Wirtschaftsstrafrecht: „Mich stört die Komfortzone für Straftäter“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Das umstrittene Libro-Urteil hat die Diskussion darüber neu entfacht, viele Juristen plädieren für Entschärfungen. Forensikspezialist Manfred Biegler sieht das anders: Der Weichzeichner sei hier fehl am Platz.

Wien. Gehört das Wirtschaftsstrafrecht reformiert? Und soll speziell der Untreuetatbestand entschärft werden? Seit dem umstrittenen Libro-Urteil wird darüber wieder heftig diskutiert.

Justizminister Wolfgang Brandstetter befürwortet bekanntlich solche Überlegungen, er spricht sich generell für eine Ausweitung der Diversion im Wirtschaftsstrafrecht aus. Auch in der „Presse“ meldeten sich etliche Rechtsexperten zu dem Thema zu Wort, überwiegend plädierten sie ebenfalls für Entschärfungen. Der Grundtenor: Über Entscheidungsträgern in Unternehmen soll nicht das Damoklesschwert schweben, sich schon durch bloße Fehlentscheidungen strafbar machen zu können.

Manfred Biegler, Forensikspezialist und als Gutachter oft in Causen tätig, in denen es um Anlegerschäden geht, kann solchen Bestrebungen nichts abgewinnen: Wenn es Änderungsbedarf im Wirtschaftsstrafrecht gebe, dann in Richtung Verschärfung, meint er. „Strafrechtlichen Immunisierungsversuchen“ im Bereich der White-collar-Kriminalität sei mit Vehemenz entgegenzutreten. „Mich stört die erkennbare Komfortzone für Wirtschaftsstraftäter und deren Systemerhalter“, sagt Biegler im Gespräch mit der „Presse“. Unter Letzteren versteht er etwa Gutachter, die abstruse Bewertungen vornehmen und damit „ein Feigenblatt für wirtschaftskriminelles Handeln liefern“. Angehörige seines eigenen Berufsstands nimmt er da nicht aus.

Vor allem geht es ihm um Fälle, in denen es zu einem „permanenten Abtausch von Scheinwerten gegen reale Zahlungsabflüsse“ kommt und Gläubiger, oft Anleger, geschädigt werden. Dagegen nur zivilrechtlich vorzugehen, reicht aus seiner Sicht nicht: „Wenn hier mit dem Weichzeichner agiert wird, führt das zur Akzeptanz wirtschaftskriminellen Verhaltens in der Gesellschaft.“

Auch die Diversion, bei der auf eine formelle Verurteilung verzichtet wird, und der Täter beispielsweise eine Geldbuße zahlt oder sich zu gemeinnützigen Leistungen verpflichtet, sieht Biegler in solchen Fällen nicht als zielführend an: Es werde damit nur die Beute neu verteilt, durch die Geldbuße beteilige sich eben auch der Staat daran – „anstatt dass die geschädigten Anleger alles zurückbekommen“.

Sehr weite Auslegung

In diesem Sinn begrüßt Biegler zumindest die Stoßrichtung der Libro-Entscheidung, „den Vermögensschutz in der Gesellschaft stärker zu akzentuieren“ – denn auch Vermögensschäden seien existenzbedrohend. Zur Vorgeschichte: Der OGH hatte die Verurteilung von Ex-Libro-Managern wegen Untreue bestätigt – und zwar wegen der Auszahlung einer Sonderdividende an die Muttergesellschaft. Zivilrechtlich ist die Sache klar: Man darf nicht mehr als den Bilanzgewinn eines Unternehmens als Dividende ausschütten. Dafür die Vermögenssubstanz zu schmälern, wäre verbotene Einlagenrückgewähr. Aber macht man sich damit auch schon strafbar? Darüber lässt sich trefflich streiten.

Untreue begeht laut Gesetz, wer „seine Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen, wissentlich missbraucht und dadurch dem anderen einen Vermögensnachteil zufügt“. Hier wurde aber Gesellschaftsvermögen an eine Konzernmutter, die 100 Prozent der Anteile hält, hinausgegeben. Dass das den Tatbestand erfüllt, zweifeln etliche Juristen an.

Zwar kann man dafür ins Treffen führen, dass ein weitreichender Schutz von Unternehmensvermögen auch Gläubigerschutz und letztlich Schutz von Arbeitsplätzen bedeutet. Der Wortlaut des Untreue-Paragrafen nimmt jedoch auf beides keinen Bezug. Für den Gläubigerschutz gibt es eigene Bestimmungen, und die Sicherheit von Arbeitsplätzen ist im Strafrecht schlicht kein Thema. „Kann und darf man das trotzdem hineininterpretieren?“, lautet die Kernfrage der juristischen Diskussion.

Auch Biegler bestreitet nicht, dass es weit hergeholt ist, dem Untreue-Paragrafen eine solche „Drittwirkung“ zuzusprechen. Besser wäre es aus seiner Sicht, den Gläubigerschutz im Strafrecht zu stärken. Dass das Geschäftsleiter zu hohen Risiken aussetzen würde, lässt er nicht gelten: „Ja, als verantwortlicher Geschäftsführer muss man sein Tun permanent hinterfragen – und das zu Recht“, meint er.

Bei der Hypo Alpe Adria etwa müsse, alles in allem, etwa das Lohnsteueraufkommen eines ganzen Jahres dafür verwendet werden, die Abwicklung zu schaffen, „das ist Wahnsinn“. Für einen normalen Staatsbürger, der für jeden simplen Kredit mit seinem Hab und Gut haftet, sei es nicht verständlich, wenn „Milliardenbeträge vernichtet werden, ohne dass es Folgen hat“. Biegler kritisiert auch, dass in Sachen Anlegerschutz ein echtes Gegengewicht zur Finanzindustrie fehle – zumal die Finanzmarktaufsicht seit einer Änderung im Kapitalmarktaufsichtsgesetz, die Anfang 2009 in Kraft getreten ist, bei Aufsichtsverletzungen nur mehr bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit hafte. Geschädigten Anlegern sei damit praktisch jede Regressmöglichkeit bei Fehlern der Behörde genommen worden.

Aber zurück zum Tatbestand der Untreue: Dazu werden wohl weitere – vielleicht klarstellende – Urteile folgen. Auch überhöhte Dividendenausschüttungen dürften bald wieder die Strafrichter beschäftigen: In der Causa Meinl Bank geht es ebenfalls um eine umstrittene Zahlung an das Mutterunternehmen, auch hier könnten Anklagen wegen Untreue bevorstehen (die „Presse“ berichtete). Juristen rechnen damit, dass in nächster Zeit noch mehr ähnlich gelagerte Fälle vor Gericht landen werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.07.2014)

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