Griechenland: Was bei der Schuldbetreibung schief läuft

Griechenland Schuldbetreibung schief laeuft
Griechenland Schuldbetreibung schief laeuft(c) AP (Axel Schmidt)
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Es ist eine wirtschaftspolitische Fehlleistung von historischem Ausmaß. Ein U-Ausschuss des EU-Parlaments sollte das Desaster aufarbeiten.

Die Zahlen sprechen für sich: In fünf aufeinanderfolgenden Krisenjahren ist Griechenlands BIP bisher um 19,1 Prozent geschrumpft. Die allgemeine Arbeitslosenquote liegt aktuell bei 26, die der  Jugendlichen bei 56,4 Prozent. Die realen Detailhandelsumsätze haben sich seit 2007 halbiert. Damit übertrifft die griechische Depression heute schon diejenige Deutschlands von 1929 bis 1932. Auch wenn die (optimistischen) Prognosen der OECD zutreffen, dürften die kumulierten BIP-Verluste Griechenlands die der grossen Depression in den USA noch übertreffen. Dabei haben wir noch nicht von der Zerrüttung der griechischen Gesellschaft um vom Niedergang der Demokratie gesprochen.

Eine solche Fehlleistung muss dringend aufgearbeitet werden. Sind wirklich nur die Unterlassungen der griechischen Regierung für das Desaster verantwortlich? Hat die Troika (EU-Kommission, EZB und IWF) je alternative Diagnosen und Therapien in Betracht gezogen? Von wem hat sie sich – nicht – beraten lassen? Hat sie externe Kritiker angehört? Wie hat sie darauf reagiert, dass ihre Prognosen laufend von der Realität dementiert worden sind? Diese Fragen müssen gestellt und geklärt werden – auch anhand interner Dokumente.

Griechenlands Konkurs als Negativbeispiel

Tatsache ist, dass Griechenlands Konkurs extrem schlecht gehandhabt worden ist. Erinnern wir uns an die Ausgangslage: In den zehn Jahren bis ins 3. Quartal 2007 ist Griechenlands BIP im Jahresmittel um 4,1 Prozent gewachsen. Im gleichen Zeitraum hat jedoch der einheimische Konsum noch mehr zugenommen, nämlich um jährlich 4,7 Prozent. Als Folge dieses Konsumbooms wies Griechenland in den letzten vier Quartalen von Beginn der Rezession im 4. Quartal 2007 einen negativen Außenbeitrag (Waren und Dienstleistungen) von nicht weniger als 13,1 Prozent des BIP aus. Griechenland lebte in beträchtlichem Ausmass auf Kosten der ausländischen Gläubiger – die diesen Zustand zu Recht nicht länger tolerieren wollten. Zunächst kam es auf Druck der Kapitalmärkte  zu mehr oder weniger autonomen Sparpaketen, ab April 2010 übernahmen dann die Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission „kommissarisch“ die Wirtschaftspolitik. Griechenland steht seither faktisch unter Konkursverwaltung.

Aus Sicht der ausländischen Gläubiger verfolgt diese Übung zwei Zwecke:  Erstens ging es darum, Griechenland zu einem positiven Saldo der Handels- und Dienstleistungsbilanz zu  zu zwingen. Ein positiver Außenbeitrag ist Voraussetzung dafür, dass ein Land Auslandschulden bedienen und abbauen kann. Zweitens hätten die Sparprogramme dafür sorgen müssen, dass der positive Außenbeitrag in die Hände des Staates gerät. Griechenlands Außenschulden sind im Wesentlichen Schulden des Staates oder der staatlich gestützten Banken.

Betrachten wir zunächst den theoretischen Normalfall: Griechenlands BIP pro Kopf lag  2007 trotz der eindrücklichen Aufholjagd noch immer 28 Prozent unter dem Mittel der Euroländer. So gesehen wäre ein unverändertes BIP-Wachstum (von 4,1%) noch etliche Jahre möglich gewesen. Ein realistischer Schuldenabbau-Plan hätte somit wie folgt aussehen können: Der einheimische Konsum wird ab sofort eingefroren. Alle frei werdenden Kapazitäten gehen in den Export und dienen zur Bedienung der Schulden. Nach diesem „sanften“ Plan hätte Griechenland rein rechnerisch zwar bis 2010 weitere rund 15 BIP-Prozent Schulden aufnehmen müssen, zw. dürfen.  Seither wäre davon aber bereits wieder gut 10 Prozent abgebaut worden. (Die Zinszahlungen sind in dieser Modellrechnung ausgeklammert.) Dies wohlverstanden unter Wahrung des einheimischen Konsum- und Investitionsniveaus.

