Die Quittung für die Griechenlandrettung

A pro-Euro protester holds a European Union and a Greek national flag during a rally in front of the parliament building in Athens
A pro-Euro protester holds a European Union and a Greek national flag during a rally in front of the parliament building in AthensREUTERS
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Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit mit der griechischen Regierung kann nicht mehr Vertrauen, sondern nur Transparenz und Kontrolle sein.

Die griechische Regierung/en hat/haben sich aufgrund nicht durchgeführter und zurückgenommener Reformen die Vertrauensgrundlage für ein drittes Hilfspaket inklusive Umschuldung theoretisch längst selbst entzogen, wie dieser Beitrag zeigt. Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit kann daher nicht mehr Vertrauen, sondern nur Transparenz und Kontrolle sein. Gleichzeitig bedarf es in Zukunft einer Insolvenzverordnung, die den geordneten Austritt aus der Währungsunion – unter Beibehaltung der EU-Mitgliedschaft – möglich macht.

Griechenland in der Vertrauenskrise

"Wir werden jeden Cent zurückzahlen", beteuerte Georgios Papandreou 2011. "Natürlich werden wir unsere Schulden zurückzahlen, ich verspreche es", so Antonis Samaras 2012. "Machen Sie sich keine Sorgen, wir werden weiter zahlen", versicherte Alexis Tsipras noch am 4. Juni 2015. Drei griechische Ministerpräsidenten aus unterschiedlichen politischen Lagern mit ein und demselben gebrochenen Versprechen: Keine vier Wochen nach der Aussage von Tsipras kann Griechenland die im Juni fälligen Kreditraten an den Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht mehr zurückzahlen.

Es sind Versprechen wie diese, die bei Nichteinhaltung zu einem enormen Vertrauensverlust führen – insbesondere dann, wenn sie ex ante bewusst als vertrauensbildende Maßnahme platziert wurden. Die griechischen Regierungen konnten sich bisher stets darauf verlassen, dass ein Vertrauensbruch ihrerseits ungestraft bleibt. Die politischen Mantras ihrer Gläubiger von "whatever it takes" bis "scheitert der Euro, dann scheitert Europa" konnten sie getrost als Freifahrtschein für nicht umgesetzte Reformen interpretieren. Dieses Risiko wurde von den Gläubigern auf Kosten der eigenen Glaubwürdigkeit sowie europäischer Regeln wie dem No-bail-out-Prinzip bewusst in Kauf genommen, um politisch höher gewichtete Ziele zu verfolgen. Mit Blick auf die Finanzkrise teilte 2010 die damalige französische Finanzministerin und heutige IWF-Chefin Christine Lagarde mit: "Wir haben alle Regeln gebrochen, weil wir zusammenhalten und die Eurozone retten wollten."

Grexit-Drohung wichtig

Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass genau diese entgegengebrachte Vorleistung ohne glaubhafte Sanktionsandrohung und -durchsetzung die Gläubiger erpressbar gemacht hat und die Eurozone sowie das Integrations- und Friedensprojekt der Europäischen Union mehr denn je gefährdet. Radikale anti-europäische Parteien sind links wie rechts auf dem Vormarsch, das Vertrauen der Bevölkerung in Europa schwindet und das griechische Beispiel – viel Hilfe für wenig Leistung – könnte europaweit Schule machen. Dazu droht Großbritannien einmal mehr mit einem "Brexit".

