Wie fair entscheiden Ratingagenturen?

GERMANY RATINGS EFSF DOWNGRADE
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Zwei Forscher stellen sich die Frage, ob Ratingagenturen die Bonität ihres Heimatlandes positiver als jene von anderen Staaten.

Zum wiederholten Male abgewertet und mit einem Rating von nur noch "A" jetzt ganze 5 Stufen von der Bestnote "AAA" entfernt. Diese Beschreibung bezieht sich nicht auf ein südeuropäisches Krisenland, sondern auf die USA, die immer noch größte Volkswirtschaft der Welt. Die Ratingagentur, die dieses harsche Urteil gefällt hat, ist allerdings keine der drei großen amerikanischen Agenturen, sondern die aufstrebende chinesische Agentur Dagong. Von den drei US-Agenturen geben Fitch und Moody's den USA immer noch die Bestnote "AAA". Die dritte US-Agentur, Standard & Poor's (S&P), hat ihr Heimatland zwar im August 2011 auf die zweitbeste Note "AA+" herabgestuft, sah sich aber in Folge dessen juristischen Repressalien der US-Regierung ausgesetzt, welche die Agentur in der Ratingentscheidung begründet sieht.  Dieses Beispiel veranschaulicht, wieso viele Beobachter den Eindruck haben, dass das Herkunftsland einer Ratingagentur deren Entscheidungen beeinflussen würde.

Idealerweise sollten der Wettbewerb zwischen den Agenturen und die Angst vor Reputationsverlusten bei Vergabe "falscher" Ratings dafür sorgen, dass Agenturen akkurate, unverzerrte Ratings vergeben. Ratings erfüllen ökonomisch eine wichtige Funktion, da sie Informationsasymmetrien zwischen Emittenten und Käufern einer Anleihe reduzieren. Allerdings müssen insbesondere Länderratings immer wieder als Beispiel für zweifelhafte Praktiken, unglückliches Timing und Fehleinschätzungen der Agenturen herhalten. Russlands Präsident Wladimir Putin und der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble sprechen in diesem Zusammenhang von "missbräuchlichem Verhalten" und "Missbrauch", der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan wirft den Agenturen "unfaire Entscheidungen" vor und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso spricht gar von einem „Bias (...), wenn es um die Einschätzung der besonderen Lage in Europa geht".  Gemeinsam ist vielen Vorwürfen verzerrter Länderratings, dass angeblich nicht allein die ökonomischen und politischen Fundamentaldaten eines Staates für sein Rating herangezogen werden, sondern das Herkunftsland der Agenturen bei Ratingentscheidungen eine Rolle spielt. Der mögliche Einfluss des Heimatlandes der Ratingagentur auf Länderratings wurde bisher nicht systematisch untersucht. Unsere neue Studie (Fuchs und Gehring 2013) schließt diese Lücke in der wissenschaftlichen Literatur und analysiert hierfür die Länderratings von neun internationalen Ratingagenturen.

Die Ratingagenturen

Weltweit gibt es ungefähr 150 Kreditratingagenturen, von welchen die meisten aber nur in einem sehr begrenzten nationalen oder regionalen Markt tätig sind und ihren Fokus auf Unternehmensanleihen legen (White 2010; De Haan und Amtenbrink 2011). Neben den drei großen US-Agenturen (Fitch, Moody's und S&P) haben wir sechs weitere Agenturen identifiziert, die jeweils mindestens 25 Länderratings vergeben. Diese Agenturen haben ihren Sitz in fünf verschiedenen Ländern auf drei Kontinenten: Capital Intelligence (Zypern), Dagong (China), DBRS (Kanada), Feri (Deutschland), Japan Credit Rating Agency (Japan) und Rating and Investment Information (Japan).

Wenn wir die Länderratings der chinesischen Agentur Dagong (Abbildung 1) mit denen der US-Agentur Moody's (Abbildung 2) vergleichen, sind einige Unterschiede auf den ersten Blick zu erkennen. Dagong stellt seinem Heimatland China, den anderen BRIC-Staaten und den chinesischen Sonderverwaltungszonen Macau und Hongkong bessere Bonitätsnoten aus als Moody‘s. Anderseits sind die Ratings für die USA und die meisten westlichen Staaten im Vergleich zu Moody‘s schlechter.

Polit-ökonomische Einflüsse des Heimatlands

In einem vor Kurzem erschienenen Discussion Paper (Fuchs und Gehring 2013) zeigen wir, dass der Prozess, der zur Entstehung eines Ratings führt, in allen Agenturen relativ ähnlich ist. Ein oder mehrere Analysten sammeln Daten, sowohl aus öffentlich zugänglichen Datenquellen, also auch durch Interviews mit dem bewerteten Staat und schätzen in einem quantitativen Modell die erwartete Ausfallwahrscheinlichkeit der Staatsanleihen. Das endgültige Rating wird dann in einem Ratingausschuss (Rating Comittee) festgelegt, zu dem meist mindestens ein höherrangiger Manager gehört. Dieser Ausschuss besitzt die Befugnis, vorgeschlagene Ratings der Analysten zu überstimmen (S&P spricht von „exceptional adjustment factors", siehe S&P 2012). Polit-ökonomische Einflussfaktoren sowie wirtschaftliche und politische Interessen am zu bewertenden Staat könnten diesen Prozess beeinflussen.

