Kontroverse: "Quotensysteme funktionieren nicht"

(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Menschen mit Behinderung sind Leistungsträger, sagt ein Unternehmer, der es wissen muss. Kündigungsschutz, gesetzliche Quoten und Ausgleichstaxen seien kontraproduktiv. Der Behindertenanwalt sieht das anders.

Wien. „Wir sind nicht behindert, wir werden behindert“, sagt Gregor Demblin im Gespräch mit der „Presse“. Es geht um Jobaussichten von Menschen mit Behinderung, es geht um Quoten, Ausgleichstaxen und einen Kündigungsschutz, den es in Österreich zwar nur mehr rudimentär gibt, der aber in den Köpfen der meisten HR-Manager noch fix verankert ist.

Demblin ist Ko-Gründer der Jobplattform Career Moves, einer Initiative „für Menschen mit und ohne Einschränkung“, so die Eigendefinition. Er ist auch Unternehmensberater für Barrierefreiheit. Und – seit einem Unfall im Jahr 1995 – selbst Rollstuhlfahrer. Ihm gegenüber am Tisch sitzt Behindertenanwalt Erwin Buchinger. Beide wollen dasselbe, nämlich die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, ihre „volle Teilhabe“ an Gesellschaft, Bildung, Arbeitswelt. Ihre Lösungsansätze könnten aber kaum unterschiedlicher sein.

„Ein Denkproblem“

Schon das Wort Behinderung suggeriere, dass man weniger leistungsfähig sei, sagt Demblin. „Das ist ein Denkproblem: Wenn ein HR-Manager das Wort hört, denkt er immer genau an die Fähigkeiten, die man für den Job, den er zu vergeben hat, braucht. Geht es um eine Arbeit in der Krankenpflege, kommt sofort das Argument, wie soll jemand, der im Rollstuhl sitzt, jemanden aus dem Bett heben. Und bei einem Job im Callcenter heißt es: Wie soll jemand mit Kunden telefonieren, wenn er schlecht hört?“ Dass ein Mensch mit Behinderung in seiner Arbeit genauso gut sein kann wie jeder andere, sei für viele schwer vorstellbar – und schon gar nicht vorstellen könne man sich, dass er womöglich besser ist als seine Mitbewerber.

Demblin zählt eine Reihe von Vorurteilen auf, die ihm in Gesprächen mit HR-Managern immer wieder begegnen: geringere Leistung, mehr Krankenstände, Unsicherheit, wie man mit behinderten Menschen umgeht, wie man „politisch korrekt“ mit ihnen spricht. Und die Sorge, es könnte zu Mobbing kommen – „obwohl es, ganz im Gegenteil, meist teamstärkend ist, einen Menschen mit Behinderung in der Gruppe zu haben“.

Das größte Vorurteil sei aber der ominöse Kündigungsschutz. „Wir reden jedes Jahr mit hunderten Personalverantwortlichen, und die meisten wissen recht wenig von dem Thema. Aber das Einzige, was jeder auch noch aufsagen kann, wenn man ihn mitten in der Nacht aufweckt, ist, dass Menschen mit Behinderung unkündbar sind. Sie sind der Ansicht, wenn ich einen solchen Menschen einstelle, dann werde ich den nie wieder los.“

Das stimmt so längst nicht mehr: Vor rund zweieinhalb Jahren wurde der Kündigungsschutz stark gelockert, er greift jetzt erst nach einer Beschäftigungsdauer von vier Jahren und nicht mehr nach sechs Monaten. Laut Demblin wissen das aber die meisten nicht, „diese Botschaft ist nicht angekommen“. Er würde den Kündigungsschutz am liebsten gänzlich abschaffen und „durch einen starken Diskriminierungsschutz mit wirksamen, verhältnismäßigen, abschreckenden Sanktionen“ ersetzen. Auch von der gesetzlich vorgeschriebenen Quote – pro 25 Mitarbeiter muss ein Behinderter eingestellt werden – und der Ausgleichstaxe, die Unternehmen zahlen müssen, wenn sie die Quote nicht erfüllen, hält er wenig. Beides transportiere eine stark diskriminierende Botschaft, nämlich „dass Menschen mit Behinderung so schlechte Arbeitnehmer sind, dass man Unternehmen zwingen muss, sie einzustellen“.

Buchinger sieht das anders: Quoten seien zwar eine Diskriminierung, aber eine positive, sagt er. Und gerechtfertigt, „solange die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung weit unter dem Anteil dieser Gruppe an der Gesamtbevölkerung liegt“. Die Lockerung des Kündigungsschutzes vor zweieinhalb Jahren habe er heftig kritisiert, erzählt er. „Ich würde mir wünschen, dass man den Kündigungsschutz nicht mehr braucht. Aber wenn es ihn nicht gibt, sind Menschen mit Behinderung in jeder Krisensituation die Ersten auf den Kündigungslisten.“

Die Lockerung des Kündigungsschutzes habe auch nicht, wie zum Teil erhofft, eine Verbesserung ihrer Jobchancen gebracht, sagt Buchinger. Demblin hält dagegen, in den Unternehmen fehle eben noch das Wissen darüber – und Tatsache sei, dass viele Betroffene jetzt eben knapp vor Ablauf dieser vier Jahre ihren Job verlieren. Auch das Quotensystem funktioniere nicht: In Ländern mit und ohne Quote sei die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung annähernd gleich.

„Vorurteile bekämpfen“

Einig sind sich beide in einem Punkt: dass das Kernproblem die Vorurteile sind. „Und man sollte aus meiner Sicht eher die Vorurteile bekämpfen, nicht das System“, sagt Buchinger. Da gehe es um Bewusstseinsarbeit, Aufklärung, Überzeugung, Good Practice. Einig ist man sich aber auch darüber, dass viele Menschen lieber auf den Bescheid, der sie als „begünstigt Behinderte“ ausweist, verzichten, als sich den Vorurteilen auszusetzen: Auf die Quote werden in Österreich 95.000 Menschen angerechnet, davon sind rund 65.000 in Beschäftigung oder auf Jobsuche. Die Zahl der Menschen mit Behinderung beträgt aber, je nach Definition, zwischen 650.000 und 1,2 Millionen, und viele davon hätten wohl ebenfalls Anspruch auf den Bescheid.

Andere Länder, andere Sitten: Nicht überall werden Beeinträchtigungen, welcher Art auch immer, lieber totgeschwiegen. Demblin berichtet von einem britischen Großbetrieb, der einen Know-how-Pool eingerichtet hat, um Mitarbeiter zu fördern, die den Eindruck haben, ihren Job nicht voll ausfüllen zu können. Jeder kann sich da unbürokratisch Hilfsmittel bestellen, die ihm die Arbeit erleichtern. Teuer sei das nicht, es gehe um Dinge, die im Schnitt rund 60 Pfund kosten. Das Ergebnis: „62 Prozent der Mitarbeiter sind produktiver geworden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2014)


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.