Dass Griechenland durch Bundesfinanzminister Schäuble in den Verhandlungen am 12./13. Juli mit dem Szenario eines Austritts aus der Währungsunion konfrontiert wurde, war daher ein wichtiger, wenngleich längst überfälliger Schritt. Eine glaubhafte Grexit-Drohung in einem früheren Stadium hätte griechischen Regierungen (und den anderen Programmländern) klarer den Ernst der Lage aufzeigen können. So ist jedoch die wichtigste Währung, das Vertrauen, wie von Bundeskanzlerin Merkel formuliert, in erhebliche Mitleidenschaft gezogen worden. Vertrauen ist die grundlegende Basis einer jeden Verhandlung. Ohne Vertrauen oder hinreichende Absicherung können keine Verträge zustande kommen. Es besteht stets die Gefahr, dass derjenige, der in Vorleistung geht, vergeblich auf die vereinbarte Gegenleistung wartet. Während in der Privatwirtschaft der Unternehmer bisweilen mit seinem Privatkapital für den Vertragsbruch haftet, ist dies in der Politik nicht der Fall. Bei hohen Staatsschulden kann nur der freie Markt eine disziplinierende Funktion ausüben, indem er die Bereitstellung und Konditionen für weiteres Fremdkapital sanktioniert. Dieser Sanktionsmechanismus wurde durch die Hilfszahlungen der Gläubiger und die extrem expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank umgangen. Dem Vorwurf mangelnder Solidarität sollte man sie nicht aussetzen. Ohne ihre Hilfen wäre Griechenland längst auch offiziell zahlungsunfähig.

Geld gegen Reformenzusagen ohne Vertrauensgrundlage?
Die aktuelle Situation Griechenlands ist besonders problematisch, da der für den Vertrauensbruch hauptverantwortliche Ministerpräsident nach wie vor am Verhandlungstisch sitzt und bei den internationalen Gläubigern nun um Vertrauen für weitere und weitreichende finanzielle Zugeständnisse wirbt. In den vergangenen Monaten haben Tsipras und seine Partei jedoch mehr als deutlich gemacht, dass sie schon die Grundregeln der Währungsunion sowie der Hilfsprogramme seit 2010 nicht anerkennen und an den Erfolg der internationalen Reformprogramme nicht glauben. "Sie können ein drittes Hilfsprogramm vergessen. Das griechische Volk hat die Programme abgewählt", sagte Tsipras noch am 27. Februar 2015.

Seitdem hat die griechische Regierung "erfolgreich" unzählige letzte und allerletzte Fristen zur Vorlegung eines belastbaren Reformprogramms verstreichen lassen. Zuletzt feierte sie ein vom griechischen Volk mit klarer Mehrheit abgegebenes "Oxi" ("Nein") zu weiteren Reformen und Sparplänen. Die mahnenden Worte von EU-Kommissionspräsident Juncker 2012 scheinen nicht mehr zu gelten: "Wenn wir feststellen sollten, dass alles schiefgeht in Griechenland, dann würde es kein neues Programm geben."

Dass die griechische Regierung den Gläubigern nahezu die gleichen Reformen anbietet, gegen die sie wenige Tage zuvor selbst gewettert und abgestimmt hat, gleicht einer Farce – und ist auch ein Schlag in das Gesicht des eigenen Volkes. Schließlich wurde dem griechischen Wähler versprochen, durch eine verbesserte Verhandlungsposition mit dem Volkswillen im Rücken binnen 48 Stunden dem internationalen "Spardiktat" ein Ende zu setzen. Dass im Gegenzug für die kommenden drei Jahre mehr als 80 Mrd. Euro an Hilfen geboten werden, wird hingegen als Selbstverständlichkeit hingenommen. Dies gilt nicht nur für die geplanten Hilfen aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), sondern auch für die noch zu generierenden 35 Mrd. Euro aus dem Juncker-Investitionsplan. Als hätte es die vorherigen Milliardenkredite für Griechenland nicht gegeben. Obwohl es mehr als fragwürdig ist, ob Griechenland die Voraussetzungen für ESM-Hilfen überhaupt erfüllt und eine existentielle Bedrohung der Eurozone vorliegt, soll der ESM nun als Finanzierungsquelle dienen. Deutschland steht dann mit insgesamt weit über 100 Mrd. Euro in der Haftung – theoretisch. Faktisch handelt es sich um einen Transfer, da offenkundig ist, dass diese Gelder nie zurückgezahlt werden. Der ehemalige griechische Finanzminister Varoufakis scheint mit seiner Aussage Ende Januar 2015 Recht zu behalten: "Was immer die Deutschen sagen, sie werden zahlen."

Vertrauen in die griechische Schuldentragfähigkeit?

