Freier Handel führt nicht immer zu weniger Arbeitslosen

EPA
  • Drucken

Wie der Abbau von Handelsschranken mit der Forschung in Zusammenhang steht und warum geringe Handelskosten eine geringere Produktion bedeuten, erklärt Wirtschaftsforscher Ignat Stepanek.

Der Abbau von Handelsschranken und die Arbeitslosigkeit einer Volkswirtschaft waren schon immer sensible und politisch bedeutsame Themen. Deren gemeinsame Bedeutung wird bei der Diskussion über neue Handelsabkommen, wie dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA), bei dem sich Güter frei bewegen und bei der Erweiterung der EU, in der sich Güter, Arbeitskräfte und Kapital ohne Grenzen bewegen können, häufig hervorgehoben.

Während des US-Präsidentschaftswahlkampfes 1992 umschrieb Kandidat Ross Perot die Abwanderung von Arbeitsplätzen aus den USA nach Mexiko, sollte die USA der NAFTA beitreten, als „giant sucking sound". Es handelt sich dabei um eine Drohkulisse, die üblicherweise von Politikern im Wahlkampf aufgebaut wird, um bei Personen Anklang zu finden, die um die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze fürchten.

Abwanderung von Arbeitsplätzen

In der Tat ist die Überzeugung weit verbreitet, dass Handelsliberalisierungen zu höherer Arbeitslosigkeit führen kann. Laut dem Eurobarometer 2002 glauben 44% der Europäer, dass die EU-Erweiterung zu einer größeren Arbeitslosigkeit in ihren Heimatländern führt (European Commission 2002). Die Studie wurde im Vorfeld der EU Osterweiterung im Jahre 2004 durchgeführt. Allerdings war diese Skepsis nicht nur innerhalb der 15 bestehenden Mitgliedsstaaten vorhanden, sondern auch bei den Bürgern der Beitrittskandidaten. Ein Beispiel ist die Tschechische Republik, deren Bürger steigende Arbeitslosigkeit und höhere Lebenshaltungskosten in Folge des EU-Beitritts fürchteten (Hanley 2004).

In der Öffentlichen Debatte wird oftmals argumentiert, dass die Handelsöffnung eines Landes dazu führen kann, dass Arbeitsplätze in Staaten abwandern, in denen Löhne, Beschäftigung und Umweltstandards niedriger sind. Mit Freihandel würden die gleichen Güter zu niedrigeren Preisen importiert, wodurch lokale Produzenten und Unternehmen in den Konkurs getrieben würden und folglich Arbeitsplätze verloren gingen.

Doch halten diese Argumente einer wissenschaftlichen Überprüfung stand? In einer viel zitierten Arbeit stellt Trefler (2004) dar, dass die Beschäftigung in Kanada nach der Gründung der NAFTA kurzfristig gesunken ist. Betrachtet man die langfristigen Auswirkungen, zeigt sich hingegen ein anderes Bild: in den Wirtschaftswissenschaften scheint sich ein Konsens darüber gebildet zu haben, dass Handelsliberalisierungen keine langfristigen Auswirkungen auf das Beschäftigungsniveau haben. So schreibt Paul Krugman in einem Artikel der American Economic Reviews aus dem Jahr 1993: „[...] the level of employment is a macroeconomic issue, depending in the short run on aggregate demand and depending in the long run on the natural rate of unemployment, with microeconomic policies like tariffs having little net effect." Langfristig wird sich die Volkswirtschaft also neuordnen und zu ihrer natürlichen Arbeitslosenquote zurückkehren. Vielmehr reagiert das Einkommensniveau auf den Abbau von Handelshemmnissen.

