"Small Is Beautiful": Die Größe der Kleinen in der EU

YEARENDER 2007 JANUARY
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Spielt die Größe eines Landes in der EU eine Rolle für dessen Wohlstand? Dieser Frage ist Ökonom Fritz Breuss nachgegangen.

Mit dem Slogan "Small Is Beautiful" wollte sich E.F. Schumacher Anfang der siebziger Jahre gegen die drohende Globalisierung stemmen. Wie steht es mit dem Wahrheitsgehalt dieses Slogans heute in der EU und Eurozone angesichts anhaltender Krisen? Spielt Ländergröße überhaupt eine Rolle? In der erweiterten Union müssten eigentlich große Länder mit großen Firmen Größenvorteile lukrieren. Mit Ausnahme der üblichen Vorteile von kleinen Ländern im Außenhandel spielt Größe ökonomisch aber kaum eine Rolle. Im politischen Entscheidungsprozess haben natürlich große Länder nach wie vor das Sagen. Die Eurokrise hat die kleinen Länder stärker gebeutelt als die großen.

Während die EWG Ende der fünfziger Jahre mit drei großen und drei kleinen Ländern startete, gibt es nach der sechsten Erweiterung in der EU-28 eine Überzahl an kleinen (21) Ländern. Inwieweit spiegelt sich dieses Ungleichgewicht in der Länderzusammensetzung in der ökonomischen Performance der EU-Mitgliedstaaten? Die EU hat sich parallel zur ständigen Erweiterung auch integrationspolitisch vertieft: von der Zollunion in den sechziger Jahren über den Binnenmarkt bis zur Währungsunion mit dem Euro in den neunziger Jahren. In allen Ex-ante-Studien über die dadurch zu erwartenden Integrationseffekte (z.B. im Cecchini-Bericht) spielten die Größenvorteile die Hauptrolle. Demnach müssten große Länder (mit vorwiegend großen, multinationalen Firmen) auch größere Integrationseffekte bzw. ein höheres Wirtschaftswachstum durch die Teilnahme am Binnenmarkt und die Einführung des Euro aufweisen.

Die Ex-post-Bilanz ist ernüchternd. Natürlich hatten die Länder, die der EWG bzw. EU beitraten unterschiedliche Startbedingungen. Einerseits bezüglich ihres Zoll- und andererseits hinsichtlich ihres Entwicklungsniveaus. Während in der Anfangsphase der Sechsergemeinschaft alle Länder ähnlich hoch entwickelt waren, hat sich in den folgenden Erweiterungsschritten (mit Ausnahme der Erweiterung 1995 um drei gleich „reiche" Länder) eine immer größere Kluft zwischen Arm (neue Mitgliedstaaten) und Reich (die alten Mitglieder) aufgetan; dies insbesondere seit der sogenannten „Osterweiterung" ab 2004.

Größe und Entwicklung: Kein Zusammenhang

Dennoch gibt es keinen Zusammenhang von Ländergröße und Entwicklungsniveau (BIP pro Kopf). Immerhin sind die sechs reichsten EU-Länder kleine Länder. Am unteren Ende der Skala rangieren die neuen Mitgliedstaaten in Osteuropa Diese haben daher einen hohen Nachholbedarf. Mit Ausnahme Polens und Rumäniens betrifft dies besonders die kleinen neuen EU-Länder. Das durchschnittliche jährliche Wirtschaftswachstum (reales BIP pro Kopf) war in den einzelnen Integrationsphasen unterschiedlich hoch. In der ersten Integrationsphase (EG-6: 1958-1972) wuchsen die großen (+4,4%) etwas rascher als die kleinen Länder (+4%). Dieser Vorsprung der großen Länder (+1,8%) vor den kleinen (+1,6%) hielt auch noch knapp in der Phase 1973-1994. In den nächsten Erweiterungsphasen ab 1995 schnitten die Kleinen jeweils etwas besser ab als die Großen. Wegen der Notwendigkeit der EU-Neuen zum Pro-Kopf-Einkommen der alten EU-Mitgliedstaaten aufzuschließen („catching-up"), wuchsen die Kleinen im Durchschnitt pro Jahr seit 1993 etwas rascher als die Großen. Ein Prozess der Konvergenz ist in der sich ständig erweiternden EU seither im Gange.

