Griechenlands Notwendigkeit einer Staatsinsolvenz

Griechenlands Notwendigkeit einer Staatsinsolvenz
Griechenlands Notwendigkeit einer Staatsinsolvenz(c) AP (Axel Schmidt)
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Ein rasches, korrektes Insolvenzverfahren à l'américaine hätte Griechenlands Krise gelöst, die Ansteckung anderer Euroländer verhindert, den Steuerzahlern und den Griechen viel erspart und den Verlust des Privatsektors reduziert.

Griechenland – ein deutliches  Beispiel, wie ein relativ geringes, durch Politikversagen kreiertes Problem durch weitere falsche Reaktionen der Politiker zu einer veritablen, überregionalen Krise aufgebläht werden kann – bestätigt die Notwendigkeit einer geordneten Staatsinsolvenz. Ein rasches, korrektes Insolvenzverfahren hätte Griechenlands Krise gelöst, die „Ansteckung“ anderer Euroländer verhindert, den Steuerzahlern und den Griechen viel erspart und den Verlust des Privatsektors reduziert. Falsche Politik vergrößerte das Desaster für praktisch alle erheblich. Dabei weist Artikel 125 des Lissabon-Vertrags (jetzt: AEUV) die Lösung. In Verbindung mit einer marktkonformen Schuldenreduktion hätte seine Befolgung die Verschärfung der griechischen Krise verhindert. Ohne schwerwiegende, politische und regulatorische Fehlentscheidungen (unangebrachte Kapitalgewichtung durch Basel, EU-Staaten bevorzugende EU Normen) hätte sich Griechenland nicht so stark und leicht verschulden können. Die Substitution von Steuereinnahmen durch billige Kredite wäre erheblich gebremst worden.

Aus Platzgründen muss ein kurzer Blick auf ausgewählte Indikatoren genügen. Als die Krise ausbrach und die ersten Vorschläge eines „Haarschnitts“ veröffentlicht wurden, betrug Griechenlands Verhältnis Schulden/BIP etwa 120%. Dank des Bailouts erreichte dieser Indikator etwa 180%. Man hoffte offiziell nach einem Schuldenschnitt für Private 2020 wieder 120% erreichen zu können. Mittlerweile rechnet der IWF mit einem möglichen Höchststand von knapp 200%. Er hält eine Reduktion öffentlicher Forderungen von 24% für notwendig, damit 2020 wieder jene 120% des BIPs erreicht werden können (IMF 2013, p.31), die die Krise auslösten. Stabile Tragfähigkeit mag anders aussehen. Andere Kennziffern sind kaum beruhigender. So fiel die Bruttoanlagekapitalbildung seit Krisenbeginn stetig, nicht selten um über 10% von einem Jahr aufs andere. Dies ist die Bilanz nach substantiellen „Rettungspaketen“ und zwei Schuldennachlässen des Privatsektors, die in Summe mehr als den Schuldenstand bei Krisenausbruch ausmachen, sowie von Entschärfungen  der Zahlungsmodalitäten des öffentlichen Sektors.

Schneller Schnitt, schnelle Lösung


Griechenlands Krise hätte genutzt
werden können, die Eurokrise einzudämmen. Seine Schulden sind relativ sehr klein. Kein Bailout, wie von Artikel 125 vorgeschrieben, und eine Schuldenreduktion hätten die Lage bereinigt. Statt dessen ermutigte der EU-Bailout Spekulation gegen weitere Eurostaaten.  Aus rational unerklärlichen Gründen entschieden sich die Politiker gegen den schnellen Schnitt, obwohl dies selbst aus dem Finanzsektor empfohlen wurde, sondern gossen Öl ins Feuer und beflügelten die Spekulation weiter. Das bereits schwer überschuldete Griechenland erhielt weitere Kredite, ein Vorgang, der in vielen, nationalen Rechtssystemen als Insolvenzverschleppung unter Strafe steht. Die Kredite des Rettungsschirms verschärften die Krise. Dass die erste, “freiwillige” Schuldenreduktion  die Forderungen des Privatsektors um rund 100 Mrd verringerte aber mit neuen, öffentlichen Krediten von 130 Mrd verbunden wurde ist eine besondere Abstrusität. In innerstaatlichen Insolvenzfällen wäre dies undenkbar.