Aktuelle Untersuchungen hingegen widersprechen der Idee der Beschäftigungsneutralität. Eine empirische Studie von Felbermayr et al. (2011) kommt zu dem Ergebnis, dass Freihandel zu einer langfristig geringeren strukturellen Arbeitslosenquote führt. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Dutt et al. (2009). Hasan et al. (2012) zeigen, dass fallende Handelskosten zu sinkender Arbeitslosigkeit in indischen Städten mit flexiblem Arbeitsmarkt geführt haben.

Auswirkungen der Wachstumstheorie

In einer aktuellen theoretischen Studie (Stepanok 2013) untersuche ich die dynamischen Auswirkungen von Handelsliberalisierungen und berücksichtige dabei die Wachstumseffekte eines Abbaus von Handelsschranken.

Die Wachstumstheorie bietet hierbei einen idealen Rahmen, um die dynamischen Effekte des Handels auf die Arbeitslosigkeit zu analysieren. Ohne die Berücksichtigung des Wachstums würde man einen bedeutenden Aspekt bei der Berechnung der Wohlfahrtseffekte vernachlässigen. Des Weiteren beschäftigt sich die Wachstumstheorie mit den Anreizen für Firmen in neue Projekte zu investieren, was wiederum eine treibende Kraft für die Schaffung und Streichung neuer Stellen und somit der strukturellen Arbeitslosigkeit ist.

Ich untersuche zwei Versionen eines Wachstumsmodells. Im ersten Modell, einem sogenannten semi-endogenen Modell, hat Handel lediglich kurzfristige Effekte auf das Wachstum. Im zweiten Model, einem sogenannten vollständig endogenen Wachstumsmodell, hat Handel dauerhafte Auswirkungen auf das Wachstum. Es zeigt sich, dass in beiden Modellversionen der Abbau von Handelshemmnissen einen dauerhaften Effekt auf die Arbeitslosigkeit hat. Interessant ist dabei, dass der Abbau von Handelshemmnissen die Arbeitslosigkeit in Ländern senkt, die relativ hohe Ausgaben für Forschung und Entwicklung haben. In Ländern mit relativ geringen Forschungs- und Entwicklungsausgaben führt der Abbau von Handelshemmnissen dagegen zu steigender Arbeitslosigkeit.

Mehr Forschung schafft Jobs

Wie lässt sich diese Ergebnis intuitiv verstehen. Durch den Freihandel stiegen die Gewinne der Unternehmen. Das wiederum erhöht deren Bestreben weitere Innovationen zu generieren und damit ihren Marktanteil auszuweiten. Innovationen gehen dabei mit einer höheren Nachfrage im Forschungs- und Entwicklungsbereich einher, was sich auf dem Arbeitsmarkt in einem Plus an offenen Stellen und damit in sinkender Arbeitslosigkeit niederschlägt.

Gleichzeitig bedeuten geringere Handelskosten eine höhere Effizienz, aber damit auch eine geringere Produktion. So müssen für die Produktion eines gegebenen Warenwerts, der ins Ausland exportiert werden soll, weniger Arbeitskräfte eingesetzt werden. Es geht auf dem Weg weniger „verloren", weil der Transport effizienter ist oder die Zölle niedriger sind. Dieser zweite Mechanismus reduziert die Produktion der Unternehmen und somit auch deren Nachfrage nach Arbeitskräften. In einer Volkswirtschaft mit einem starken FuE-Sektor ist der erste Effekt allerdings größer.

Meine Ergebnisse legen also nahe, dass die Auswirkungen von Handelsliberalisierungen ganz entscheidend von der Forschungstätigkeit einer Volkswirtschaft abhängen.

Autor

Ignat Stepanok ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Er hat 2011 an der Stockholm School of Economics promoviert und hat einen Bachelor-Abschluss in Ökonomie des Ramapo College of New Jersey. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Internationaler Handel und Wirtschaftswachstum.

Kooperation

Dieser Artikel wurde für "Ökonomenstimme", die Internetplattform für Ökonomen im deutschsprachigen Raum, erstellt. Die Presse ist exklusiver Medienpartner der Ökonomenstimme.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.