Deutsche Exportstärke: "Löhne rauf" löst das Problem nicht

CHINA ECONOMY TRADE EXPORT
CHINA ECONOMY TRADE EXPORT APA/EPA/WU HONG
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Deutschland wird oft wegen des Außenhandelsüberschusses gerügt. Doch die Berechnung verliert an Aussagekraft, sagt ein Ökonom.

In den vergangenen Monaten hat die Kritik an den hohen Außenhandelsüberschüssen Deutschlands zugenommen - jenseits des Atlantiks (U.S. Department of Treasury 2013) wie auch in der EU (EC 2013). Im Tenor empfehlen viele Kritiker, Deutschland müsse seine Binnennachfrage stimulieren, um zu einem größeren Handelsgleichgewicht in Europa und weltweit beizutragen. Hier soll nicht bestritten werden, dass ein Leistungsbilanzüberschuss von mehr als 7 % in Relation zum BIP wahrscheinlich auf Dauer nicht tragfähig ist. Zweifel sind jedoch angebracht, ob das Problem durch eine Steigerung der deutschen Binnennachfrage zu lösen ist.

In einer Marktwirtschaft ist es keineswegs einfach, die Binnennachfrage zu steigern. Für manche Deutschland-Kritiker ist - so hat es den Anschein - "Stärkung der Binnennachfrage" ein Synonym für "Löhne rauf", zumal kreditfinanzierte staatliche Ausgabenprogramme vor dem Hintergrund der Defizitregeln in der EU kaum in Frage kommen. Höhere Löhne - so die Erwartung - würden die Einkommen stärken und zugleich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit vermindern, und beides würde auf einen geringen Handelsüberschuss hinwirken. Ob dies gelingen kann, ist freilich zweifelhaft. Erstens können Löhne nicht staatlich verordnet werden und zweitens ist unklar, ob ein durch staatliche Rahmensetzung - z.B. die Einführung eines Mindestlohns - induzierter Lohnanstieg zu einer höheren Nachfrage führt, weil zugleich die Beschäftigung durch eine solche Maßnahme zu sinken droht.

Aber selbst wenn der Wirtschaftspolitik eine dauerhafte Erhöhung der Gesamtnachfrage gelänge, ist die Wirkung auf den Leistungsbilanzsaldo fraglich, zumindest wenn dieser kurzfristig sinken soll. Die Preiselastizität der Nachfrage nach deutschen Exportgütern ist allem Anschein nach vergleichsweise gering (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 2011: 59-63). Da die Mengen sich langsamer als die Preise anpassen, kann der J-Kurven-Effekt zunächst sogar zu einem vergrößerten Leistungsbilanzüberschuss führen. Zugleich trägt gerade die Nachfrage der privaten Haushalte wenig zum deutschen Import bei; der Importanteil am privaten Konsum beträgt direkt lediglich rund 10% (Tabelle 1).

Anders der Vorschlag von EU-Kommissar Rehn (2013): Er empfiehlt Deutschland mit Verweis auf eine sinkende Investitionsquote mehr zu investieren. Dies würde zwar die Importe kurzfristig stimulieren, da der direkte Importanteil bei Ausrüstungsgütern mit 30% sehr hoch ist. Die langfristigen Auswirkungen auf die Leistungsbilanz sind aber unklar. Einerseits würden das Produktionspotential und damit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sowie die Importe dauerhaft steigen, andererseits würden die Produktionskapazitäten und staatliche Infrastruktur leistungsfähiger, und dies dürfte die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands fördern.

Tabelle 1: Importanteile der Verwendungskomponenten des Bruttoinlandsprodukts (2007 bis 2009, in % der letzten Verwendung)


Selbst wenn die vorgeschlagenen Rezepte Wirkung zeigen und Deutschland weniger exportiert: Die Wirtschaft vieler Länder insbesondere in Osteuropa profitiert als Zulieferer stark vom deutschen Export, was u.a. daran abzulesen ist, dass der (direkte und indirekte) Importanteil deutscher Exportgütern über 40% liegt. Schwächere deutsche Ausfuhren hätten also für andere EU-Länder spürbare negative Folgen. All diese Widersprüche scheinen auf eines hinzudeuten: Die Vermutung, die deutschen Leistungsbilanzüberschüssen reflektierten primär eine Nachfrageschwäche, erklärt allenfalls einen Teil des Problems.