Eindeutige „negative" Größenvorteile gibt es bei der Teilnahme an der Globalisierung. Firmen in kleinen Staaten können die Kleinheit des Binnenmarktes nur durch mehr Engagement im Ausland überwinden. Die Mehrproduktion wird exportiert und teilweise sind sie auch darauf angewiesen, direkt im Ausland zu investieren, um zu expandieren. Daraus ergibt sich, dass kleine Länder sowohl im Handel als auch teilweise bei Direktinvestitionen stärker engagiert sind als große Länder. Dabei gibt es natürlich immer wieder Ausnahmen.

Die meisten Indikatoren für Wettbewerbsfähigkeit weisen auch keinen positiven Zusammenhang mit der Ländergröße auf. Dagegen spielt aber das Entwicklungsniveau eine bedeutende Rolle. Reiche (ob große oder kleine) Länder sind wettbewerbsfähiger als arme. Die Ergebnisse bezüglich des Einflusses der Ländergröße auf die „Euro-Dividende", d.h. die Gewinne durch die Einführung des Euro im Außenhandel, sind nicht eindeutig. Sie scheint nicht so sehr von der Ländergröße abzuhängen, als vielmehr vom Entwicklungsniveau: D.h. ärmere Länder (Euro-Mitglieder und Nichtmitglieder des Euro) erzielten demnach eine höhere „Euro-Dividende" als reichere (alte) EU-Mitgliedstaaten. Eigene Simulationen der geschätzten Integrationseffekte zeigen, dass die EU-Mitgliedschaft für rund ein halbes Prozentpunkt mehr Wachstum des realen BIP pro Kopf pro Jahr und Land verantwortlich ist. Diese Effekte sind gleich große für kleine und große Länder, Unterschiede ergeben sich nur durch die Dauer der EU-Mitgliedschaft. Die Effekte der EU-Integration klingen mit der Zeit ab und scheinen daher abnehmende Grenzerträge aufzuweisen. Die Ländergröße spielt keine signifikante Rolle.

Während Größe ökonomisch eigentlich keine (große) Rolle in der EU spielt, haben natürlich die Großen im Machtgefüge der EU das Sagen. Die Fortentwicklung der europäischen Integration haben denn auch maßgeblich große Länder, nicht zuletzt die Achse Berlin-Paris vorangetrieben. Besonders in der „Euro-Krise" hat der „heimliche" Hegemon der EU, Deutschland die Führungsrolle übernommen. Große Länder dominieren zwar mit ihrer Abstimmungsmacht im Rat - insbesondere seit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags. Das garantiert aber nicht automatisch auch, dass größere Länder rascher wachsen als kleinere.

Von der Großen Rezession zur Eurokrise

Vom Einbruch des realen BIP in der „Großen Rezession" 2009 waren die kleinen Länder grundsätzlich stärker betroffen als die großen Länder der EU. Die Großen meisterten die globale Finanz- und Wirtschaftskrise (GFC) 2008/09 und den Wachstumseinbruch in der „Großen Rezession" von 2009 im Durchschnitt etwas besser als die kleinen. Dies nicht zuletzt deswegen, weil die Großen genügend Budgetmittel zur keynesianischen Gegensteuerung einsetzen konnten. Normalerweise sind Kleinstaaten bessere Schock-Absorber als Großstaaten, weil sie flexibler reagieren können.

