Frankenschock: Warum die SNB alles richtig gemacht hat

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Die Aufwertung des Franken vermehre den Wohlstand der Schweizer, argumentiert Ökonom Reiner Eichenberger.

Die Schweizerische Nationalbank (SNB) wird für die Freigabe des Frankens am 15. Januar 2015 von vielen Wirtschaftsvertretern, Politikern und Medienschaffenden immer noch hart kritisiert. Aber die SNB hat alles richtig gemacht.

Die Schweizer Nationalbank stand bei ihrer Entscheidung vor drei Problemen:

  • Erstens strebt sie für den Franken eine tiefere Inflation an als die Europäische Zentralbank EZB für den Euro. Wenn aber in der Schweiz die Preise langsamer steigen als im Ausland, steigen die Schweizer Exporte und damit die Nachfrage nach Franken auf dem Devisenmarkt, während die Schweizer Importe und damit das Angebot an Schweizer Franken sinken. Daraus ergibt sich ein steter Aufwertungsdruck auf den Franken. Wenn die Nationalbank den Kurs des Frankens gegenüber dem Euro konstant halten will, muss sie Euros abschöpfen und ihre Bilanz weiter aufblähen. Falls sie die Euros einfach mit neu geschaffenen Franken kauft, steigt die Franken-Geldmenge, was längerfristig Inflation bringt, die die Nationalbank aber eben nicht will. Deshalb darf die Nationalbank nicht alle Euros kaufen, sondern muss sie – vereinfacht gesagt – mieten. Für die Nationalbank ist dies aber teuer. Deshalb hätte sie diese Politik nicht ewig durchhalten können. Je länger sie mit der Kursaufgabe zugewartet hätte, desto grösser wären die Kosten der Euroabschöpfung geworden, desto länger hätte die Nationalbank ihre Bilanz weiter aufblähen müssen, und desto grösser wären schliesslich der Kurssprung und damit die Anpassungskosten bei der irgendwann sowieso nötigen Kursfreigabe geworden. Deshalb musste die Nationalbank den Frankenkurs bald freigeben. Die Frage war nur wann.
  • Zweitens durfte die Nationalbank mit der Freigabe des Kurses nicht bis zum von aussen gesehen richtigen Zeitpunkt warten. Denn dann wäre ihr Verhalten absehbar gewesen, und viele Marktteilnehmer hätten vor dem Termin noch zum tiefen Kurs Franken gekauft, was der Nationalbank riesige Verluste gebracht hätte. Der „richtige“ Zeitpunkt wäre also genau der falsche gewesen.
  • Drittens gab es keine gute Alternative zur völligen Freigabe des Kurses. Eine schrittweise Absenkung wäre Unsinn gewesen, weil die Marktteilnehmer nach dem ersten Schritt geahnt hätten, dass weitere folgen, und deshalb Franken gekauft hätten. Das hätte dann die Nationalbank zur vollständigen Aufgabe des Kurses gezwungen – mit noch grösseren Verlusten. Manche Kritiker argumentieren, die Nationalbank hätte die Kursuntergrenze früher aufgeben sollen, als der Kurs leicht über 1.20 stieg. Der Kurs war aber damals wohl nur so hoch, weil die Nationalbank die 1.20 glaubwürdig garantierte. Weil so der Kurs aus Sicht der Marktteilnehmer nur steigen und nicht fallen konnte, waren sie bereit, mehr als 1.20 für den Euro zu bezahlen. Wenn die Nationalbank die künstliche Stütze weggenommen hätte, wäre der Kurs schon damals unter 1.20 abgestürzt, und die Besserwisser hätten erst recht behauptet, die Nationalbank habe den Franken ohne jeden Druck explodieren lassen.

Perfekte Strategie

Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen hat die Nationalbank die Kursfreigabe perfekt terminiert. Sie musste den Kurs vor dem definitiven Entscheid der EZB, die Märkte mit weiterer Liquidität zu fluten, freigeben. Wie der weitere Verlauf des Euro-Dollar-Kurses nach dem Entscheid gezeigt hat, hat die Politik der EZB den Euro weiter geschwächt und hätte damit die Nationalbank gezwungen, den Franken mit grossem Mitteleinsatz zu stützen.

Es war auch richtig von der Nationalbank, den Bundesrat, die anderen Zentralbanken und den Internationalen Währungsfonds nicht lange vor dem Entscheid zu unterrichten. Das hätte diesen nur etwas gebracht, wenn sie ihre Devisenpositionen hätten anpassen können. Dazu hätten sie aber viele Mitarbeiter über den bevorstehenden Entscheid informieren müssen. Dabei wären fast sicher Informationen an die Finanzmärkte gelangt, wo sofort massive Frankenkäufe stattgefunden hätten, die der Nationalbank riesige Verluste beschert hätten.

Erfrischend war die Strategie der Nationalbank, vor der Frankenfreigabe noch den grossen Gewinn für 2014 auszuweisen, eine Milliarde davon ordentlich an Bund und Kantone auszuschütten und anzukündigen, man könne über eine zusätzliche Ausschüttung diskutieren. Das dürfte einige kritische Politiker mundtot gemacht haben, denn keiner wollte der Nationalbank Argumente dafür liefern, angesichts der Verluste durch die Kursfreigabe nun doch keine zusätzlichen Ausschüttungen zu leisten.