In der Diskussion über die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse spielt eine erstaunlich geringe Rolle, dass Deutschland Teil einer Wirtschafts- und Währungsunion ist. Dies hat aber zur Folge, dass zum einen die Bundesrepublik allenfalls indirekt Einfluss auf den Wechselkurs als die wichtigste Einflussgröße außenwirtschaftlicher Salden hat. Zum anderen führte der europäische Binnenmarkt zu einer Reallokation von Industrien in der EU, mit der Folge, dass die Produktion handelbarer Güter ungleich im Raum verteilt ist.
Was den Wechselkurs angeht, so hat der Euro seit der Finanzkrise gegenüber anderen Währungen deutlich an Wert verloren (Abbildung 1). Eine erste Abwertung im Winterhalbjahr 2008/09 war wohl Ausdruck einer Flucht in den US-Dollar als „sicheren Hafen"; eine zweite im Winterhalbjahr 2009/10 fällt zusammen damit, dass die Probleme einiger Länder des Euro-Raums deutlicher zu Tage traten. Seit dem Herbst 2012 wertet der Euro real und effektiv zwar wieder auf, aber er war zuletzt immer noch rund 10% schwächer bewertet als vor der Finanzkrise. Die reale Abwertung des Euro trug wohl wesentlich dazu bei, dass der Überschuss Deutschlands im Handel mit Ländern außerhalb des Euro-Raums deutlich zunahm (Abbildung 2). Der Überschuss gegenüber anderen Ländern des Euro-Raums verringerte sich im gleichen Zeitraum hingegen deutlich.

Abbildung 1: Realer effektiver Wechselkurs des Euro1 (2007 bis 2013, Januar 1999 = 100)


Abbildung 2: Saldo der deutschen Handelsbilanz nach Regionen (2007 bis 2013, in Mrd. Euro, Gleitende Summen über 12 Monate)


Was die Verteilung wettbewerbsfähiger Industrien in der Währungsunion angeht, so kollidiert die Vorstellung ausgeglichener Leistungsbilanzen zwischen den Euro-Ländern mit den Hoffnungen und Erwartungen, die man an den Binnenmarkt knüpfte. Dessen Ziel war es nicht, identische Produktionsstrukturen in allen Ländern zu schaffen, sondern die Nutzung von Größenvorteilen zu ermöglichen, die letztlich durch eine stärkere Spezialisierung und eine Konzentration von Produktionen auf eine geringere Zahl von Standorten realisiert werden können.

Abbildung 3: Hypothetische Exportquote1 des deutschen Verarbeitenden Gewerbes unter Zugrundelegung der sektoralen Spezialisierungsmuster ausgewählter europäischer Länder (2011, in %)


Dass der Einfluss dieser Arbeitsteilung auf die Exporte keineswegs trivial ist, verdeutlicht folgende Rechnung: Im Durchschnitt lag im Jahr 2011 der Anteil des Auslandsumsatzes am Gesamtumsatz der Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes in Deutschland bei 46,5%. Hätte die sektorale Zusammensetzung der deutschen Wirtschaft - bei unveränderter Exportneigung der Unternehmen - derjenigen Frankreichs entsprochen, so würde sich die Exportquote auf 43,1% verringern (Abbildung 3). In Frankreich sind also exportintensive Branchen weniger stark vertreten als hierzulande. Die Unterschiede gegenüber anderen Ländern sind noch größer. Wiese Deutschland die Industriestruktur Griechenlands auf, so wäre die Exportquote sogar nur 27,4%.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die grundsätzliche Frage, wie aussagekräftig außenwirtschaftliche Salden eines Teils einer Wirtschafts- und Währungsunion überhaupt sind. Niemand in Deutschland würde z.B. einen Leistungsbilanzüberschuss Bayerns gegenüber anderen Bundesländern thematisieren und von dem Land eine Verringerung verlangen. Es bietet es sich aber an, auf typische Anpassungsmechanismen innerhalb eines Landes zu schauen.