Allerdings handelte es sich bei der „Großen Rezession" 2009 um keinen „normalen" Konjunktureinbruch nach dem Erklärungsmuster der Theorie der „Real business cycles", sondern ein ganz spezifisches Amalgam verschiedener Ursachen (eher der zusammenbrechende Nexus Finanz- und Realwirtschaft; „The „Minsky Moment") verdichtete sich zu einem der größten (strukturellen) Schocks der Nachkriegszeit. Die „Große Rezession" mündete letztlich in der sogenannten „Eurokrise" ab 2010. Das schon lange anhaltende Auseinanderdriften der Wettbewerbsfähigkeit zwischen Nord und Süd in der Eurozone, gepaart mit den aus den USA herüber schwappenden negativen Auswirkungen der Immobilien- und Bankenkrise wuchs sich in den schwächsten Euroländern - den PIIGS - zur Staatschuldenkrise aus. Dies nicht zuletzt, weil einige PIIGS-Staaten ihre Banken als „lender of last resort" retteten.

Evaluiert man die Wirtschaftsentwicklung seit 1999 anhand von vier Makro-Indikatoren - Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung und Wettbewerbsfähigkeit - reüssierten die kleinen Länder im Durchschnitt in der „Schönwetterperiode" 1999-2008 immer besser als die Großen. Nur in der Rezession 2009 war ihr Wachstumseinbruch etwas stärker als jener der Großen. In der Phase der Überwindung der Krise seither sind die Kleinen gleichauf mit den Großen bezüglich des Wirtschaftswachstums, aber immer besser in den anderen Makroindikatoren. Allerdings ist die Zusammensetzung der Gruppe der 20 kleinen EU-Staaten auch sehr heterogen, reiche Länder der alten EU stehen ärmeren der neuen Mitgliedstaaten gegenüber.

Seit Ausbruch der Euro-Krise 2010 gibt es einige „Ausreißer", nämlich die Länder der Gruppe der PIIGS, deren ausnehmend schlechte Performance seit der „Großen Rezession" 2009 den Begriff „Eurokrise" evozierten. Sie besteht sowohl aus kleinen (Griechenland, Irland und Portugal) als auch aus großen (Italien) und mittelgroßen Ländern (Spanien).Dazu gesellte sich 2013 noch Zypern mit einer Banken- und Staatsschuldenkrise. Die PIIGS waren im Durchschnitt von der „Großen Rezession" besonders stark betroffen und entwickelten sich seit Ausbruch der Euro-Krise 2010 deutlich schlechter als die Großen und Kleinen.

Griechenland ragt als besonders krisengebeuteltes Land aus der Gruppe der Eurokrisenländer hervor. Es durchlebt seit 2009 eine fünf Jahre andauernde Anpassungsrezession mit einem kumulierten Wachstumseinbruch von mehr als 25% des Ausgangs-BIP und einem dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit, eine Situation, die jener der Transformationskrise in den baltischen Ländern nach dem Übergang von Plan- zur Markwirtschaften seit 1989 ähnelt.

Der Autor

Von der Fähigkeit der PIIGS (mit tatkräftiger Unterstützung der Europartner durch Rettungsmaßnahmen, der unkonventionellen Politik der EZB und den Vorgaben der Troika zu Strukturreformen), die gegenwärtigen Krisen (Banken, Staatsschulden, mangelnde Wettbewerbsfähigkeit) zu überwinden, wird es abhängen, wie es mit der EU und insbesondere mit der Eurozone weitergeht. Zwar bestimmen normalerweise die Kleinen nicht das Geschehen der gesamten EU, aber in Zeiten von Krisen können kleine Länder (Griechenland) - ähnlich dem „Schmetterlingseffekt" in der Chaostheorie - die gesamte Eurozone ins Wanken bringen. Fritz Breuss, Jahrgang 1944, ist Jean Monnet Professor für wirtschaftliche Aspekte der Europäischen Integration an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und seit Oktober 2009 emeritierter Professor für Internationale Wirtschaft an der Wirtschaftsuniversität (WU). Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die internationale Ökonomie und die Europäische Integration.

Kooperation

Dieser Artikel wurde für "Ökonomenstimme", die Internetplattform für Ökonomen im deutschsprachigen Raum, erstellt. Die Presse ist exklusiver Medienpartner der Ökonomenstimme.

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