Compliance oder reicht Hausverstand?

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MAN(c) EPA (FRANK LEONHARDT)
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Die Kleinen verfluchen, die Großen heißen es freudig willkommen: Ein neues Compliance-Regelwerk von Austrian Standards spaltet die Geister österreichischer Unternehmen.

Wien. Johanna Birnstingl ist empört: „Ich halte dieses Regelwerk für den größten Schwachsinn. Bitte zitieren Sie mich mit diesen Worten“, sagt die Geschäftsführerin der Demmer GmbH. Gemeint ist die neue ON-Regel (ONR), die das Austrian Standards (ehemals Österreichisches Normungsinstitut) Anfang Februar veröffentlicht hat. In der ONR werden Anforderungen an Compliance-Management-Systeme (CMS) definiert. Dies soll Regelverstöße der Mitarbeiter – etwa Schmiergeldzahlungen – verhindern. Jedes Unternehmen kann sein System von Austrian Standards überprüfen und zertifizieren lassen.

Ein Schritt, der für die kleine Lackiererei genauso sinnvoll sein soll wie für ein Industrieunternehmen. Denn Risiko sei keine Frage der Größe, sagt Alexander Petsche, Vorsitzender des zuständigen Komitees bei Austrian Standards und Partner bei Baker & McKenzie. „Dem weltweiten Trend, mehr Ethik ins Wirtschaftsleben zu bringen, kann sich jedenfalls kein heimischer Betrieb verschließen. Damit schneidet er sich nur ins eigene Fleisch.“

Schon genügend Bürokratie?

Schaden würde Unternehmen etwas ganz anderes, sagt Birnstingl, deren Betrieb 120 Mitarbeiter beschäftigt: „Das Überangebot an Siegeln, Stempeln, Auszeichnungen, die der Markt ohnehin nicht mehr erfassen kann. Noch dazu sind solche Zertifizierungsverfahren mit enormer Bürokratie, hohen Kosten und großem personellem Aufwand verbunden, ohne gleichzeitig einen Return on Invest zu bringen.“ Die Wirtschaftskammer Österreich hat großes Verständnis für Birnstingls Argumente. Auch sie ist mit der neuen ONR unzufrieden. Das bedeute nicht, dass die WKO kein Befürworter von Compliance wäre, sagt Christoph Schneider, Abteilungsleiter der Stabstelle Wirtschaftspolitik. Aber Österreich sei ohnehin ein Land mit einer sehr hohen Regelungsdichte. Noch mehr Bürokratie würde vor allem Klein- und Mittelbetriebe nur unnötig belasten.

Diese machen 99,6 Prozent aller österreichischen Betriebe aus, rund 80 Prozent sind in Familienbesitz: „Sie haben meist keinen Compliance Officer, aber führen ihr Geschäft mit Hausverstand und Familienethik. Das ist für mich nichts anderes als gelebte Compliance, selbst wenn es nicht unter diesem Etikett läuft“, sagt Schneider.

Gerhard Fröschl fühlt sich verstanden. Er ist der Geschäftsführer der Wiener Tischlerei Veit und Chef von 25 Mitarbeitern. Auch er hält eine offizielle Urkunde als Beleg dafür, dass in seiner Tischlerei alles ordentlich abläuft, für völlig unnötig. „Ich stehe von früh bis spät in meinem Betrieb. Da bekomme ich alles, was wesentlich ist, mit. Und wenn Fehler passieren, sagen mir das meine Leute, weil sie mir vertrauen.“

Den Eindruck, Kunden würden bei der Auswahl ihrer Geschäftspartner immer mehr darauf achten, dass sie auch ihr Compliance-Bewusstsein dokumentieren könnten, hat der Tischlermeister nicht. „Ich arbeite mit großen Hausverwaltungen zusammen. Neben der Qualität meiner Arbeit ist ihnen nur ein Punkt wichtig: Dass meine Beschäftigten auch wirklich angemeldet sind. “

Ganz anders wird die neue Compliance-ONR von großen Unternehmen aufgenommen. Für sie gelten andere Spielregeln. Alois Kriechbaumer, Group Compliance Officer der Lenzing AG: „Für uns als internationales Unternehmen steigt der Druck stetig, den Nachweis für regelkonformes Verhalten erbringen zu können. Jedes Mal ein sehr aufwendiger Prozess, der durch eine Zertifizierung wegfallen würde.“ Bisher hat sich Lenzing aber noch keiner unterzogen, denn man ist erst dabei, ein CMS zu implementieren. „Mittelfristig“ sei die Zertifizierung aber geplant.

Der Verbund ist schon etwas weiter. Er lässt gerade einen seiner Unternehmensbereiche überprüfen. Allerdings nach deutschen Prüfungsstandards, die dort vom Institut der deutschen Wirtschaftsprüfer herausgegeben worden sind. Künftig könne bei neuen Audits das österreichische Regelwerk eine Alternative sein, sagt Compliance Officer Karl Stadler. „Eine CMS-Zertifizierung führt zu Erleichterungen im geschäftlichen Verkehr. Firmen können sich darauf verlassen, dass ihr zertifizierter Partner ein wirksames Compliance Management hat. Daher muss dieses Thema nicht gesondert geregelt werden.“

Vorteile für Unternehmen

Noch ein anderer Grund, sich einen Compliance-Sanctus von offizieller Stelle zu holen, wird von Unternehmen ins Treffen geführt: Im Ernstfall kann man sich rechtliche Probleme ersparen. Lässt sich etwa ein Mitarbeiter von einem Lieferanten auf einen Kurzurlaub in der Toskana einladen, damit der auch weiterhin seine Aufträge erhält, wird ein zertifiziertes Unternehmen leichter belegenkönnen, dass es sich hier um einen widrigen Einzelfall und nicht um ein Normalverhalten oder einen beliebten Brauch im Betrieb handelt.

Das dem so ist, haben interne Kontrollen zu verhindern. Gibt es solche nicht, liegt ein Verschulden der Organisation vor, das strafrechtlich relevant ist. „Gerade jene Betriebe, die mit dem Gesetz schon in Konflikt geraten sind, zeigen nun besonders großes Interesse an einer Zertifizierung“, so Petsche. Wie groß die Resonanz anderer heimischer Firmen tatsächlich sein wird, bleibt abzuwarten. Das erste wird gerade zertifiziert.

Lexikon

Compliance: Der Begriff stammt aus der englischen Bankensprache. „Compliant“ verhält sich ein Unternehmen, wenn es die gesetzlichen, unternehmensinternen und vertraglichen Regelungen einhält.

Compliance Management Systeme (CMS): ist eine Bezeichnung für alle Maßnahmen und Prozesse, die ein Unternehmen vorgesehen hat, um regelkonformes Verhalten aller ihrer Mitarbeiter tatsächlich sicherzustellen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2013)

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