Die Behauptung, man müsse Griechenland, den Euro und die EU durch die Sozialisierung des Gläubigerrisikos retten ist schon seit dem ersten haircut des Privatsektors klar widerlegt. Die Notwendigkeit eines Schnitts bei öffentlichen Forderungen wird bereits von Frau Merkel nicht mehr geleugnet, er soll nur nach der Bundestagswahl erfolgen.

Hätte man 2010 ein Modell staatlicher Insolvenz oder wenigstens erste Vorschläge zu einem Schuldenschnitt angenommen wäre viel Schaden abgewendet worden. Dies sei an einem Beispiel verdeutlicht. Gros & Mayer (2010) schlugen im Februar einen 50% Schuldenschnitt vor. Griechenland hätte dann maastrichtkonform 60% Schuldenstand gehabt. Selbst bei diesem radikalen Schnitt (ein korrektes Insolvenzverfahren hätte wohl für Gläubiger eine bessere Quote erbracht) hätte der Privatsektor weniger verloren als er dank Insolvenzverschleppung verlor. Kein Steuergeld wäre geflossen. Lediglich bestimmte Hedgefonds haben an Griechenland ausgezeichnet verdient weil Steuergeld bereit gestellt wurde.  Die negativen Auswirkungen der EU-weiten Austeritätspolitik wären zumindest geringer (Irland und Spanien gäbe es ja wahrscheinlich noch). Es wäre für die Griechen leichter (aber immer noch sehr schwer) gewesen und die griechische Wirtschaft hätte weniger Schaden genommen, was letztlich auch im Gläubigerinteresse liegt.

Nur ein korrektes Insolvenzverfahren für Staaten kann das Problem lösen und diese Lücke im Rahmenwerk internationaler Finanzbeziehungen schließen. Der kürzlich wieder ins Gespräch gebrachte IWF-Vorschlag (das SDRM) eignet sich nicht hierzu, da er einseitig private Gläubiger diskriminiert  und öffentliche Kredite, auch wenn sie die Insolvenz verschleppen, ungerechtfertigt bevorzugt. Dies ist ein völlig falscher Anreiz. Das Verfahren muss einem Minimum an ökonomischen, rechtlichen und ethischen Standards entsprechen und gegenüber allen Betroffenen fair sein. Insbesondere dürfen einige Gläubiger nicht die Rolle des Richters in eigener Sache übernehmen. Wie in jedem rechtsstaatlich korrekten Verfahren, müssen Gläubiger und Schuldner Parteienstatus haben. Ein unabhängiger Akteur ohne jegliches Eigeninteresse muss die Rolle inländischer Gerichte übernehmen. Dies verhindert auch die ungerechtfertigte Diskriminierung mancher (=privater) Gläubiger.

US-Recht als Vorbild


Die beste Lösung ist eine Internationalisierung des US-Insolvenzrechts für Gebietskörperschaften (sog. „municipalities“ - Chapter 9, Title 11 USC ), da dieses neben den üblichen Elementen guter Insolvenzrechte auch das Problem der Hoheitssphäre des Schuldners regelt. Außerdem enthält es das demokratische Element des Anhörungsrechts der betroffenen Bevölkerung, sicher eine bessere Art der Beteiligung als Streiks, Straßenkrawalle oder Angriffe auf deutsche Diplomaten. Die Grundelemente eines internationalen Chapter 9, das zum ersten Mal 1987 für Entwicklungsländer vorgeschlagen wurde, sind (bez. Details s. Raffer 2012a, b):

