Eurokrise und Song Contest: Dolchstoßlegende widerlegt

Eurokrise Song Contest Eine
Eurokrise Song Contest Eine(c) EPA (Jessica Gow)
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Verhalten sich die Eurokrisenländer bei der Punktevergabe gegenüber Deutschland anders als die restlichen Euroländer? Eine Analyse.

Hat die Eurokrise das schlechte Abschneiden Deutschlands im ESC 2013 (mit)verursacht, und tragen insbesondere die PIGSCI-Länder (Portugal, Italien, Griechenland, Spanien, Zypern, Irland) einen hohen Anteil daran? Zumindest letztere Behauptung kann eine Analyse des Punktevergabeverhaltens der Jahre 2011 bis 2013 widerlegen.

Am Samstag, den 18. Mai, war der Schock in Deutschland, groß: im Finale des ESC 2013 in Malmö erreichte der deutsche Beitrag nur den 21. Platz (von 39 Teilnehmern), mit gerade einmal 18 Punkten. Dieses Ergebnis schmerzte besonders, da man im Jahre 2010 noch glorreich den ESC Sieger gestellt hatte, und sowohl 2011 als auch 2012 mit jeweils über 100 Punkten immer noch in den TOP 10 landen konnte (2012: 110 Punkte; 2011: 107 Punkte).

Schnell wurde in den deutschen Medien das Gerücht verbreitet, dass dieser Punkteverlust für Deutschland vor allem dem „Liebesentzug“ der südeuropäischen Länder bzw. der PIGCSCI Länder geschuldet sei, die damit für das angebliche „Austeritätsdiktat von Angela Merkel“ Rache nehmen wollten (z.B. Bild, 2013; Spiegel online, 2013; Stern, 2013). Insbesondere Griechenland wurde  „Treulosigkeit“ unterstellt. Müssten denn nicht gerade die Länder, welche vom europäischen Rettungsschirm profitierten, sich als besonders dankbar erweisen?, fragt sich enttäuscht der deutsche Michel.

Es mehren sich die Anzeichen dafür, dass die in den deutschen Medien offen vorgebrachten und eher unreflektierten Unterstellungen das bereits belastete Verhältnis Deutschland-Griechenland weiter schädigen könnten. Aus diesem Grund habe ich eine kurze Analyse der Stimmenverluste im ESC seit dem Sieg von Lena im Jahre 2010 vorgenommen (ein Ereignis, das sicherlich eine Ausnahme für sich darstellt). Um das Ergebnis vorwegzunehmen: weder die PIGSCI-Staaten noch Griechenland im Speziellen haben zum Debakel in diesem Jahr in überdurchschnittlichem Masse beigetragen.

Beginnen wir mit einer Analyse der Punktevergabe der PIGSCI Staaten an Deutschland für die Jahre 2011, 2012, und 2013:

Tabelle 1: Punktevergabeverhalten der PIGSCI-Länder 2011 bis 2013

Punktevergabeverhalten der PIGSCI-Länder 2011 bis 2013
Punktevergabeverhalten der PIGSCI-Länder 2011 bis 2013



Auffallend ist, dass Griechenland in den Jahren 2011 4 Punkte und 2012 0 Punkte an Deutschland vergeben hatte. Noch eindeutiger fällt das Verhalten von Zypern aus: 2011 wie 2012 vergab Zypern jeweils 0 Punkte, ebenso auch wie im Jahr 2013. Diese Zahlen widerlegen das Gerücht, Griechenland (oder Zypern) hätte im Jahre 2013 die Deutschen für die „Merkel-Politik“ mit Punkteabzug abgestraft. Im Gegenteil: Spanien vergab sogar konstant 3 Punkte, 2011, 2012 sowie 2013. Weniger Punkte hat Deutschland in 2013 vor allem von Irland und Italien erhalten (2012: 10 Punkte bzw. 8 Punkte); Portugal nahm am ESC 2013 nicht teil. Abschließend ist zu urteilen: Die Länder, welche am härtesten von der Austeritätspolitik betroffen sind, zeichnen sich durch eine hohe Kontinuität in ihrem Punktevergabeverhalten zwischen 2011 und 2013 aus.

Tatsächlich ist aber die an Deutschland vergebene Punktezahl pro PIGSCI-Land erheblich gefallen: von 2,16 im Jahr 2011 (bzw. sogar 5,16 im Jahr 2012) auf lediglich 0,6 Punkte pro Land im Jahre 2013. Bei einer Gesamtpunktzahl für den deutschen Beitrag von lediglich 18 Punkten im Jahr 2013 im Vergleich zu den erreichten 110 Punkten im Jahr 2012 müssen jedoch auch nicht-PIGSCI-Länder zu dem diesjährigen schlechten Abschneiden Deutschlands beigetragen haben. Möglicherweise gibt es einen punktereduzierenden Eurokriseneffekt für Deutschland, der dann auch nicht nur innerhalb der PIGSCI-Länder, sondern in der gesamten Eurozone sichtbar werden sollte.

Im nächsten Schritt untersuche ich, ob der Stimmenverlust 1. in der Gruppe der anderen Eurozonen- Länder und 2. in der Gruppe der übrigen ESC-Teilnehmerstaaten einen ähnlichen Umfang aufweist wie in den PIGSCI-Staaten oder nicht. Gemessen wird die durchschnittlich vergebene Punktzahl für Deutschland.