Gemessen an diesem Benchmark haben Griechenlands globale Konkursverwalter einen miserablen Job gemacht. In den letzten vier Quartalen lag Griechenlands Handels- und Dienstleistungsbilanz noch immer noch bei 3,4 Prozent des BIP. Das ist einerseits gegenüber dem Ausgangsjahr eine Verbesserung um 9,7 BIP-Prozent.  Immerhin. Aber: Erstens bleibt der Außenbeitrag negativ. Gemessen am den kumulierten negativen Außenbeiträgen ist die Auslandschuld Griechenlands seit 2007 um 55 Prozent des aktuellen BIP gestiegen, dies im Vergleich zu nur 5 Prozent in der Benchmark-Version.

 Zweitens ist die Verbesserung der Außenhandelsposition ausschließlich auf einen massiven Rückgang der Importe zurückzuführen. Die Exporte sind im Vergleich zu 2007 um gut 10 Prozent geschrumpft. Schlimmer noch: Griechenlands Investitionen sind seit 2007 um rund 60 Prozent zurückgegangen, worunter auch die Exportindustrie gelitten haben dürfte.  Das Land ist weiter denn je davon entfernt, eine Exportindustrie zu haben, welche die Auslandschulden bedienen könnte.

Keine Bedienung der Gläubiger

Doch es kommt noch schlimmer: Die bescheidene relative Verbesserung des griechischen Außenbeitrags kam nicht etwa den ausländischen Gläubigern zugute, sondern ausschließlich dem griechischen Unternehmenssektor. Auch diese negative Konsequenz der Sparprogramme war vorhersehbar: Dank des Spardrucks der Troika konnten der Unternehmenssektor die nominale Lohnsumme von 39,4 (2007) auf 27,6 Milliarden Euro (2012) drücken. Die Troika unternahm jedoch nichts, um die
Unternehmen zu entsprechenden Preissenkungen zu zwingen, sonst wären die Konsumentenpreise seit 2007 kaum um 14,5 Prozent gestiegen. Weil die Unternehmen gleichzeitig weniger investierten und trotz steigenden Gewinnen nicht mehr Steuern erzielten, erzielten sie 2012 einen Nettofinanzierungsüberschuss (sprich Kapitalexport) von 19,3 Milliarden Euro. Gegenüber 2007 ist das eine Verbesserung um 21,2 Milliarden oder rund 10 BIP-Prozent.  (Siehe dazu auch: http://www.oekonomenstimme.org/artikel/2012/10/mehr-als-spekulative-kapitalbewegungen---warum-die-sparprogramme-auch-den-glaeubigern-massiv-schaden/)

Mit anderen Worten: Mit ihren Sparprogrammen hat die Troika vor allem die Kapitalflucht gefördert und die Kassen der griechischen Unternehmen gefüllt. Ihnen floss praktisch der ganze Nutzen der verbesserten Außenbilanz zu. Der Staat hingegen konnte seine Nettofinanzierungsposition kaum verbessern. Das Defizit schrumpfte lediglich von 15,1 auf 13,3 Milliarden Euro. (In Prozent des BIP gemessen, ist das sogar eine Verschlechterung.

Im zivilen Konkursverfahren zivilisierter Länder muss der Konkursverwalter auch die Interessen der Schuldner wahren, und ein neutraler Konkursrichter wacht darüber. Im konkreten Fall heisst das, dass die Sachwalter die Notwendigkeit, das Schuldnerland auf Export zu trimmen, gegen die Gefahr abwägen muss, dass ein zu rigoroses Sparprogramm die einheimische Nachfrage abwürgt. Dies zu vermeiden, liegt übrigens auch im Interesse der Gläubiger, denn die meisten Exportunternehmen sind auch auf den Binnenmarkt angewiesen.