  • Schiedsgerichtsbarkeit – ein bewährtes Instrument des Völkerrechts, auch von Gläubigern zunehmend gerne akzeptiert und heute im Außenhandelsbereich en vogue muss das derzeitige, ökonomisch wenig erfolgreiche Gläubigerdiktat ablösen. Konkret liegt hierbei das Londoner Abkommen Deutschlands als Vorlage zu Grunde.
  • Lösung des Souveränitätsproblems – in den USA darf niemand (auch nicht das Gericht) in die Hoheitssphäre der municipality eingreifen –  außer diese gestattet es. §904, Title 11 schützt alles, was auch die Souveränität schützt und lässt sich daher problemlos übertragen. Ökonomisch muss der Schuldner natürlich ein Angebot machen, das die Mehrheit der Gläubiger akzeptieren kann, um sein Überschuldungsproblem zu lösen.
  • Bestes Interesse der Gläubiger – ein unabdingbarer Bestandteil jedes Insolvenzverfahrens; insbesondere müssen private und öffentliche Gläubiger gleich behandelt werden. Diskriminierende Schuldenschnitte des Privatsektors allein sind ungerecht aber auch ungenügend. Die derzeit vom IWF gepushte Diskussion um OSI („Official Sector Involvement“) und griechische Daten belegen, dass es ohne „Haarschnitt“ für offizielle Gläubiger nicht geht. Die Insolvenzverschleppung und der angerichtet Schaden lassen sogar einen Nachrang insolvenzverschleppender, öffentlicher Kredite ökonomisch (richtiges Anreizsystem) wie juristisch rechtfertigen.
  • Schuldnerschutz – dieser hat zwei Aspekte: es gibt ein öffentliches Interesse am Weiterfunktionieren des Schuldners, d.h. ein Minimum an Ressourcen ist auch hier dem Gläubigerzugriff entzogen. Dies muss analog für Staaten gelten. Natürlich ist ein Insolvenzverfahren dennoch sehr belastend, Einschnitte und Einsparungen sind unabwendbar. Situationen wie in Griechenland, wo Spitäler grundlegende Hygienemaßnahmen (wie Chirurgenhandschuhe) nicht mehr finanzieren können, sind in den USA undenkbar. Sie sind auch international nicht zu dulden. Auch Schuldner sind Menschen, haben Menschenrechte und Anrecht auf den Schutz ihres Lebens und ihrer Würde. Alle Insolvenzrechte anerkennen diese Selbstverständlichkeit.


Der zweite und gerade für Staaten besonders geeignete Punkt ist das Anhörungsrecht der Betroffenen. Selbstverständlich muss dieses per representationem ausgeübt werden, etwa durch Unternehmerverbände, Gewerkschaften, oder generell Nichtregierungsorganisationen. Diese würden die Meinung der Bevölkerung vorbringen und auf Probleme hinweisen können. Das US Chapter 9 hat darüber hinaus eine Bestimmung, die der EU mit Sicherheit zu demokratisch und rechtsstaatlich ist: sofern die Zustimmung der Wähler für eine Maßnahme notwendig ist, muss in den USA laut §943(b)(6) vor Bestätigung des Plans durch das Gericht diese Zustimmung eingeholt werden. In demokratischer Weise und sehr im Unterschied zu den Vorstellungen der EU schützt das Verfahren die Demokratie. Dies sollte selbstverständlich auch im Falle Griechenlands erfolgen und würde das Demokratiedefizit reduzieren.

Das unbedingte Bailout-Verbot (Artikel 125) wird logischerweise erst in Kombination mit einem Insolvenzverfahren glaubwürdig. Dies hätte wohl ökonomisch unangebracht niedrige Zinsen vor der Krise verhindert und den Schuldenaufbau Griechenlands eingebremst.

Hinweis:

Lesen Sie hierzu auch den Beitrag von Werner Vontobel vom 7. Januar 2013 zur Schuldbetreibung Griechenlands.


Literatur

IMF Country Report No. 13/20, January 2013

D Gros & T Mayer (2010): How to deal with sovereign default in Europe: Towards a Euro(pean) Monetary Fund, CEPS Policy Brief, 202/February 2010, Updated 17 May 2010

K Raffer (2012a): “Insolvency Protection and Fairness for Greece: Implementing the Raffer Proposal”, in Elena Papadopoulou & Gabriel Sakellaridis (eds) The Political Economy of Public Debt and Austerity in the EU, Nissos: Athens, pp.225-39.

K Raffer (2012b): “Which Second Haircut for Greece?”

Der Autor

Kunibert Raffer ist außerordentlicher Professor am Institut für Wirtschaftswissenschaften der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen: Forschungsschwerpunkte: Internationaler Handel, Internationale Finanzen, Entwicklungshilfe.

Kooperation

Dieser Artikel wurde für "Ökonomenstimme", die Internetplattform für Ökonomen im deutschsprachigen Raum, erstellt. Die Presse ist exklusiver Medienpartner der Ökonomenstimme.

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