Abbildung 4: Indikator der preislichen Wettbewerbsfähigkeit Deutschland gegenüber den Ländern des Euro-Raums (2007 bis 2013, 1. Quartal 2007 = 100)

Was wird beispielsweise in Deutschland passieren, wenn die Arbeitslosigkeit in einer Region relativ zu anderen zunimmt? Dies würde einen Druck auf die regionalen Löhne ausüben und zweierlei bewirken: Es käme zu Wanderungen in Regionen mit besseren Beschäftigungschancen und höheren Löhnen und zugleich zu einer realen Abwertung der Region mit höherer Arbeitslosigkeit. Damit stiege deren Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität als Produktionsstandort.
Diese Mechanismen wirken in der EWU bereits. Die Wanderung aus Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit u.a. nach Deutschland hat sich verstärkt (Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose 2013: 66-72). Zugleich steigen die deutschen Löhne relativ zu denen insbesondere der südeuropäischen Länder. Dadurch wertet Deutschland innerhalb der Währungsunion real auf - auch wenn dieser Effekt bislang nicht voll zum Tragen kam, weil die sinkende Kapazitätsauslastung in den Krisenländern für sich genommen deren Lohnstückkosten erhöhte. Immerhin hat sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gegenüber dem Rest des Euro-Raums seit Mitte 2008 nicht mehr verbessert und aktuell verschlechtert sie sich leicht (Abbildung 4). Diese Anpassungsmechanismen wirken allerdings nur langsam, zumal der eine Mechanismus -  die Migration - die Wirkungen der anderen für sich genommen verringert.

Allerdings gibt es innerhalb Deutschlands weitere Anpassungsmechanismen. So werden die Kosten der Arbeitslosigkeit auf alle Regionen umgelegt; und es gibt einen föderalen Finanzausgleich, der Steuerkraftunterschiede nivelliert. Diese Mechanismen greifen im Euro-Raum nicht, und dies hat gute Gründe: Jedes EU-Mitgliedsland ist unabhängig z.B. bei der Regulierung seines Arbeitsmarktes oder der Festlegung seiner Steuerbelastung. Ein europäisches Umlagesystem wäre daher mit einem erheblichen moral hazard Problem verbunden.

Was folgt aus alledem?

  • Erstens sollte man zwischen den Salden innerhalb des Euro-Raums und denen gegenüber Drittländern unterscheiden. Leistungsbilanzen innerhalb des Euroraums verlieren an Aussagekraft, je weiter der Integrationsprozess fortschreitet. Gegenüber Drittländern sollte man ohnehin eher auf den Saldo des Euroraums insgesamt schauen.
  • Zweitens erklären unterschiedliche Produktionsstrukturen wohl einen nicht unwesentlichen Teil der außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte. Strukturelle Unterscheide sind zwar nicht in Stein gemeißelt, sie wandeln sich allerdings nur sehr langsam, weil sie den Aufbau neuen Sach- und Humankapitals erfordern.
  • Drittens dürften, da die Anpassungsprozesse Zeit benötigen, die Leistungsbilanzsalden innerhalb des Euroraums noch über längere Zeiträume hinweg einen Ausgleich durch Kapitalströme erfordern. Hier ist es wichtig, diese so zu gestalten, dass keine Anreize gesetzt werden, die den Abbau der Ungleichgewichte behindern.

Literatur

EC – European Commission (2013), Alert Mechanism Report 2014. Report from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Central Bank, and the European Economic and the European Social Committee. COM(2013) 790 final. Brussels.

Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2011), Aufschwung setzt sich fort – Europäische Schuldenkrise noch ungelöst. Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2011. Halle.

Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2013), Konjunktur zieht an – Haushaltsüberschüsse sinnvoll nutzen. Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2013. Essen.

Rehn, O. (2013), Was Haushaltsüberschüsse mit dem Euro zu tun haben. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. November 2013.

U.S. Department of Treasury (2013) Report to Congress on International Economic and Exchange rate Policies. October 30, 2013. Washington D.C.

Der Autor

Roland Döhrn studierte Volkswirtschaftslehre an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und promovierte 1988 an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist seit 1978 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung. Dort leitet er den Kompetenzbereich "Wachstum, Konjunktur, Öffentliche Finanzen". Er ist Honorarprofessor an der Universität Duisburg-Essen.

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Dieser Artikel wurde für "Ökonomenstimme", die Internetplattform für Ökonomen im deutschsprachigen Raum, erstellt. Die Presse ist exklusiver Medienpartner der Ökonomenstimme.

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