Gut gemeint und doch daneben: Eine Polemik zur Krisenpolitik

A euro logo sculpture stands in front the headquarters of the European Central Bank  in Frankfurt
A euro logo sculpture stands in front the headquarters of the European Central Bank in FrankfurtREUTERS
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Das Misstrauen gegen die herrschende Doktrin der Krisenpolitik kann gar nicht unmissverständlicher daherkommen, meint Ökonom Franz R. Hahn.

Die Politik der Regierungen und Notenbanken in den (meisten) OECD-Staaten zeichnet sich seit der Wirtschaftskrise 2008/09 gemäss diesem Beitrag durch drei Gemeinsamkeiten aus: Sie ist gut gemeint, (zumeist) wirkungslos und, zu allem Überdruss, von ein und derselben inferioren Mantra geleitet: Bleiben Interventionen wirkungslos, nur nicht die Strategie ändern, sondern mit noch mehr vom Selben nachdoppeln.

Der Fiskalpolitik der Regierungen sind hier, obgleich sehr "situationselastische" Grenzen der Finanzierbarkeit gesetzt, nicht so der Geldpolitik der Notenbanken. Letztere haben eine Lizenz zur unbegrenzten Liquiditätsvermehrung und sind, vor allem in Krisenzeiten selten (bis nie) ratlos, wenn es darum geht, Schleusen für neues "Billiggeld" (Stichwort QE1, QE2, QE3 etc.) bereitwillig zu öffnen. Vor allem die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) hat sich – neben jener der US-amerikanischen Notenbank (Fed) - bisher dabei besonders hervorgetan. Dies mag zwar das Abdriften der Eurozone in eine Depression verhindert haben (damit ist sicherlich einiges erreicht worden), aber als Elixier für eine nachhaltige europäische Konjunkturbelebung hat sich die Politik des "leichten Handgeldes" (bisher) als wirkungslos erwiesen.

Herr Draghi und seine Notenbankkollegen machen bisweilen schon einen sehr verdutzten Eindruck, scheinen sie doch nicht verstehen zu können, weshalb Kreditfinanzierung und Investitionstätigkeit in der Eurozone einfach nicht in Fahrt kommen (wollen). Europäische Banken sind trotz extrem niedriger Refinanzierungskosten zögerlich bei der Kreditvergabe, Unternehmen bleiben bei Finanzierungskosten nahe Null bei Kreditnachfrage und Investitionen – wohlwollend formuliert – "sehr zurückhaltend".

Geradezu als Affront (und als undankbar) empfinden jedoch die Notenbanker in Frankfurt, dass viele (und nicht die schlechtesten) Unternehmen nicht nur keine neuen Kredite aufnehmen, sondern bestehende Kredite sogar vorzeitig tilgen (und das bei diesen Zinssätzen!?!?!).

Ein Geschäft, das auf Kredithebelung basiert, kann nicht funktionieren.

Dabei kann das Unbehagen mit und das Misstrauen gegen die herrschende Doktrin der Krisenpolitik gar nicht unmissverständlicher daherkommen. Viele, vor allem "gute" Unternehmen machen damit deutlich, dass sie mit dem "Geschäftsmodell" der Vorkrisenzeit nichts mehr am Hut haben (wollen). Ihre Botschaft ist klar und simpel: Ein Geschäftsmodell, das primär auf kurzfristige Gewinn- und Ertragssteigerung durch Kredithebelung ausgerichtet ist, taugt nichts in schlechten Zeiten (notwendige Ergänzung: Es taugt auch nichts in guten Zeiten, wie sich gezeigt hat).

Die extreme Kredithebelung von Banken und Unternehmen (d.h. viel zu wenig Eigenkapital und viel zu viel Fremdkapital in den Unternehmens- und Bankbilanzen) und die damit ursächlich verbundene sehr hohe Risikobereitschaft in den Führungsebenen vieler Unternehmen und Banken (mit aberwitzigem Zug zum kurzfristigen Supergewinn zulasten Dritter) wird von Notenbankern und Wirtschaftspolitikern (noch immer) nicht als die zentrale Ursache der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise wahr- und ernstgenommen. Würde sie das, wären sie (die Politiker) in der Lage zu erkennen, dass der Weg aus der Krise nicht über die momentan extrem billige, aber in naher Zukunft möglicherweise schon wieder sehr teure Kreditfinanzierung (ihr Weg), sondern über die nachhaltige und langfristig solidere Eigen- und Beteiligungsfinanzierung führt (Weg der kreditverweigernden und auf Eigenfinanzierung vertrauenden Unternehmen).

Selbst Banken sind hier um einiges weiter als die (Geld-)Politiker. Sie beobachten mit Sorge, dass die guten Kreditkunden sich zurückziehen und die weniger guten bleiben und damit die Bonität ihres (durch die Krisenfolgen ohnehin schon stark schwächelnden) Kreditbestandes zusätzlich belasten. Eine flotte Neukreditvergabe, so wie es sich die Notenbanker vorstellen, sollte unter diesen Voraussetzungen von keinem (nunmehr verantwortungsvollen) Banker, der seine Lektion aus der jüngsten Wirtschaftskrise gelernt hat, erwartet werden (oder doch?). Noch dazu sind in Zeiten extrem niedriger Refinanzierungskosten auch die Kreditmargen der Banken, und damit der zentrale Anreiz für eine verstärkte Kreditvergabe durch Banken, in der Regel mehr als unzureichend. Sollten die Notenbanker auch diese Faktizität des Kreditgeschäftes nicht zur Kenntnis nehmen wollen?

Delivering statt Deleveraging

Im Fachjargon der Ökonomen wird die (vorzeitige) Entschuldung von Unternehmen mit dem angelsächsischen Terminus "Deleveraging" umschrieben. Klingt wie ein Euphemismus, bedeutet aber, dass die Finanzierungs- und Kapitalstruktur von Unternehmen (und Banken) weder nachhaltig noch ausgewogen ist. Dies ist zumeist Folge schlechter Politik (schlechter Geldpolitik und/oder schlechter Steuerpolitik). Häufigste politische Fehlleistung in diesem Zusammenhang ist neben zu viel billigem Kreditgeld die fiskalische Besserstellung der Fremdkapitalfinanzierung (steuerliche Abzugsfähigkeit von Kreditkosten).

Über billiges Kreditgeld in der Eurozone wird in Frankfurt entschieden, über die fiskalische Besserstellung der Kreditfinanzierung in der Eurozone (noch) in den Kapitalen der Euro-Länder. Wir hören seit einiger Zeit in Österreich von den heimischen Politikern, dass eine grundlegende Reform des österreichischen Steuersystems unabdingbar ist. Recht so, zu dieser grundlegenden Reform gehört aber auch die fiskalische Gleichstellung von Eigen- und Fremdfinanzierung. Ob sie (die Politiker in Österreich und darüber hinaus) dies auch so sehen?

Der Autor

Franz R. Hahn, geboren 1952, ist Privatdozent für Volkswirtschaftslehre an der Johannes Kepler Universität Linz und gleichzeitig Wirtschaftsforscher am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo). Dort ist er seit 1981, mit einem zweijährigen Unterbruch als Research Associate an der Universität von Berkeley, tätig. 

Kooperation

Dieser Artikel wurde für "Ökonomenstimme", die Internetplattform für Ökonomen im deutschsprachigen Raum, erstellt. Die Presse ist exklusiver Medienpartner der Ökonomenstimme.

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