Ist aus Tsipras über Nacht ein überzeugter Reformer geworden, der sich langfristig über den Willen des eigenen Volkes und seiner Partei hinwegsetzen wird, um sein Land ökonomisch nach vorn zu bringen? Nein, von einem Erfolg der vorgelegten Reformpläne ist in Griechenland kaum jemand überzeugt, auch Tsipras noch am 14. Juli 2015 nicht: "Ich übernehme die Verantwortung für einen Text, an den ich nicht glaube, aber den ich unterzeichnet habe, um ein Desaster für das Land zu vermeiden, den Kollaps der Banken."

Die Reformzusagen sind kein ehrliches Bekenntnis, sondern ein unter enormem Druck zustande gekommenes Zugeständnis an die Gläubiger. Wenn eine Regierung aus ideologischen Gründen notwendige Reformen strikt ablehnt und sich auch die Mehrheit des Volkes gegen Reformen ausspricht, ist eine langfristig tragfähige Lösung der Schulden- und Wirtschaftsproblematik nicht in Sicht. Dass die griechische Parlamentspräsidentin vor wenigen Wochen die Schulden Griechenlands als "illegal" einstufen lässt und zur Verweigerung weiterer Rückzahlungen aufruft, trägt ebenfalls nicht zur Vertrauensbildung bei. Tsipras hat sich spätestens durch das Referendum selbst die Vertrauensgrundlage für weitere Hilfen entzogen. Er mag in seiner 180-Grad-Umkehr nunmehr die einzige Möglichkeit sehen, sein vorrangiges Ziel – eine erneute Schuldenerleichterung für Griechenland – zu erreichen und den IWF aus den Hilfen herauszukaufen. Das angekündigte Reformtempo lässt sich allerdings schnell verschleppen, sobald finanzielle Zusagen und eine Schuldenumstrukturierung einmal gesichert sind. Papier ist schließlich geduldig, wie die griechischen Erfahrungen seit 1999 lehren.

Dass auch der IWF eine Schuldenerleichterung Griechenlands befürwortet ist bemerkenswert, aber nicht überraschend. Erstens sieht der IWF durch den bisherigen Kreditausfall Griechenlands seine Reputation und Autorität bei anderen IWF-Programmländern gefährdet und möchte Griechenland möglichst unbeschadet verlassen. Zweitens bietet der IWF nicht seine eigenen Forderungen zum Verzicht an. Vielmehr sollen diese von den europäischen Staaten bzw. deren Krisenfonds übernommen und die Rückzahlung zu günstigeren Zinskonditionen weiter gestreckt und gestundet werden. Über Jahre hat der IWF jedoch jährlich vorgerechnet, dass Griechenlands Schuldentragfähigkeit gegeben ist und die öffentliche Schuld in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), wie in den Hilfspaketen vereinbart, bis zum Jahr 2020 auf nahe 120 Prozent und langfristig auf unter 90 Prozent reduziert werden kann. Noch bis April 2015 wurde diese Einschätzung vorgelegt, basierend auf den immer gleichen optimistischen Annahmen eines hohen Wirtschaftswachstums, das in der Realität nie eintrat. (vgl. Abbildung).

Abbildung: Die fehlerhaften Wachstumsprognosen des IWF im Fall Griechenlands

Quelle: Internationaler Währungsfonds (IWF), World Economic Outlook Database, Frühjahrsdaten, verschiedene Jahrgänge.

Erst mit dem Zahlungsausfall und dem einhergehenden Reputationsverlust hat der IWF in seinen Berechnungen umgeschwenkt. Er argumentiert nun, dass die Schuldentragfähigkeit Griechenlands nur noch bei einer sofortigen Schuldenumstrukturierung, d.h. bei Verlängerung der derzeitigen Kreditlaufzeiten und Stundungen, gegeben ist. Zusätzlich benötige Griechenland bis Ende 2018 weitere Hilfszahlungen von etwa 85 Milliarden Euro. Falls langfristig geringere reale Wirtschaftswachstumsraten sowie unzureichende Primärüberschüsse des Staatshaushalts erzielt würden, müsse zusätzlich zur Schuldenumstrukturierung ein "echter Schuldenschnitt" von mehr als 50 Milliarden Euro vorgenommen werden, um die Tragfähigkeit der griechischen Schulden gewährleisten zu können.