Es brauchte nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, wie sich die kombinierte Aussicht auf Massenentlassungen beim Staat, Kürzungen des Mindestlohns, der Arbeitslosengelder und der Renten, gekoppelt mit düsteren langfristigen Wirtschaftsprognosen auf die Konsumlust auswirkt. Das tatsächliche Ausmaß des Einbruchs seit dem 3,. Quartal 2007 hat dann allerdings die schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen: 68 Prozent weniger Bauvolumen, 27,5 Prozent weniger Industrieproduktion (ohne Bau), 50 Prozent weniger Detailhandelsumsatz, 75 Prozent weniger Autozulassungen usw.

Die Angst vor den Kapitalmärkten

Diese Kurzanalyse offenbart zwei Hauptschwächen der Konkursabwicklung: Man hat offenbar nicht genügend beachtet, wie sich die Sparmaßnahmen erstens auf das interne Kräfteverhältnis zwischen Arbeitnehmern und dem Unternehmenssektor auswirkt. Zweitens hat man dem wichtigen Aspekt des Konsumentenvertrauens offenbar kaum Beachtung geschenkt.  Im Gegenteil: Zumindest in den öffentlichen Verlautbarungen der Troika und der Vertretern der Gläubiger-Regierungen war immer nur vom Vertrauen der Kapitalmärkte die Rede.

Offensichtlich geht die Troika von einer ökonomischen Theorie aus, in der das wirtschaftliche Wohlergeben eines Landes ausschließlich davon abhängt, ob „der Kapitalmarkt“ bereit ist, im betreffenden Land zu investieren. Diese Bereitschaft besteht – nach dem Ökonomieverständnis der Troika – immer nur dann, wenn sich die Regierung glaubwürdig verpflichtet,  das Staatsbudget in kurzer Zeit auszugleichen. Diese Theorie hat sich weder im Falle Griechenlands noch in denen von Spanien, Italien oder Portugal bestätigt. Auch im „Modellfall“ Irland nehmen die Staatsschulden weiter zu, stagniert das BIP und bleibt die Arbeitslosigkeit hoch.

Es sieht leider nicht danach aus, als hätten diese Fakten bei der EU-Kommission oder in Berlin irgendwelche vernehmbare Nachdenklichkeit ausgelöst. Wer wagt es schon, die Kapitalmärkte zu verunsichern?! Das Parlament bleibt deshalb die einzig mögliche Reflexionsinstanz der EU. Gemäß Artikel 107 der Geschäftsordnung genügt ein Quorum von 10  Prozent um einen Misstrauensantrag gegen die Kommission einzubringen.  Oder: Nach Artikel 185 kann ein Viertel der Parlamentarier einen Untersuchungsausschuss beantragen. Dieser kann öffentliche Anhörungen durchführen und Dokumente einfordern. (Falls sich das EU-Parlament nicht aufraffen kann, wäre ein Russell-Tribunal hilfreich. )

Der Zweck dieser Übung bestünde nicht nur darin, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Es ginge vor allem auch darum, die Grundlagen für ein vernünftiges internationales oder EU-Recht für Staatskonkurse zu legen. Die grässlichen Erfahrungen mit Griechenland zeigen, dass dies dringend nötig ist. Auch Wirtschaftskriege fordern sollten keine unnötigen Opfer fordern.

Quellen:http://ec.europa.eu/economy_finance/ameco/user/serie/ResultSerie.cfm

http://www.statistics.gr/portal/page/portal/ESYE/PAGE-themes?p_param=A0708

http://www.statistics.gr/portal/page/portal/ESYE

Der Autor

Werner Vontobel ist Wirtschaftskolumnist beim Ringier Verlag in Zürich und Autor diverser wirtschaftspolitischer Fachbücher.

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Dieser Artikel wurde für "Ökonomenstimme", die Internetplattform für Ökonomen im deutschsprachigen Raum, erstellt. Die Presse ist exklusiver Medienpartner der Ökonomenstimme.

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