz für Marktteilnehmer, das umlaufende Geld fortwährend für zumindest unmittelbare Transaktionszwecke zu verwenden. Solange eine monetäre Staatsfinanzierung die Geldbasis nicht übermäßig ausdehnt, wird dieser Anreiz zur Geldverwendung auch nicht unterminiert.

Der ‚Garant der letzten Instanz‘ als weitere institutionelle Vorkehrung sorgt insbesondere dafür, dass Marktteilnehmer auch längerfristige schuldrechtliche Vertragsbeziehungen in der jeweiligen Währung eingehen. Dieser Aspekt einer Geldordnung umfasst das Recht und die Möglichkeit einer staatlichen Autorität, die Erfüllung aller schuldrechtlichen Vertragsbeziehungen der Marktteilnehmer sicherstellen zu können. Dies erfolgt letztlich immer in der Form, dass Steuerzahler haftbar gemacht werden könnten. Die Marktteilnehmer können folglich darauf vertrauen, dass die Vertragserfüllung im Sinne eines zum gegenwärtigen Nennbetrag wertmäßig äquivalenten Realwerts zum Fälligkeitszeitpunkt grundsätzlich immer gegeben ist. Das Vertrauen in die Planbarkeit schuldrechtlicher Vertragsbeziehungen sorgt dafür, dass auch die längerfristig orientierte Geldhaltung der Marktteilnehmer verstetigt wird. Die institutionellen Verankerungen der Inflationserwartungen durch eine glaubwürdige Gewährleistung schuldrechtlicher Vertragssicherheit und -erfüllung im Rahmen einer Geldordnung sind eine Grundvoraussetzung für die Preisstabilität des Geldes.

Monetäre Staatsfinanzierung als Infektionsherd der Spanischen Grippe

Wenn im Rahmen einer Geldordnung die institutionell-rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährleistung schuldrechtlicher Vertragssicherheit und -erfüllung gegeben sind, dann hat die Geldpolitik bei der Stabilisierung der Geldverwendung und -haltung ein leichtes Spiel. Eine monetäre Staatsfinanzierung und die damit einhergehende Expansion der Geldbasis zerrüttet jedoch eine gesunde Geldordnung. Mit eher temporären, diskretionären Maßnahmen monetärer Staatsfinanzierung – wie z.B. das frühere ‚Securities Market Programme‘ – konnte kurzfristig Zeit gewonnen werden. Problematisch wird es jedoch insbesondere dann, wenn die monetäre Staatsfinanzierung dauerhafte Züge trägt. Mit den OMT in Verbindung mit dem ESM handelt es sich möglicherweise um eine regelgebundene, perpetuierte Ausdehnung der Geldbasis. In so einem Fall kann sich das Verhalten der Marktteilnehmer systematisch ändern. Ursächlich dafür ist, dass bei immer größeren Beständen an nominellen Geldschulden und -vermögen die Aussichten auf ein reales und wertmäßiges Äquivalent in der Zukunft immer zweifelhafter werden. Mit dieser Form der monetären Staatsfinanzierung wird womöglich die Gewährleistung schuldrechtlicher Vertragssicherheit und -erfüllung aller in Euro denominierten Vertragsbeziehungen untergraben. Das liegt daran, dass aus Sicht der Marktteilnehmer der Anreiz abnimmt, längerfristige, in Euro denominierte Schuldverhältnisse einzugehen; während der Anreiz zunimmt, in Euro denominierte Forderungsbestände aufzulösen. Die Folge ist, dass die Konsumneigung steigen könnte. Wenn eine entsprechend höhere gesamtwirtschaftliche Nachfrage nicht durch eine kurzfristige Ausweitung der realen Produktion kompensiert werden kann, dann treten Preiseffekte im Zuge einer solchen Nachfragesoginflation auf.

Im Hinblick auf die Preisstabilität des Euro geht es daher nicht so sehr um die Frage, ob die EZB eine zusätzlich geschaffene Liquidität je wieder im Rahmen ihrer operativen Geldpolitik abschöpfen kann. Es geht in erster Linie um die Frage, ob die europäische Geldordnung aufgrund der Schwächung durch eine monetäre Staatsfinanzierung noch soweit trägt, dass sich das Verhalten der Marktteilnehmer nicht systematisch ändert. Wenn sich jedoch die Inflationserwartungen der Marktteilnehmer aus der institutionellen Verankerung der Geldordnung lösen, dann kommt es vermutlich zu einer Nachfragesoginflation. Der Euro erkrankt an der Spanischen Grippe.

Literatur:

Fahrholz, Christian. 2012. Monetäre Staatsfinanzierung und europäische Geld(un)ordnung. GFinM-Working Paper Series No. 38.

Fahrholz, Christian. 2012. The Dynamics of Eurozone Disintegration. Economonitor, 30. Oktober 2012.

Der Autor

Kooperation

Christian Fahrholz, geboren 1974, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und im Graduiertenkolleg Global Financial Markets (Stiftung Geld und Währung) an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Christian Fahrholz war zudem Gastprofessor an den Universitäten Mannheim und Erfurt.

Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Politischen Ökonomie makroökonomischer Ungleichgewichte mit einem regionalen Fokus auf Europa, MENA und den USA. Dieser Artikel wurde für "Ökonomenstimme", die Internetplattform für Ökonomen im deutschsprachigen Raum, erstellt. Die Presse ist exklusiver Medienpartner der Ökonomenstimme.

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