Es ist offensichtlich, dass für Regierungen Anreize bestehen, Ratings zu beeinflussen, da diese u.a. ihre Finanzierungskosten und den Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten bestimmen (z.B. Afonso et al. 2012). Neben dem Interesse an der eigenen Beurteilung könnten auch die Bewertungen wirtschaftlich oder politisch eng verknüpfter Staaten für Regierungen relevant sein, z.B. um die Exportinteressen der heimischen Wirtschaft oder die Investitionen der heimischen Banken zu schützen. Obwohl alle Agenturen im Privatbesitz sind, hat die jeweilige Regierung ein beträchtliches Drohpotential, vor allem durch eine mögliche Aberkennung der Lizenz.

Die bevorzugte Behandlung des Heimatlandes

Die „positive" Nachricht zuerst: In der gesamten Stichprobe mit allen neun Agenturen können 86% der Variation in den Länderratings durch „objektive" ökonomische und politische Eigenschaften der bewerteten Länder erklärt werden. Allerdings finden wir (Fuchs und Gehring 2013) auch Belege für eine Verzerrung der Länderratings zugunsten des Heimatlandes der Agenturen. Dieser Bias ist nicht nur statistisch signifikant, sondern kann ernsthafte Auswirkungen auf die Finanzierungsmöglichkeiten der bewerteten Staaten haben. So wird das Heimatland der Agenturen im Schnitt um fast eine ganze Note besser bewertet als andere Länder mit vergleichbaren Fundamentaldaten. Abbildung 3 zeigt den Unterschied zwischen den dem Heimatland tatsächlich vergebenen Rating der einzelnen Agenturen und den geschätzten Ratings aus unseren agenturspezifischen Schätzmodellen. Diese Schätzungen berücksichtigen, wie die jeweilige Agentur andere Länder bewertet, und berechnen das Rating für den Fall, dass das Heimatland genauso behandelt werden würde wie andere Staaten.



Darüber hinaus zeigen wir, dass es einen robusten positiven Zusammenhang zwischen dem Auslandsengagement der Banken des Heimatlandes und den Ratingnoten gibt. Das heißt, Staaten erhalten ceteris paribus bessere Ratings, wenn Banken aus dem Heimatland der Agentur dort größeren Risiken aus Krediten, Bürgschaften etc. ausgesetzt sind. Mögliche Gründe können unter anderem in potentiellen Interessenkonflikten liegen, da viele Banken und Finanzunternehmen an den Agenturen beteiligt sind.  Im Gegensatz dazu scheinen die geostrategischen Interessen des Heimatlandes keinen robusten Einfluss auf Länderratings zu haben.

Die Rolle kultureller Unterschiede

Wir zeigen (Fuchs und Gehring 2013), dass ein tieferliegender Grund für systematische Unterschiede bei Länderratings in der „kulturellen Distanz" zwischen dem Heimatland und dem bewerteten Staat liegt. Genauer gesagt besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen den linguistischen Unterschieden, einem Maß für kulturelle Distanz, und der Höhe der Länderratings. Je größer die kulturelle Distanz zu dem bewertenden Land, desto niedriger sein Rating, ceteris paribus. Dafür gibt es zwei mögliche Gründe. Die Agenturen müssen für ihre Bewertung auf Informationen zurückgreifen, die sie entweder direkt von dem zu bewertenden Staat oder aus externen Quellen erhalten. Weniger Informationen über „kulturell entferntere" Länder könnten zu mehr Unsicherheit und konservativeren, also niedrigeren, Ratings führen. Diese auf Informationsunterschieden basierende Erklärung wird aber nicht durch unsere empirischen Ergebnisse bestätigt (Fuchs und Gehring 2013) bestätigt. Wenn die Ratingagenturen ein eigenes Büro im zu bewertenden Staat unterhalten, sollte dies die Informationsnachteile ausgleichen. Allerdings gibt es keinerlei Anzeichen dafür: Wenn wir in unserem Schätzmodell für das Vorhandensein eines Auslandsbüros kontrollieren, hat dies keinen signifikanten Einfluss auf den Effekt von kultureller Distanz auf Länderratings.
Daher scheint es am wahrscheinlichsten, dass kulturelle Distanz zu einer anderen Risikowahrnehmung führt.

Mehrere Studien haben gezeigt, dass Risiken im Heimatland optimistischer eingeschätzt werden (z.B. Kilka und Weber 2000). Darüber hinaus besteht ein Zusammenhang zwischen kultureller Nähe und dem Vertrauen zueinander (Guiso et al. 2009). Gegenseitiges Vertrauen beeinflusst nicht nur die Wahrnehmung der vorhandenen Informationen über die Zahlungsfähigkeit des zu bewertenden Staates, sondern auch über seine Zahlungsbereitschaft. Wie u.a. Reinhart und Rogoff (2009) gezeigt haben, ist mangelnde Liquidität eines Staates oftmals nicht der entscheidende Grund für einen Staatsbankrott, sondern innenpolitische Motive der jeweiligen Regierung. Diskriminierung im Sinne einer Benachteiligung bestimmter ethnischer Gruppen schließen wir als Grund aus, da keinerlei statistischer Zusammenhang zwischen einem Indikator für ethnische und genetische Unterschiede und Länderratings besteht.

