Grundrechte: „Watschen“ für das Familienrecht

(c) Vinzenz Schüller
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"Rechtspanorama am Juridicum": Eltern ohne Sorgerecht stehen im Abseits, vor allem uneheliche Väter haben einen schweren Stand, betonen Experten. Aber auch Frauen müssen momentan auf gerichtliche Hilfe hoffen.

. . Männer, die ein Kind gezeugt haben, aber keine Möglichkeit finden, den Nachwuchs anzuerkennen oder auch nur zu besuchen. Lesbische Frauen, die trotz eingetragener Partnerschaft keine künstliche Befruchtung vornehmen lassen dürfen. Es sind Fälle wie diese, mit denen sich die Gerichte in letzter Zeit beschäftigen. Und es sind Fälle, die die Frage aufwerfen: Welche Ungleichbehandlungen sind im Familienrecht zulässig, und wo beginnt die Diskriminierung?

„Diskriminierung heißt Unterscheidung. Aber niemand kann objektiv sagen, wann diese gerechtfertigt ist“, analysierte beim letztwöchigen „Rechtspanorama am Juridicum“ Marco Nademleinsky, Anwalt und Lektor an der Universität Wien. Er verwies darauf, wie sich das Recht immer wieder verändert hatte. Erst seit 1991 etwa werden uneheliche Kinder im Erbrecht wie eheliche behandelt. Was bleibt, ist ein oftmaliger Kampf der Eltern um den Nachwuchs. Und dabei werden in der Praxis auch gerne juristische Instrumente eingesetzt, um Druck auf den Expartner auszuüben. „Es mehren sich die Fälle, in denen kurz nach der Scheidung die Idee aufkommt, dass das Kind den Namen ändern will – zusammen mit einem Antrag auf Erhöhung des Unterhalts“, berichtete Edwin Gitschthaler, Hofrat am Obersten Gerichtshof. Der andere Elternteil werde also vor die Wahl gestellt, entweder mehr zu zahlen – oder damit leben zu müssen, dass das Kind einen anderen Nachnamen trägt. Der Verwaltungsgerichtshof meine, dass es auf die Motive für eine Namensänderung nicht ankommt, sagte Gitschthaler. „Der nicht obsorgeberechtigte Elternteil hat also keine Chance, zu verhindern, dass sein Kind plötzlich anders heißt“, so Gitschthaler.

Problematisch seien überdies Fälle, in denen der sorgeberechtigte Elternteil mit dem Kind weit wegzieht. Das ist rechtlich ohne Weiteres möglich. „Wenn der andere Elternteil dann aber den Kontakt zum Kind im gleichen Maß aufrechterhalten will, kostet ihn das sehr viel Geld“, so Gitschthaler. Dann müsse dieser in der anderen Stadt „ins Hotel gehen“, um das eigene Kind zu sehen. Ein weiteres Problem gibt es, wenn der sorgeberechtigte Elternteil stirbt. Dann bekommt nicht automatisch der andere Elternteil das Sorgerecht. Stattdessen muss sich dieser im Pflegschaftsverfahren mit den ehemaligen Schwiegereltern (oder gar mit dem letzten Lebensgefährten des verstorbenen Expartners) streiten, bei wem das Kind besser aufgehoben ist.

Nachteile durch Väterkarenz

„Eine Halbe-halbe-Betreuung sieht der Gesetzgeber nicht vor“, bemängelte Advokatin Brigitte Birnbaum, Vizepräsidentin der Rechtsanwaltskammer Wien. Selbst wenn Geschiedene die gemeinsame Obsorge beantragen, müsse ein Hauptaufenthaltsort des Kindes festgelegt werden. „Daran knüpfen aber viele Folgen. So muss derjenige Unterhalt leisten, dem das Kind nicht hauptzugeteilt ist“, sagte Birnbaum. Eine Diskriminierung ortete sie auch beim Thema Väterkarenz. „Wenn eine Frau in Karenz ist, kann man bis zum 3. Lebensjahr keine Anspannung durchführen. Ist ein Vater in Karenz, ist das aber durchaus gängig“, berichtete Birnbaum aus der Judikatur. „Anspannung“ bedeutet, dass das Gericht Unterhaltszahlungen danach bemisst, was eine Person theoretisch hätte verdienen können, wenn sie ihre Arbeitskraft ausschöpft.