Tabelle 2: Durchschnittlich Punktzahl für Deutschland nach Geberländergruppen

Durchschnittlich Punktzahl für Deutschland nach Geberländergruppen
Durchschnittlich Punktzahl für Deutschland nach Geberländergruppen



Diese Tabelle lässt sich wie folgt interpretieren: Betrachten wir zunächst die absoluten Pro-Land-Werte in den drei Gruppen: Die durchschnittlichen Punkte für Deutschland liegen in der PIGSCI-Länder-Gruppe mindestens ebenso hoch wie in einer der beiden anderen Ländergruppen. Beispielsweise vergaben 2013 die PIGSCI-Länder im Schnitt 0,6 Punkte für Deutschland, die restliche Eurozone 0,75 Punkte, und die verbleibenden ESC-Teilnehmerstaaten 0,36 Punkte. Daraus schliesse ich, dass kein deutschlandfeindlicher „Austeritätspolitikeffekt“ innerhalb der PIGSCI-Länder existiert. Dieser Zusammenhang gilt für alle drei betrachteten Jahre 2011, 2012, und 2013 gleichermaßen.

Bemerkenswert sind auch die hohen Punktewerte in der Gruppe der restlichen Eurozonenländer relativ zu den Werten der Gruppe der verbleibenden ESC-Teilnehmerstaaten, ebenfalls für alle drei Jahre: beispielsweise honorierten die restlichen Eurozonenstaaten den deutschen Beitrag beim ESC 2012 im Schnitt mit 3,11 Punkten, während die verbleibenden ESC-Teilnehmer lediglich 1,96 Punkte pro Land vergaben. Hatten die damals geforderte Austeritätspolitik sowie die anderen Maßnahmen der Eurorettung einen (relativ) guten Eindruck bei den übrigen Euroländern hinterlassen?



Schließlich könnte jedoch ein „Angela-Merkel-Effekt“ im Sinne einer vergleichsweise größeren Punkteabnahme in den PIGSCI-Staaten zwischen 2012/2011 und 2013 aufgetreten sein. Dazu betrachten wir die Abnahme der durchschnittlich vergebenen Punkte für Deutschland für alle drei Ländergruppen. In allen drei Gruppen tritt eine solche Abnahme auf, sowohl für 2011-2013 als auch für 2012-2013; die Werte für die PIGSCI-Staaten fallen das eine Mal unterdurchschnittlich (-1,56 für 2011-2013) und das andere Mal überdurchschnittlich hoch aus (-4,56 für 2012-2013), was keine spezifische Interpretation zulässt. Dagegen ist der Rückgang der durchschnittlich vergebenen Punkte in der Gruppe der restlichen Eurozonenländer höher als in der Gruppe der übrigen ESC-Teilnehmerländer - für beide Ausgangsjahre 2011 und 2012 (bspw. -2,36 versus -1,60 für 2012-2013). Dies könnte auf einen besonders starken Vertrauensverlust der anderen Euroländer in die Problemlösungskapazitäten der Troika (unter einer subjektiv wahrgenommen Führung von Frau Dr. Merkel) hinweisen.

Schlussworte


Eine Analyse des Punktevergabeverhaltens beim ESC 2011 bis 2013 lässt nicht den Schluss zu, dass sich die PIGSCI-Staaten anders als die restlichen Eurozonenstaaten oder die restlichen ESC-Teilnehmerländer verhalten hätten. Zugegebenermaßen ist eine deutliche Abnahme der Punkte für Deutschland zwischen 2011 bzw. 2012 und 2013 zu verzeichnen – diese Abnahme findet jedoch in den drei betrachteten Ländergruppen gleichermaßen statt und nimmt auch vergleichbare Ausmaße an. Die vorliegende Untersuchung hält jedoch auch eine kleine Überraschung bereit: wollte man tatsächlich den deutschen Medien folgen und die ESC-Punkte als „Vertrauensindikatoren“  interpretieren, dann zeigten auch 2013 die nicht-PIGSCI-Eurozonenstaaten ein relativ größeres Vertrauen in die Politik Deutschlands.

Quellen:

BILD (2013), „Welche Rolle spielt Kanzlerin Merkel bei Cascadas Niederlage?“ in: BILD online, 19.Mai 2013, heruntergeladen am 20. Mai 2013

Eurovision Song Contest 2011, heruntergeladen am 19. Mai 2013

Eurovision Song Contest 2012, heruntergeladen am 19. Mai 2013

Eurovision Song Contest 2013, heruntergeladen am 19. Mai 2013

Spiegel (2013), „Deutsche ESC-Blamage: Merkel ist schuld!“, in: SPIEGEL online, 19. Mai 2013, heruntergeladen am 20. Mai 2013

Stern (2013), „Nun soll Merkel auch noch das ESC-Debakel verursacht haben“, in: Stern online, 19. Mai 2013, heruntergeladen am 20. Mai 2013

Die Autorin

Justina A. V. Fischer ist Visiting Fellow an der Universität Mannheim und Gastprofessorin an der Universität von Oradea. Zuvor war sie Gastprofessorin an der Universität Rom «Tor Vergata» und Vertretungsprofessorin an der Universität Hamburg.

Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Verhaltensökonomie, Politische Ökonomie, Wohlfahrtsökonomie, Public Economics, Bildungsökonomie.

Kooperation

Dieser Artikel wurde für "Ökonomenstimme", die Internetplattform für Ökonomen im deutschsprachigen Raum, erstellt. Die Presse ist exklusiver Medienpartner der Ökonomenstimme.

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