Während der Effekt des Bankenengagements und der kulturellen Distanz größtenteils statistisch unabhängig voneinander zu sein scheinen, lässt sich die bevorzugte Behandlung des Heimatlandes durch die kulturelle Nähe erklären. Der Einfluss kultureller Distanz ist auch nicht auf die US-Agenturen beschränkt, sondern besteht für sechs der neun Agenturen in unserer Stichprobe. Der Effekt wird größer nach Ausbruch der Finanzkrise 2008 und ist stärker ausgeprägt bei Staaten mit schlechterer Kreditwürdigkeit. Je größer die Unsicherheit und je weniger objektive Daten vorliegen, desto größer wird anscheinend die Rolle „weicher" Faktoren wie wechselseitigem Vertrauen. Diese Ergebnisse ergänzen die wissenschaftliche Literatur über den Einfluss kultureller Unterschiede auf Finanzentscheidungen (z.B. Grinblatt und Keloharju 2001; Giannetti und Yafeh 2012) um einen weiteren wichtigen Aspekt.

Kein Heimatbias bei Dagong?

Kooperation

Die chinesische Agentur schneidet eigentlich ganz gut ab. Insgesamt lässt sich Chinas "AAA"-Rating durch die Art und Weise, wie Dagong Fundamentaldaten bewertet und gewichtet, erklären. Es lässt sich also keine Bevorzugung Chinas durch Dagong nachweisen. Kulturelle Einflüsse, weder sprachlich noch ethnisch, scheinen ihre Ratings genauso wenig systematisch zu beeinflussen wie Export- und Bankeninteressen. Hingegen finden wir einen positiven Zusammenhang zwischen dem Länderrating und der außenpolitischen Nähe der bewerteten Länder zur chinesischen Regierung gemessen durch ihr Abstimmungsverhalten in der Generalversammlung der Vereinten Nationen. Vergleicht man die politische Übereinstimmung zwischen China und den USA (25%) mit der zwischen China und Brasilien (90%), entspricht dies einem Ratingunterschied von knapp drei Noten bei Dagong. Dieser Artikel wurde für "Ökonomenstimme", die Internetplattform für Ökonomen im deutschsprachigen Raum, erstellt. Die Presse ist exklusiver Medienpartner der Ökonomenstimme.

Die Autoren

Andreas Fuchs ist Akademischer Mitarbeiter am Alfred-Weber-Institut für Wirtschaftswissenschaften der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, wo er am Forschungszentrum für Verteilungskonflikte und Globalisierung arbeitet.

Kai Gehring, geboren 1985, studierte an der Universität Mannheim und der University of Canterbury in Neuseeland. Seine Diplomarbeit verfasste er 2011 am Lehrstuhl für Politische Ökonomie von Roland Vaubel. Seit September 2011 promoviert er bei Axel Dreher am Lehrstuhl für Internationale und Entwicklungspolitik an der Uni Heidelberg. Er ist Mitglied des DFG- Forschungsprojekts "Globalization and Development".Literatur

  • Afonso, António, Davide Furceri und Pedro Gomes (2012). Sovereign Credit Ratings and Financial Markets Linkages: Application to European Data. Journal of International Money and Finance 31(3): 606-638.
  • De Haan, Jakob und Fabian Amtenbrink (2011). Credit Rating Agencies. DNB Working Paper No. 278. Amsterdam, Netherlands: De Nederlandsche Bank
  • Fuchs, Andreas und Kai Gehring (2013). The Home Bias in Sovereign Ratings. University of Heidelberg Department of Economics Discussion Paper Series No. 550.
  • Giannetti, Mariassunta und Yishay Yafeh (2012). Do Cultural Differences Between Contracting Parties Matter? Evidence from Syndicated Bank Loans. Management Science 58(2): 365-383.
  • Grinblatt, Mark und Matti Keloharju (2001). How Distance, Language, and Culture Influence Stockholdings and Trades. Journal of Finance 56(3): 1053-1073.
  • Guiso, Luigi, Paola Sapienza und Luigi Zingales (2009). Cultural Biases in Economic Exchange? Quarterly Journal of Economics 124(3): 1095-1131.
  • Kilka, Michael und Martin Weber (2000). Home Bias in International Stock Return Expectations. Journal of Psychology and Financial Markets 1(3-4): 176-192.
  • Reinhart, Carmen M. und Kenneth Rogoff (2009). This Time is Different: Eight Centuries of Financial Folly. Princeton, NJ: Princeton University Press.
  • White, Lawrence J. (2010). Markets: The Credit Rating Agencies. Journal of Economic Perspectives 24(2): 211-226.

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