Fast schon zirkusreif an der Nationalbankstrategie war, dass sie zwar den im Nachhinein fast zwingend erscheinenden Zeitpunkt getroffen hat, aber damit trotzdem fast alle überraschte. Die wirklich interessante Frage ist deshalb, weshalb so viele hochbezahlte Finanzmarktspezialisten die eigentlich absehbare Kursfreigabe nicht vorausgesehen haben. Die zweite interessante Frage ist, wer die Strategie trotzdem vorausgesehen hat. Immerhin hat ja die Nationalbank in den letzten Monaten zig Milliarden zur Kursstützung eingesetzt. Offensichtlich haben also manche Marktteilnehmer noch riesige Franken-Beträge zu 1.20 gekauft. Insgesamt dürften so in wenigen Wochen Gewinne von 5 Milliarden oder mehr gemacht worden sein.

Aufwertung macht reich

Die Strategie der Nationalbank war aber nicht nur zwingend, klug und richtig. Vielmehr erhöht sie auch den Wohlstand in der Schweiz. Wichtig ist viererlei:

  • Erstens verbilligt die Aufwertung die Importe von Konsumgütern, Energieträgern und Vorprodukten massiv. Davon profitieren alle Einwohner der Schweiz.
  • Zweitens ist die Aufwertung für die Exportindustrie auf den ersten Blick natürlich belastend. Tatsächlich aber hatte die Schweiz beim früher als viel zu hoch gescholtenen Kurs von 1.20 den weitaus höchsten Exportüberschuss pro Einwohner in Europa. Solche Überschüsse geben ganz automatisch Aufwertungsdruck auf die Währung. Die Exporteure sind also weniger Opfer als Mitverursacher der Aufwertung.
  • Drittens ist die dauernde Aufwertung des Frankens ein wichtiger Motor des hohen Wohlstands der Schweiz. Dank ihr wachsen die Firmen und Branchen mit wenig Produktivtätssteigerungs- und Zukunftspotential  langsamer. Damit brauchen sie weniger der knappen Produktionsfaktoren Arbeit und Land, die so vermehrt den Firmen und Branchen mit grossem Potential zur Verfügung stehen. Der andauernde schnelle Umbau der Wirtschaftsstruktur hin zu besonders wettbewerbsfähigen Anbietern ist das, was die Schweiz reich gemacht hat. Immerhin klagen ja fast alle Firmen über den Mangel an qualifiziertem Personal. Deshalb profitieren auch alle davon, wenn andere Firmen weniger Personal brauchen.
  • Viertens sind dank der Frankenaufwertung die privaten und öffentlichen Vermögen in der Schweiz insgesamt stark gewachsen. Natürlich trifft auf den ersten Blick das Gegenteil zu. Die meisten privaten und öffentlichen Anleger erlitten scheinbar grosse Verluste, weil ihre ausländischen Anlagen und die entsprechenden Erträge nun weniger wert sind. Tatsächlich aber sind nur die Werte gemessen in Schweizer Franken gesunken. Weil aber gleichzeitig der Wert des Frankens stark gestiegen ist, sind die realen Gesamtwerte gestiegen. Zudem können die Schweizer ihre Vermögen gar nicht wirklich in der Schweiz ausgeben. Weil in der Schweiz praktisch Vollbeschäftigung der Produktionsfaktoren herrscht, können zusätzliche Ausgaben keine Mehrproduktion in der Schweiz bewirken, sondern die zusätzlich gekauften Güter und Leistungen müssen importiert werden. Genau so können auch die riesigen Schweizer Pensionskassenvermögen nicht wirklich in der Schweiz ausgegeben werden, sondern nur für Importe. Entscheidend ist deshalb nicht der Wert der Vermögen in Franken, sondern ihr Wert in ausländischer Währung. Durch die Frankenaufwertung ist aber der Wert der Schweizer Vermögen in Euro, Dollar oder was auch immer nicht gesunken, sondern ganz massiv gestiegen.

Wem die bisherigen Überlegungen kompliziert und schwer verständlich erscheinen, empfehle ich das Denken in einer einfachen Analogie: Wenn die Aufwertung des Schweizer Franken etwas Schlechtes wäre, müsste doch eine starke Abwertung  etwas Gutes sein. Tatsächlich aber ist offensichtlich, dass es für die Wirtschaft und Bevölkerung schrecklich ist, wenn der Wert der eigenen Währung verfällt. Abwertung macht die Menschen arm. Genau so macht die Aufwertung des Frankens die Einwohner der Schweiz reich. Also: Danke, liebe Nationalbank!

Der Autor

Reiner Eichenberger (*1961) ist ordentlicher Professor für Theorie der Finanz- und Wirtschaftspolitik an der Universität Fribourg und Forschungsdirektor von CREMA – Center for Research in Economics, Management, and the Arts.

Seine Spezialgebiete sind Wirtschafts- und Finanzpolitik, ökonomische Analyse des politischen Prozesses und politischer Institutionen, Deregulierung der Politik sowie Verbindung Ökonomie und Psychologie. Er ist Autor verschiedener Bücher und zahlreicher Artikel.

Kooperation

Dieser Artikel wurde für "Ökonomenstimme", die Internetplattform für Ökonomen im deutschsprachigen Raum, erstellt. Die Presse ist exklusiver Medienpartner der Ökonomenstimme.

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