Dass der IWF nach Jahren unrealistischer Prognosen der Realität ein Stück weit gerechter wird, ist zu begrüßen. Jedoch zeigt der jüngste Ausblick des IWF, dass die Schuldentragfähigkeit Griechenlands auf extrem wackeligen Füßen steht. Hinzu kommt, dass auch diese Prognosen auf den Reformwillen der jetzigen und künftigen Regierungen Griechenlands angewiesen sind, was freilich bezweifelt werden darf. "Was wir in diesen Zeiten aufwenden, bekommen wir um ein Vielfaches zurück", beteuerte Angela Merkel 2011. Für die nächsten 50 Jahre muss sich der Steuerzahler wohl mindestens gedulden.

Ausblick

"Eine Transferunion wird es mit mir nicht geben. Jedes Land ist für seine Schulden selbst verantwortlich." Diese Aussage von Merkel 2011 ist angesichts der Krisenpolitik der letzten Jahre, insbesondere durch die endlos scheinende Griechenlandrettung, heutzutage weniger glaubhaft denn je. "In der Eurozone sind Transferleistungen so absurd wie eine Hungersnot in Bayern", soll Juncker 1998 gesagt haben. Dies sagt vieles über die Argumentationsweise des heutigen EU-Kommissionspräsidenten aus. Die Währungs- als Transferunion scheint nur noch eine Frage der Zeit.

Da nicht nur Griechenland ein Parlament mit Volksvertretern hat, die den Volkswillen nach bestem Gewissen umsetzen sollen, gilt es, nach vorn zu blicken und die anhaltende Krise auch als Chance zu begreifen und die abermals teuer erkaufte Zeit sinnvoll zu nutzen. Angesichts der Erfahrung mit der "Konkursverschleppung" Griechenlands ist es wichtig, eine internationale Insolvenzordnung für Staaten aufzustellen. Dies würde Rechtssicherheit schaffen und das übliche Erpressen, Taktieren und Feilschen reduzieren. Im besten Fall würde eine widerstandsfähige Insolvenzordnung eindrücklich signalisieren, dass Handlung und Haftung auch bei Staaten und ihren Regierungen zusammengehören.

Darüber hinaus zeigt die jüngste Dramatik der Bankenschließungen in Griechenland, wie wichtig es ist, den finanziellen Nexus zwischen Banken und Staaten zu durchtrennen. Die Probleme der griechischen Banken resultieren vor allem daraus, dass ein Großteil ihrer Aktiva – griechische Staatsanleihen – de facto wertlos ist. Es ist daher ratsam, für Staatsanleihen eine Eigenkapitalhinterlegungspflicht einzuführen oder den Erwerb für Anleihen des eigenen Staates für Banken zu begrenzen.

Neben einem geregelten staatlichen Gang in die Insolvenz sollte auch ein geordneter Austritt aus der Währungsunion – als Ultima Ratio und unter Beibehaltung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union – in die europäischen Verträge aufgenommen werden. Ein Wiedereintritt in die Eurozone sollte unter Einhaltung der Maastrichter Kriterien dabei stets offengehalten werden. Auch hier schafft Rechtssicherheit mehr Vertrauen in den europäischen Integrationsprozess als das Verschließen der Europäischen Kommission vor dieser Option.

Kooperation

Dieser Artikel wurde für "Ökonomenstimme", die Internetplattform für Ökonomen im deutschsprachigen Raum, erstellt. Die Presse ist exklusiver Medienpartner der Ökonomenstimme.

Der Autor

Jörg König, *1979, studierte Internationale Volkswirtschaftslehre an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen sowie an der San Francisco State University, USA. Seit April 2014 ist er in Berlin in der Stiftung Marktwirtschaft für die Bereiche Europa, Energie und Entwicklung zuständig und betreut zudem den Wissenschaftlichen Beirat der Stiftung, Kronberger Kreis.

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