„Eine Kunst im Familienrecht liegt darin, stabile Kontakte für das Kind zu schaffen“, beschwichtigte Georg Kathrein, Sektionschef im Justizministerium. Der Gesetzgeber müsse abwägen, inwieweit er dem biologischen Elternteil und inwieweit er der sozialen, rechtlichen Familie Rechte einräumt. Ist es nicht ein Problem, wenn dann ein heimisches Gericht oder gar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) österreichische Gesetze rügt? „Das ist nichts Schlechtes“, meinte Kathrein. Es sei in Ordnung, wenn man man alle paar Jahre vom EGMR „eine Watschen bekommt“, meinte Kathrein.

Nademleinsky widersprach: „Mir tut es schon weh, wenn der EGMR sagt, dass jemand in Österreich in den Menschenrechten verletzt wurde“, meinte der Anwalt. Er skizzierte aktuelle Urteile. So hatte erst zu Beginn des Jahres ein Österreicher vor dem EGMR recht bekommen. Der ledige Mann hatte zunächst mit der Mutter seines Kindes im selben Haus gewohnt und war auch selbst in Karenz gegangen. Nachdem die Beziehung gescheitert war, bemühte er sich vergeblich um das Sorgerecht.

Hilfe vom Menschengerichtshof?

Ein alleiniges Sorgerecht hätte er laut Gesetz nur erhalten können, wenn das Wohl des Kindes bei der Mutter gefährdet wäre. Es reicht also nicht aus, wenn er bloß der bessere Elternteil gewesen wäre. Und die gemeinsame Obsorge dürfen österreichische Gerichte Vätern gegen den Willen der Mutter auch nie zusprechen. Der EGMR in Straßburg betonte nun aber, dass es sehr wohl eine Einzelfallprüfung geben müsse, bei der festgelegt wird, ob ein Sorgerecht für den unehelichen Vater sinnvoll wäre. Nun ist also der Gesetzgeber am Zug.

Schlechte Karten hat in Österreich auch jemand, der mit einer mit einem anderen Mann verheirateten Frau ein Kind zeugt. Der „Ehebrecher“ kann nicht erreichen, gegen den Willen der Mutter als Vater anerkannt zu werden. Das könnte sich aber im Lichte einer EGMR-Entscheidung zu einem deutschen Fall ändern. Hier ging es um den Seitensprung einer Deutschen mit einem Nigerianer. Die Kinder stammten sichtlich nicht vom Gatten ab. Doch das Ehepaar wollte sie trotzdem wie ihre eigenen aufziehen und dem Nigerianer das Besuchsrecht verweigern. Der EGMR aber erklärte, dass man niemandem von vornherein den Kontakt zu den biologischen Kindern verweigern dürfe. Es bedürfe einer Einzelfallprüfung, bei der ein Gericht das Interesse des leiblichen Vaters gegen das Interesse der sozialen Familie abwägt. Denn Kontakt mit den Kindern sei ein wichtiger Teil des Persönlichkeitsrechts.

Auf gerichtliche Hilfe sind in Österreich auch Lesben angewiesen, die in eingetragener Partnerschaft leben und einen Kinderwunsch hegen. Die künstliche Befruchtung mit einer Samenspende bleibt ihnen laut Gesetz verwehrt. Der Oberste Gerichtshof hält dies für rechtswidrig und rief deswegen im April den Verfassungsgerichtshof an. Nun muss dieser entscheiden, ob das Gesetz kippt wird.
SchaDENERSATZ FÜR VateR Seite 3

Termine

Das Rechtspanorama am Juridicumfindet wieder am 6. Juni, 18 Uhr, statt. Über „Demokratie in der Krise – Wutbürger im Kommen“, diskutieren „Presse“-Kolumnistin Anneliese Rohrer, Philosoph Rudolf Burger, Jus-Dekan Heinz Mayer, Soziologe Sighard Neckel, Bürgerlisten-Gründer Erich Stekovics.

Beim Rechtspanorama am Resowi (Graz) diskutieren am 23. Mai Justizministerin Beatrix Karl, Zivilrechtler Peter Bydlinski, die steirische Anwälte-Präsidentin Gabriele Krenn, Staatsanwaltschaft-Chef Thomas Mühlbacher und Richter-Präsident Werner Zinkl über die Justiz: „Auf der Suche nach dem verlorenen Vertrauen“ (ab 18 Uhr).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2011)

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